Entscheidungsstichwort (Thema)
Familiensache: Vollstreckbarerklärung eines in der Schweiz behördlich genehmigten Unterhaltsvergleichs
Leitsatz (amtlich)
1. Das HUntVÜ ist auf sämtliche familienrechtliche Unterhaltsansprüche anwendbar und erstreckt sich auf Erstattungsansprüche öffentlicher Leistungsträger, auch wenn diese in Form eines Vergleichs vor einer Behörde geschlossen wurden. (Rn. 23)
2. Ein behördlich genehmigter Unterhaltsvergleich ist mit einer gerichtlichen Entscheidung vergleichbar und erfüllt die nach Art. 21 HuntVÜ erforderliche Vollstreckbarkeit. (Rn. 26)
3. Derjenige, der den Bescheid nicht zugestellt erhält, dem aber später eine Mahnung zugestellt wird, ist verpflichtet, sich zu erkundigen und ggf. Rechtsmittel zu ergreifen. Tut er dies aber nicht, gilt dies als "Akzept", weshalb der Entscheid trotz mutmaßlich mangelhafter Eröffnung vollstreckbar wird. (Rn. 32)
4. Schließlich sieht das schweizerische Recht etwaige Mängel in der Zustellung nur dann als durchgreifend gegen die definitive Rechtsöffnung an, wenn der Unterhaltsschuldner sie rügt und sie überdies geeignet sind, für ihn effektiv Nachteile zu bewirken. Dies wird damit begründet, dass die Leistungspflicht aus dem Unterhaltsvertrag selbst folgt, an dem der Schuldner mitgewirkt hat, und der behördliche Genehmigungsbeschluss lediglich die Verbindlichkeit auch für den Unterhaltsgläubiger herbeiführt, während der Vertrag für den Unterhaltsgläubiger bereits zuvor rechtsgültig ist. (Rn. 33)
5. Eine im Unterhaltsvergleich vereinbarte neutrale Formulierung zur Anpassung der Unterhaltsbeträge an Indexveränderungen schließt eine negative Indexierung zweifellos ein. (Rn. 41)
Normenkette
HUntVÜ Art. 1 Abs. 1 Nrn. 1-2, Art. 4 Abs. 1, Art. 7 Nr. 1, Art. 17 Abs. 1 Nrn. 1-2, Art. 21; ZGB CHE Art. 286 Abs. 1; ZGB CHE Art. 287 Abs. 1; ZGB CHE Art. 287 Abs. 3
Verfahrensgang
AG Karlsruhe (Beschluss vom 23.09.2021; Aktenzeichen AUG 5 F 800/21) |
Tenor
1. Die Beschwerde des Antragsgegners gegen den Beschluss des Amtsgerichts - Familiengericht - Karlsruhe vom 23.09.2021, Az. AUG 5 F 800/21 wird mit der Maßgabe zurückgewiesen, dass der Tenor des Beschlusses unter Ziffer 1 unter Abweisung des weitergehenden Antrags der Antragstellerinnen wie folgt neu gefasst wird:
Der privatschriftliche Unterhaltsvertrag vom 04.11.2011 zwischen Herrn G. M. N. und S. M. S. N. i.V.m. der Genehmigung durch die Vormundschaftsbehörde Kreuzlingen vom 30.11.2011 ist bezüglich der Verpflichtung aus Ziffer 2.1. einschließlich der Indexierung gemäß Ziffer 3. hinsichtlich folgender Unterhaltsverpflichtung mit einer Teil-Vollstreckungsklausel zugunsten der Antragstellerinnen für das Gebiet der Bundesrepublik Deutschland zu versehen:
Die zu vollstreckende Verpflichtung lautet:
Der Antragsgegner G. M. N. wird verpflichtet,
a) an die Antragstellerin zu 1.)
aa) für den Zeitraum vom 01.07.2011 bis 30.06.2021 Kindesunterhalt in Höhe von 22.748,00 CHF und
bb) ab 01.07.2021 bis zum Abschluss der Erstausbildung, mindestens bis zur Mündigkeit laufenden monatlichen Kindesunterhalt in Höhe von CHF 950,00 zu- bzw. abzgl. Indexierung wie folgt zu zahlen:
Die Unterhaltsbeiträge basieren auf dem Landesindex der Konsumentenpreise des Bundesamts für Statistik, Stand August 2011 von 99.4 Punkten (Basis Dezember 2010 = 100 Punkte). Sie sind den Indexveränderungen jeweils gestützt auf den Stand Ende November mit Wirkung für das folgende Kalenderjahr, erstmals per 01.01.2013, anzupassen und auf den nächsten Franken aufzurunden. Der neue Betrag wird entsprechend folgender Formel berechnet: ...
b) an die Antragstellerin zu 2.) als Rechtsnachfolger für den Zeitraum vom 01.01.2012 bis 31.01.2021 CHF 61.625,00 zu zahlen.
2. Die Kosten des Beschwerdeverfahrens trägt der Antragsgegner.
3. Der Verfahrenswert des Beschwerdeverfahrens wird auf EUR 10.792,47 festgesetzt.
Gründe
I. Die Antragstellerinnen begehren die Vollstreckbarerklärung des Unterhaltsvertrags vom 04.11.2011, genehmigt durch die Vormundschaftsbehörde Kreuzlingen am 30.11.2011, durch den sich der Antragsgegner verpflichtet hat, für S. M. S. N. ab Geburt (18.12.2008) bis zum vollendeten 6. Altersjahr einen monatlichen Unterhalt in Höhe von 800,00 CHF, ab dem 7. Altersjahr bis zum vollendeten 12. Altersjahr einen monatlichen Unterhalt in Höhe von 900,00 CHF und ab dem 13. Altersjahr bis zum Abschluss der Erstausbildung, mindestens bis zur Mündigkeit, einen monatlichen Unterhalt in Höhe von 900,00 CHF, jeweils angepasst nach Maßgabe der Indexveränderungen nach schweizerischem Recht zu zahlen. Sie machen geltend, dass der Antragsgegner demnach verpflichtet ist,
a) an die Antragstellerin zu 1.)
aa) für den Zeitraum vom 01.07.2011 bis 30.06.2021 Kindesunterhalt in Höhe von 23.907,00 CHF und
bb) ab 01.07.2021 bis zum Abschluss der Erstausbildung, mindestens bis zur Mündigkeit laufenden monatlichen Kindesunterhalt in Höhe von 950,00 CHF zzgl. Indexierung zu zahlen sowie
b) an die Antragstellerin zu 2.) als Rechtsnachfolger für den Zeitraum vom 01.01.2012 bis 31.01.2021 61.625,00 C...