Leitsatz (amtlich)
Eine gegen die Nichtannahme der Berufung nach § 313 Abs. 2 Satz 2 StPO erhobene sofortige Beschwerde, deren Statthaftigkeit die Bestimmung des § 322 a Satz 2 StPO entgegenstünde, ist, sofern eine Verletzung des Anspruchs des Berufungsführers auf rechtliches Gehör im Annahmeverfahren geltend gemacht wird, als "Anhörungsrüge" nach § 33 a StPO i. d. F. des Anhörungsrügengesetzes vom 09.12.2004 (BGBl. I 2004, 3220) zu behandeln, über die das Berufungsgericht zu befinden hat.
Tenor
Die Sache wird zur Entscheidung über die Anhörungsrüge des Angeklagten gegen den Beschluss des Landgerichts M. vom 19. Januar 2005 an die Strafkammer zurückgegeben.
Gründe
Das Amtsgericht - Strafrichter - M. verurteilte den Angeklagten am 11.11.2004 - unter Freisprechung im Übrigen - wegen Beleidigung zu der Geldstrafe von 15 Tagessätzen zu je EUR 8,00. Sein hiergegen form- und fristgerecht mit Verteidigerschriftsatz vom 16.11.2004 eingelegtes, als Berufung zu behandelndes Rechtsmittel verwarf das Landgericht M. mit Beschluss vom 19.01.2005 gemäß §§ 313 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 Satz 2, 322 a StPO als unzulässig; die Strafkammer nahm die Berufung des Angeklagten, die der Annahme bedurfte, nicht an, da sie das Rechtsmittel für offensichtlich unbegründet erachtet. Einen Hinweis, dass diese Verwerfungsentscheidung nicht anfechtbar ist (§ 322 a Satz 2 StPO), gibt der Beschluss nicht. Mit am 28.01.2005 beim Landgericht eingekommenem Schreiben vom 25.01.2005 hat der Angeklagte gegen den Beschluss der Strafkammer "sofortige Beschwerde" eingelegt. Er macht - unter Beifügung einer Ablichtung eines an das Amtsgericht adressierten eigenhändigen Schreibens vom 30.12.2004 - geltend, die Kammer habe bei ihrer Entscheidung seine Berufungsbegründung vom 30.12.2004 nicht berücksichtigt.
Die Generalstaatsanwaltschaft beantragt mit Schrift vom 07.03.2005, die sofortige Beschwerde des Angeklagten als unzulässig zu verwerfen. Eine "Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nach § 33 a StPO" hält sie für nicht geboten, da das Landgericht den Anspruch des Angeklagten auf rechtliches Gehör nicht in entscheidungserheblicher Weise verletzt habe.
Der Senat gibt die Sache an die Strafkammer zur weiteren Veranlassung zurück, da das als "sofortige Beschwerde" bezeichnete Rechtsmittel des Angeklagten als Gehörsrüge nach § 33 a StPO i. d. F. des Anhörungsrügengesetzes vom 09.12.2004 (BGBl. I 2004, 3220) auszulegen ist. Wie sich aus der einen allgemeinen Rechtsgedanken ausdrückenden Bestimmung des § 300 StPO ergibt, ist nämlich ein Rechtsmittel so zu deuten, dass der erstrebte Erfolg möglichst erreichbar ist (vgl. nur Meyer-Goßner StPO 47. Aufl. § 300 Rdnr. 3 m.w.N.).
Der Angeklagte macht mit seiner sofortigen Beschwerde der Sache nach die Verletzung seines Anspruchs auf rechtliches Gehör (Art. 103 Abs. 1 GG) geltend. Mit der sofortigen Beschwerde wird er aber sein Rechtsmittelziel, die Aufhebung des angefochtenen Beschlusses, die Annahme seiner Berufung und die Durchführung einer Berufungshauptverhandlung, nicht erwirken können. Denn die Nachprüfung durch das Beschwerdegericht ist darauf beschränkt, ob das Berufungsgericht die formellen Voraussetzungen des § 313 Abs. 1 StPO - die hier zweifelsfrei gegeben sind - zu Recht angenommen hat, d. h. darauf, ob es sich um einen gesetzlich vorgesehenen Fall der Annahmeberufung nach § 313 Abs. 1 StPO handelt (Senat Die Justiz 1996, 233 = StV 1997, 69 = MDR 1996, 517; OLG Stuttgart Die Justiz 2000, 425; Meyer-Goßner a.a.O. § 322 a Rdnr. 8 m.w.N.). Insbesondere sind die Bestimmungen der §§ 313 Abs. 1, 322 a StPO auch in Fällen einer Hauptverhandlung vor dem Strafrichter mit eingeschränktem Beweisantragsrecht (§ 420 Abs. 4 StPO) - wie vorliegend - anwendbar (OLG Frankfurt/M. NStZ-RR 1997, 273; Meyer-Goßner a.a.O. Rdnr. 6 vor § 417)).
Da die formellen Voraussetzungen des § 313 Abs. 1 StPO erfüllt sind, wäre mithin die sofortige Beschwerde gegen die Entscheidung der Kammer vom 19.01.2005 als unzulässig, weil nicht statthaft, zu verwerfen; der Beschluss, mit dem das Berufungsgericht über die Annahme einer Berufung entscheidet (§ 313 Abs. 2 StPO), ist unanfechtbar ist (§ 322 a Satz 2 StPO). Dies gilt auch im Fall der Nichtannahme der Berufung (Senat a.a.O.; vgl. auch B. v. 11.03.2002 - 3 Ss 30/02 - m.w.N.). Der Rechtsmittelausschluss ist verfassungsrechtlich unbedenklich (vgl. BVerfG B. v. 01.03.1994 - 2 BvR 2112/93 -; KG B. v. 22.12.1999 - 4 Ws 280/99 - jew. bei juris Rechtsprechung), vor allem nun in Anbetracht des in Umsetzung des Plenarbeschlusses des Bundesverfassungsgerichts vom 30.04.2003 - 1 PBvU 1/02 - (BVerfGE 107, 395) mit dem Anhörungsrügengesetz vom 09.12.2004 geschaffenen eigenständigen Rechtsbehelfs der "Anhörungsrüge bzw. Gehörsrüge" nach der neu gefassten Bestimmung des § 33 a StPO (vgl. auch BVerfG NStZ 2002, 43 zum Nachverfahren gem. § 33 a StPO a.F. in Fällen der Nichtannahme der Berufung nach §§ 313, 322 a StPO).
Der Senat deutet nach alledem die sofortige Beschwerde des Angeklagten, die unzulässig wäre, in ...