Leitsatz (amtlich)
1. Das Fehlen einer gesetzlichen Verpflichtung einer regelmäßigen Überprüfung der Sicherungsmaßnahme der Unterbringung in einer psychiatrischen Anstalt in einem ordnungsgemäßen gerichtlichen Verfahren zu bestimmten Fristen kann ein Auslieferungshindernis begründen.
2. Vom Vorliegen eines gewöhnlichen Aufenthalts im Sinne des § 83b Abs. 2 Satz 1 Buchst. b IRG ist im Regelfall auszugehen, wenn sich der Verfolgte im Inland unter einem festen Wohnsitz angemeldet hat.
Tenor
1. Die Auslieferung des Verfolgten nach Polen aufgrund des Europäischen Haftbefehls des Bezirksgerichts B. vom 12. Mai 2010 (...) wird für zulässig erklärt.
2. Es wird festgestellt, dass die Entschließung der Generalstaatsanwaltschaft Karlsruhe vom 15. September 2010, keine Bewilligungshindernisse geltend machen zu wollen, rechtsfehlerfrei getroffen ist.
3. Die Auslieferungshaft hat fortzudauern (§ 26 IRG).
Gründe
I. Gegen den seit 16.07.2010 aufgrund Senatsbeschlusses vom 22.07.2010 in Auslieferungshaft befindlichen Verfolgten besteht ein Europäischer Haftbefehl des Bezirksgerichts B. vom 12.05.2010 (...), aus welchem sich ergibt, dass gegen ihn durch Beschluss des Amtsgerichts T. vom 21.10.2008 (...) eine Sicherheitsmaßnahme in Form der Unterbringung in einer psychiatrischen Anstalt angeordnet worden ist. Dem Verfolgten wird im Europäischen Haftbefehl des Bezirksgerichts B. vom 12.05.2010 (...) die Begehung folgender Straftaten vorgeworfen:
[gelöscht: Tatumschreibung]
Die Generalstaatsanwaltschaft Karlsruhe hat am 15.09.2010 beantragt, die Auslieferung im nachgesuchten Umfang für zulässig zu erklären; zugleich hat sie entschieden, dass nicht beabsichtigt sei, Bewilligungshindernisse nach § 83 b IRG geltend zu machen. Der Verfolgte hat gegen seine Auslieferung Einwendungen erhoben. Er hat insbesondere geltend gemacht, die vom Amtsgericht T. einvernommenen Zeugen hätten nicht wahrheitsgemäß ausgesagt, seine Angaben seien überhaupt nicht berücksichtigt worden; auch habe das Amtsgericht T. zu Unrecht seine Unterbringung angeordnet, da er nicht psychisch krank, sondern gesund sei.
Der Senat hat die Beschlüsse des Amtsgerichts T. vom 21.10.2008 (...) und vom 09.02.2009 (...) sowie des Kreisgerichts B. vom 09.12.2008 (...) und 04.05.2009 (...) beigezogen und mit Beschluss vom 29.10.2010 festgestellt, dass eine weitere Aufklärung des Sachverhalts durch Einholung einer Erklärung der polnischen Justizbehörden notwendig sei, welche mit Datum vom 12.11.2010 abgegeben wurde und am 22.11.2010 beim Oberlandesgericht Karlsruhe einging.
II. Die Auslieferung des Verfolgten nach Polen aufgrund des Europäischen Haftbefehls des Bezirksgerichts B. vom 12.05.2010 (...) ist zulässig, da die Auslieferungsvoraussetzungen vorliegen und Auslieferungshindernisse nicht ersichtlich sind.
1. Bezüglich des Vorliegens der Auslieferungsvoraussetzungen nimmt der Senat zunächst Bezug auf seine Beschlüsse vom 22.07.2010 und 28.07.2010, welche unverändert fortgelten. Ergänzend ist zu bemerken:
Aufgrund des im Europäischen Haftbefehl des Bezirksgerichts B. vom 12.05.2010 (...) als vollstreckbar bezeichneten, mithin als rechtskräftig anzusehenden Beschlusses des Amtsgerichts T. vom 21.10.2008 (...), durch welchen gegen den Verfolgten die Sicherungsmaßnahme der Unterbringung in einer psychiatrischen Einrichtung nach Art. 93 und Art. 94 § 1 des polnischen Strafgesetzbuches angeordnet wurde, ist gegen den Verfolgten eine freiheitsentziehende Sanktion im Mindestmaß von vier Monaten zu vollstrecken (§ 81 Nr.2 IRG), da nach Art. 94 § 2 1.Hs. des polnischen Strafgesetzbuches die Dauer der Unterbringung in der Anstalt nicht im Voraus bestimmt ist und somit, falls das Gericht nicht gemäß Art. 94 § 2 2. Hs. des polnischen Strafgesetzbuches die Entlassung des Täters wegen fehlender Notwendigkeit der weiteren Unterbringung anordnet, grundsätzlich unbeschränkt andauern kann. Die in Ausführung des Beschlusses vom 21.10.2008 mit weiterem Beschluss des Amtsgerichts T. vom 09.02.2009 (...) angeordnete Aufnahme des Verfolgten in das Krankenhaus für nervös- und psychisch Kranke S. K.in S. G. überdauert damit den in § 81 Nr.2 IRG vorgesehenen Zeitraum.
Auch vom Vorliegen der nach § 81 Nr. 4 IRG i.V.m Art. 2 Abs.2 RbEuHb zu beachtenden Auslieferungsvoraussetzung der beiderseitigen Strafbarkeit nach §§ 3, 78 IRG ist vorliegend auszugehen. Soweit die polnischen Justizbehörden dem Verfolgten unter Ziffer 2 des Europäischen Haftbefehls des Bezirksgerichts B. vom 12.05.2010 (...) unter dem Gesichtspunkt einer Straftat gegen die Ehre und körperliche Unversehrtheit nach Art. 217 § 1 des polnischen Strafgesetzbuches vorwerfen, im Juni 2007 in L. in die körperliche Unversehrtheit von J. R. eingegriffen zu haben, indem er diesen ohne Grund am rechten Ohr gezogen habe, ergibt sich aus dem Beschluss des Amtsgerichts T. vom 21.10.2008 zwar nicht, dass durch diesen Übergriff das körperliche Wohlbefinden oder die körperliche Unversehrtheit des Betroffenen in einer den Straftatbestand des § 223 StGB begründenden...