Tenor

1. Die Entscheidung der Vergabekammer Baden-Württemberg vom 13.07.2022, Az. 1 VK 23/22, wird aufgehoben. Der Nachprüfungsantrag der Antragstellerin wird zurückgewiesen.

2. Die bei der Vergabekammer angefallenen Verfahrenskosten sowie die den Antragsgegnerinnen und der Beigeladenen zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung entstandenen notwendigen Auslagen hat die Antragstellerin zu tragen. Die Hinzuziehung eines Rechtsanwalts durch die Antragsgegnerinnen und die Beigeladene wird für notwendig erklärt.

3. Die Antragstellerin hat die Kosten des Beschwerdeverfahrens zu tragen sowie den Antragsgegnerinnen und der Beigeladenen die zur zweckentsprechenden Erledigung der Angelegenheit notwendigen Kosten zu erstatten.

4. Der Wert des Beschwerdeverfahrens wird auf bis 6.000 EUR festgesetzt.

 

Gründe

I. Die Antragsgegnerinnen schrieben europaweit die Beschaffung einer Software für digitales Entlassmanagement im offenen Verfahren für 3 Jahre mit einer zweimaligen Verlängerungsoption von jeweils einem Jahr aus. Die Antragstellerin und die Beigeladene gaben ein Angebot ab. Nachdem die Antragsgegnerinnen mitteilten, den Zuschlag auf das Angebot der Antragstellerin erteilen zu wollen, rügte die Beigeladene Vergabeverstöße. Diesen halfen die Antragsgegnerinnen (teilweise) ab und versetzten das Verfahren in den Stand vor Versand der Vergabeunterlagen zurück. Die Vergabeunterlagen (Stand 23.02.2022) sahen vor, dass das Angebot in deutscher Sprache abzufassen war. Der Zuschlag sollte auf das wirtschaftlichste Angebot erteilt werden, wobei der Nettogesamtpreis mit 65 % und die Qualität mit 35 % in die Wertung einflossen. In den Leistungsanforderungen bestimmten die Antragsgegnerinnen zum Ausschluss führende Kriterien (A-Kriterien). Als Ausschlusskriterium war u.a. die softwaretechnische Einhaltung eines DS-GVO - Vertragsentwurfs, der Bestandteil der Vergabeunterlagen (AST 6) war, bestimmt. Dass die Daten ausschließlich in einem EWR.-Rechenzentrum verarbeitet werden, bei dem keine Subdienstleister / Konzernunternehmen in Drittstaaten ansässig sind, war als nur für die Wertung relevantes B-Kriterium ausgestaltet. Die Vergabeunterlagen (Stand 23.02.2022) sahen weiter vor, dass der Preisbestandteil "Einmalkosten für die Implementierung der Software Digitales Entlassmanagement" nicht in die Wertung einfließt. Im zurückversetzten Verfahren gaben die Antragstellerin und die Beigeladene ein Angebot ab. Mit Schreiben vom 04.05.2022 informierten die Antragsgegnerinnen die Bieter darüber, dass beabsichtigt sei, den Zuschlag auf das Angebot der Beigeladenen zu erteilen.

Mit Schreiben vom 09.05.2022 rügte die Antragstellerin, die Beigeladene sei von der Angebotswertung auszuschließen, weil sie Änderung an den Vergabeunterlagen vorgenommen habe. Deren Angebot verstoße gegen zwingende gesetzliche Vorgaben der DS-GVO, sie verarbeite personenbezogene Daten auf Servern, auf die Drittstaaten Zugriff hätten. Sie setze die A. S.à.r.l. als Unterauftragnehmerin ein. Nach der zwischen dieser und der Beigeladenen bestehenden Vereinbarung in Umsetzung von Art. 28 DS-GVO sei in den Ziff. 3 und 12.1 jeweils ein Vorbehalt vorgesehen, der es A. S.à.r.l. erlaube, die im Auftrag des Kunden verarbeiteten personenbezogenen Daten auch ohne bzw. entgegen einer Weisung des Kunden offenzulegen und in ein Drittland zu übermitteln, wenn dies notwendig sei, um Gesetze oder verbindlichen Anordnungen einer staatlichen Behörde einzuhalten (A. GDPR DATA PROCESSING ADDENDUM, AST 15: im Folgenden A. DPA). In einem SUPPLEMENTARY ADDENDUM zu dem A. DPA erkläre A., jede zu weitgehende oder unangemessene Anfrage einer staatlichen Stelle einschließlich solcher Anfragen, die im Widerspruch zum Recht der EU oder zum geltenden Recht der Mitgliedstaaten stehen, anzufechten. Hieraus ergebe sich bereits, dass A. trotz des Serverstandortes in F. davon ausgehe, einem Herausgabeverlangen der US-Behörden zu unterliegen. Die Beigeladene benenne die T. Inc. als Unterauftragnehmerin für den Versand von Transaktionsmails. Ihr, der Antragstellerin, sei aus einem anderen Vergabeverfahren bekannt, dass die Beigeladene tatsächlich die T. Ltd. einsetze. Die Beigeladene habe ein unzulässiges Unterkostenangebot abgegeben. Eine ordnungsgemäße Preisprüfung nach § 60 Abs. 2 VgV habe nicht stattgefunden. Die Preiswertung sei diskriminierend und intransparent, weil die Einmalkosten der Implementierung der Software nicht berücksichtigt worden seien. Mit weiterem Schreiben vom 12.05.2022 rügte die Antragstellerin das Vorabinformationsschreiben als unzureichend; die Angebotswertung und die Dokumentation des Vergabeverfahrens seien fehlerhaft. Nachdem die Antragsgegnerinnen den Rügen nicht abgeholfen haben, reichte die Antragstellerin einen Nachprüfungsantrag bei der Vergabekammer Baden-Württemberg ein, mit dem sie die bereits zuvor erhobenen Rügen wiederholte und vertiefte. Zudem machte sie geltend, dass die Beigeladene entgegen ihren Erklärungen in den Ausschreibungsunterlagen einen weiteren Unterauftragnehmer...

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