Leitsatz (amtlich)

1. Wird einem Elternteil die elterliche Sorge entzogen und verfolgt er im Beschwerdeverfahren nur noch das Ziel, dass statt des Jugendamts ein naher Verwandter zum Vormund bestellt wird, lässt dies seine Beschwerdebefugnis nicht entfallen.

2. Das Jugendamt kann nach § 1791 b BGB erst dann als Amtsvormund/Pfleger ausgewählt werden, wenn - anders als vorliegend die Tante des Kindes - ein geeigneter ehrenamtlicher Einzelvormund nicht gefunden werden kann.

 

Normenkette

BGB §§ 1697a, 1779 Abs. 2 S. 1, §§ 1791b, 1915 Abs. 1; GG Art. 6 Abs. 2 S. 1, Abs. 3

 

Verfahrensgang

AG Heidelberg (Aktenzeichen 35 F 174/20)

 

Tenor

1. Auf die Beschwerde der Mutter wird Ziffer 2 Satz 2 des Beschlusses des Amtsgerichts - Familiengericht - Heidelberg vom 23.12.2021 (AZ. 35 F 174/20) dahingehend abgeändert, dass Frau K. als Ergänzungspflegerin ausgewählt wird.

2. Der Beschluss vom 10.03.2022 im Verfahren 303 F 73/21 des Amtsgerichts - Familiengericht - Heidelberg ist damit gegenstandslos.

3. Gerichtskosten werden nicht erhoben, außergerichtliche Kosten werden nicht erstattet.

4. Der Verfahrenswert für das Beschwerdeverfahren wird auf EUR 4.000,00 festgesetzt.

 

Gründe

I. Gegenstand des Verfahrens sind Maßnahmen zum Schutz der am 27.11.2013 geborenen A..

A. ist aus der Beziehung der Kindeseltern W. und C. hervorgegangen.

Die Eltern übten die elterliche Sorge für A. zunächst alleine aus, bis die elterliche Sorge auf Antrag der Mutter mit Beschluss des Amtsgerichts - Familiengericht - Schwetzingen vom 28.01.2016 (Az. 2 F 333/15) auf diese alleine übertragen wurde. Hintergrund der Sorgerechtsübertragung waren erhebliche, auch körperlich ausgetragene, Konflikte zwischen der Kindesmutter und dem Vater, die eine im Hinblick auf eine Nierenerkrankung des Kindes notwendige Kommunikation vor allem in Bereichen der Gesundheitssorge unmöglich machten. Der Kindesvater leidet jedenfalls seit 2014 an einer paranoiden Schizophrenie. Aufgrund eines - mittlerweile durch den Bundesgerichtshof unter Zurückverweisung aufgehobenen (vgl. Beschluss vom 27.01.2022, 1 StR 453/21) - Urteils des Landgerichts Mannheim vom 20.07.2021 (4 Kls 203 Js 39924/20) wurde er in der forensischen Psychiatrie des Psychiatrischen Zentrums Nordbaden untergebracht.

Unter dem 16.01.2020 rief das Jugendamt erstmals das Familiengericht nach § 8a SGB VIII an (Verfahren 35 F 8/20 des Amtsgerichts - Familiengericht - Heidelberg). Hierzu berichtete das Jugendamt, dass A. nach einer im Sommer 2018 erfolgten Nierentransplantation außer der Notwendigkeit einer täglichen Medikation und regelmäßigen Untersuchungen als gesund zu betrachten sei. Aufgrund der lange notwendigen speziellen hygienischen und strukturellen Anforderungen durch die Krankheit des Kindes habe die Kindesmutter über mehrere Jahre in der Mutter-Kind-Wohngruppe der SRH N. gelebt. Im Jahr 2014 sei der Versuch unternommen worden, Frau W. in eine eigene Wohnung zu verselbständigen, was nicht nachhaltig gelungen sei, weshalb bis 2018 nochmals eine Mutter-Kind-Maßnahme begonnen worden sei. Im Juli 2018 sei die Mutter mit A. in ihre aktuelle Wohnung gezogen. Zum 01.04.2019 sei eine ambulante Hilfe installiert worden. Diese sei anfangs von der Kindesmutter gut angenommen worden, seit mehreren Monaten sei die Zusammenarbeit mit der sozialpädagogischen Familienhilfe (SPFH) aber sehr schwierig und lückenhaft. Auch die Zusammenarbeit mit dem Jugendamt gestalte sich schwierig. Die Mutter könne telefonisch wie persönlich selten erreicht werden. Sie selbst berichte, ständig müde zu sein und zu schlafen. Die Mutter schaffe es nicht, A. für den Kindergartenbesuch fertig zu machen, sodass A. den ganzen Tag mehr oder weniger unbeaufsichtigt sei. Auf Grund ihrer Entwicklungsverzögerung benötige A. dringend Förderung durch den Kindergarten bzw. ergänzend Ergotherapie, die Mutter schaffe es aber nicht, diese Maßnahmen durchzusetzen. In einem am 11.02.2020 unter Anwesenheit der Eltern, des Jugendamts sowie der bestellten Verfahrensbeiständin stattgefundenen Termin wurde eine Vereinbarung geschlossen, in der sich die Mutter zur Zusammenarbeit mit der SPFH und der Durchführung einer Ergotherapie bereit erklärt hat. Zudem erklärte die Mutter, ab sofort für den regelmäßigen Kita-Besuch ihrer Tochter Sorge zu tragen. Das Verfahren wurde damit für erledigt erklärt.

Am 14.12.2020 rief das Jugendamt im hiesigen Verfahren das Familiengericht erneut an. Die SPFH habe mangels Mitwirkung der Mutter zum 01.11.2020 beendet werden müssen. Die Kindesmutter erscheine erneut zunehmend nicht in der Lage, die Versorgung ihrer Tochter sicherzustellen und sei so gut wie nicht zu erreichen. Eine Ergotherapie sei nicht umgesetzt worden. A.s sozial-emotionale Entwicklung wie auch die schulische Entwicklung seien gefährdet. Auch sei in Frage zu stellen, ob die Mutter die medikamentöse Versorgung ihrer Tochter sicherstellen könne.

Am 19.01.2021 hörte das Amtsgericht die für A. bestellte Verfahrensbeiständin, das Jugendamt sowie die Kindesmutter an. Der Kindesvater ...

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