Entscheidungsstichwort (Thema)
Sorgfaltspflichten beim Einfahren von einem Parkplatz auf eine Straße
Leitsatz (amtlich)
1. Wer aus einem Parkplatz auf eine Straße fährt, muss sich gemäß § 10 Satz 1 StVO so verhalten, dass auch ein Verkehrsteilnehmer, der zur gleichen Zeit von einem gegenüberliegenden Parkplatz auf dieselbe Straße einfährt, nicht gefährdet wird.
2. Fahren zwei Kraftfahrzeuge von gegenüberliegenden Parkplätzen auf eine Straße, gibt es keinen Vorrang des nach rechts einbiegenden Fahrzeugs gegenüber dem von der anderen Straßenseite nach links einbiegenden Fahrzeug. § 9 Abs. 4 StVO ist beim Einfahren von Grundstücken oder Parkplätzen auf eine Straße weder direkt noch entsprechend anwendbar.
Normenkette
StVO § 9 Abs. 4, § 10 S. 1; StVG § 17 Abs. 1-2
Verfahrensgang
LG Konstanz (Urteil vom 11.04.2014; Aktenzeichen 3 O 294/13 D) |
Tenor
Der Senat erwägt eine Zurückweisung der Berufung der Beklagten gegen das Urteil des LG Konstanz vom 11.04.2014 gemäß § 522 Abs. 2 ZPO. Die Parteien erhalten vor einer Entscheidung Gelegenheit zur Stellungnahme binnen 3 Wochen.
Gründe
I. Der Kläger macht Schadensersatzansprüche nach einem Verkehrsunfall geltend.
Am 12.04.2013 befand sich der Kläger mit seinem Leichtkraftrad-Roller auf dem Parkplatz des Einkaufsmarktes "H." in Konstanz. Der Kläger verließ den Parkplatz an der Ausfahrt zur M.-Straße, indem er mit dem Motorroller nach links einbog. Der Beklagte Ziff. 1 befand sich zu der Zeit mit seinem Pkw VW Passat auf dem Parkplatz des "S.", der ebenfalls an der M.-Straße liegt, und zwar gegenüber dem Parkplatz des "H.". Der Beklagte Ziff. 1 wollte mit seinem Pkw an der Ausfahrt zur M.-Straße nach rechts einbiegen, also in die selbe Fahrtrichtung wie der aus der gegenüber liegenden Ausfahrt herausfahrende Kläger. Beide Fahrzeuge fuhren aus den verschiedenen Ausfahrten ungefähr zur selben Zeit - mit lediglich geringen zeitlichen Unterschieden, über die im Detail Streit besteht - auf die Straße. Auf der für den Kläger gegenüber liegenden Fahrbahn kam es zur Kollision. Die beiden Fahrzeuge stießen in einem Kollisionswinkel zwischen 30 und 40 Grad zusammen. Der Kläger stürzte und zog sich erhebliche Verletzungen zu. Die Beklagte Ziff. 2 ist die für das Fahrzeug des Beklagten Ziff. 1 zuständige Haftpflichtversicherung.
Wegen weiterer Einzelheiten des Unfallablaufs besteht zwischen den Parteien Streit. Sie vertreten im Übrigen unterschiedliche Rechtsauffassungen zu der Frage, wer von den beiden Fahrzeugführerin vor der Kollision welche Pflichten zu beachten hatte.
Nach Einholung eines mündlichen Sachverständigengutachtens zum Unfallablauf hat das LG die Beklagten - antragsgemäß - wie folgt verurteilt:
Es wird festgestellt, dass die Beklagten als Gesamtschuldner verpflichtet sind, dem Kläger 70 % aller gegenwärtigen und zukünftigen materiellen Ansprüche sowie alle gegenwärtigen und zukünftigen immateriellen Ansprüche unter Berücksichtigung einer Mithaftung von 30 % aus dem Unfallereignis vom 12.04.2013 in der M.-Straße, Konstanz zu ersetzen, mit Ausnahme der Ansprüche, die auf Dritte, insbesondere Sozialversicherungsträger übergegangen sind oder übergehen.
Gegen diese Entscheidung richtet sich die Berufung der Beklagten. Sie sind der Auffassung, den Kläger treffe die deutlich überwiegende Verantwortung für die Kollision. Wenn zwei Fahrzeugführer aus gegenüber liegenden Ausfahrten auf eine Straße einfahren, müsse der nach links einbiegende Fahrzeugführer in entsprechender Anwendung von § 9 Abs. 4 StVO dem nach rechts einbiegenden Fahrzeug den Vorrang lassen. Der Kläger habe eingeräumt, dass er bei seinem Abbiegevorgang das in der Ausfahrt des S.-Parkplatzes stehende Fahrzeug des Beklagten Ziff. 1 gesehen habe; mithin hätte er dessen Ausfahrt abwarten und dem Beklagten Ziff. 1 den Vorrang gewähren müssen. Zu dem Zeitpunkt, als der Beklagte Ziff. 1 sich entschlossen habe, in die Fahrbahn der M.-Straße einzufahren, habe sich der Kläger mit seinem Motorroller zwar bereits auf der Fahrbahn der Straße befunden; da der Kläger sich bei Beginn des Fahrmanövers des Beklagten Ziff. 1 jedoch noch jenseits der Mittellinie der Straße befunden habe, sei der Beklagte Ziff. 1 nicht verpflichtet gewesen, auf das Einfahrmanöver des Klägers zu reagieren. Solange der Kläger noch nicht die Mittellinie erreicht hatte, sei es ausreichend gewesen, wenn sich der Beklagte Ziff. 1 bei seinem Fahrmanöver allein auf den fließenden Durchgangsverkehr auf der M.-Straße konzentriert habe. Selbst wenn man einen schuldhaften Verkehrsverstoß des Beklagten Ziff. 1 unterstelle, wiege dieser zumindest deutlich weniger schwer als der für den Unfall ursächliche Verkehrsverstoß des Klägers.
Die Beklagten beantragen:
Unter Abänderung des am 11.04.2014 verkündeten Urteils des LG Konstanz AZ: 3 O 294/13 D wird festgestellt, dass die Beklagten als Gesamtschuldner verpflichtet sind, dem Kläger 30 % aller gegenwärtigen und zukünftigem materiellen Ansprüche sowie alle gegenwärtigen und zukünftigen immateriellen Ansprüche unter Berücksichti...