Entscheidungsstichwort (Thema)
Bindungswirkung einer Verweisung im Zivilprozess: Nachträgliche sachliche Unzuständigkeit im Verfahren vor dem AG
Leitsatz (amtlich)
1. Die Auffassung, eine Verweisung an das LG gem. § 506 ZPO (nachträgliche sachliche Unzuständigkeit des AG) komme auch dann in Betracht, wenn für die ursprüngliche Klage eine ausschließliche Zuständigkeit des AG gegeben war, erscheint zumindest vertretbar.
2. Eine Verweisung gem. § 281 ZPO ist bindend, wenn die Entscheidung objektiv vertretbar ist. Ob die Verweisung zutreffend begründet ist, oder ob das verweisende Gericht evtl. eine Vorschrift übersehen hat, ist für die Bindungswirkung nicht entscheidend.
Verfahrensgang
Tenor
Sachlich zuständig für den Rechtstreit (Klage und Widerklage) ist das LG Offenburg.
Gründe
I. Der Kläger gibt an, er sei Verwalter der Wohnungseigentümergemeinschaft E.. Die Beklagte ist Miteigentümerin dieser WEG. Im Verfahren vor dem AG Oberkirch - 1 C 89/10 - hat der Kläger gegen die Beklagte Ansprüche auf Wohngeldzahlung und Zahlung einer Sonderumlage i.H.v. insgesamt 2.786,25 EUR nebst Zinsen geltend gemacht. Er hat die Auffassung vertreten, er sei von der Eigentümergemeinschaft ermächtigt, in eigenem Namen von der Beklagten Zahlung zu verlangen.
Mit Schriftsatz vom 28.2.2011 hat die Beklagte gegen den Kläger eine Widerklage erhoben über insgesamt 23.110 EUR (21.950 EUR + 1.060 EUR) nebst Zinsen. Zur Begründung hat die Beklagte vorgetragen, der Kläger habe zwischen 2006 und 2009 verschiedene im Eigentum der Beklagten stehende Wohnungen als Sondereigentumsverwalter verwaltet. Im Rahmen dieser Tätigkeit habe der Kläger Gelder, welche der Beklagten zugestanden hätten, veruntreut. Außerdem habe der Kläger in dieser Zeit seine Vergütungsansprüche gegenüber der Beklagten fehlerhaft abgerechnet, so dass der Beklagten Rückzahlungsansprüche entstanden seien.
Mit Beschluss vom 2.3.2011 hat das AG Oberkirch die Parteien darauf hingewiesen, dass das AG durch die Erhebung der Widerklage nachträglich sachlich unzuständig geworden sein dürfte. Daraufhin haben beide Parteien beantragt, den Rechtstreit an das sachlich zuständige LG Offenburg zu verweisen.
Mit Beschluss vom 1.4.2011 hat sich das AG Oberkirch für sachlich unzuständig erklärt und den Rechtstreit auf Antrag beider Parteien an das LG Offenburg verwiesen. Zur Begründung hat das AG auf §§ 506, 281 Abs. 1 ZPO hingewiesen.
Das LG Offenburg hat mit Beschluss vom 7.4.2011 die Übernahme des Verfahrens abgelehnt und das Verfahren an das AG Oberkirch zurückgegeben. Das LG hat die Auffassung vertreten, der Verweisungsbeschluss sei nicht bindend. Denn das AG Oberkirch habe die Vorschriften der §§ 23 Nr. 2c GVG, 43 WEG übersehen. Danach bestehe für die Klageforderung eine besondere ausschließliche Zuständigkeit des AG, die einer Anwendung von § 506 ZPO entgegenstehe.
Das AG Oberkirch hat mit Beschluss vom 15.4.2011 die Akten dem OLG Karlsruhe zur Bestimmung des zuständigen Gerichts vorgelegt. Das AG hält an seiner Auffassung fest, dass die Voraussetzungen für eine Verweisung des Rechtstreits an das LG Offenburg gem. § 506 ZPO gegeben seien.
II. Als sachlich zuständiges Gericht war das LG Offenburg zu bestimmen.
1. Die Voraussetzungen für eine Zuständigkeitsbestimmung gem. § 36 Abs. 1 Ziff. 6 ZPO liegen vor. Das AG Oberkirch und das LG Offenburg haben sich im Sinne dieser Vorschrift rechtskräftig für unzuständig erklärt. Das OLG Karlsruhe ist als das im Rechtszuge zunächst höhere Gericht gem. § 36 Abs. 1 ZPO zur Entscheidung berufen.
2. Die sachliche Zuständigkeit des LG Offenburg ergibt sich aus § 506 Abs. 2 ZPO i.V.m. § 281 Abs. 2 Satz 4 ZPO. Das AG Oberkirch hat den Rechtstreit nach Erhebung der Widerklage gem. § 506 Abs. 1 ZPO an das LG Offenburg verwiesen. Diese Verweisung ist gem. § 281 Abs. 2 Satz 4 ZPO für das LG Offenburg bindend. Auf die Frage, ob die Verweisung eventuell rechtlich fehlerhaft gewesen sein könnte, kommt es für die Bindungswirkung grundsätzlich nicht an.
3. Nach den Grundsätzen der Rechtsprechung zur Bindungswirkung wäre die Verweisung nur dann nicht bindend, wenn sie objektiv willkürlich erscheinen würde (vgl. zu diesem Begriff Zöller/Greger, ZPO, 28. Aufl. 2010, § 281 ZPO Rz. 17). Ob die Voraussetzungen für eine Verweisung des Verfahrens gem. § 506 Abs. 1 ZPO an das LG Offenburg vorlagen, kann dahinstehen. Jedenfalls erscheint die Entscheidung rechtlich vertretbar. Damit scheidet eine Qualifizierung des Beschlusses als objektiv willkürlich aus. Die Voraussetzungen für eine Durchbrechung der Bindungswirkung liegen nicht vor.
a) Zur Frage der sachlichen Zuständigkeit ist - insoweit in Übereinstimmung mit dem AG Oberkirch und dem LG Offenburg - von folgenden rechtlichen Erwägungen auszugehen: Für die Klage bestand zunächst eine ausschließliche sachliche Zuständigkeit des AG gem. § 23 Ziff. 2c GVG i.V.m. § 43 Ziff. 2 WEG. Denn der Kläger hat mit der Klage Ansprüche geltend gemacht, die nach seiner Meinung der Wohnungseigentümergemeinschaft gegen die Beklagte als Mi...