Leitsatz (amtlich)

Zu den Voraussetzungen eines Ersuchens gemäß Art. 15 Verordnung (EG) Nr. 2201/2003 des Rats über die Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Ehesachen und in Verfahren betreffend die elterliche Verantwortung vom 27.11.2003 - hier: Ersuchen an ein Schottisches Gericht, sich in einem Sorgerechtsverfahren für zuständig zu erklären.

 

Verfahrensgang

AG Freiburg i. Br. (Aktenzeichen 52 F 2860/12)

 

Tenor

Der Haddington Sheriff Court, Schottland, wird ersucht, sich für die Entscheidung über die elterliche Sorge für die Kinder F. L., geboren am..., und J. L., geboren am..., für zuständig zu erklären.

 

Gründe

I. Beim Oberlandesgericht Karlsruhe - Zivilsenate in Freiburg - ist in zweiter Instanz ein Sorgerechtsverfahren betreffend die Kinder F. L., geboren am..., und J. L., geboren am..., anhängig.

In diesem Verfahren wurde der zuvor allein sorgeberechtigten Kindesmutter T. L. mit Beschluss des AG Freiburg vom 15.01.2014 - Aktenzeichen 52 F 2860/12 - die elterliche Sorge in den Bereichen Aufenthaltsbestimmungsrecht, Gesundheitsfürsorge, Antragstellung für Hilfen zur Erziehung und Mitwirkung am Hilfeplan sowie Schul- und Kindergartenangelegenheiten entzogen. Im Umfang der Entziehung wurde der Ergänzungspflegerin B. L. das Sorgerecht für die Kinder übertragen. Es handelt sich dabei um ein von Amts wegen aufgrund einer Gefährdung des Kindeswohls eingeleitetes Sorgerechtsverfahren gemäß § 1666 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB).

Das AG Freiburg begründete den teilweisen Entzug der elterlichen Sorge mit einem erhöhten Förderbedarf der Kinder; das Wohl der Kinder sei erheblich gefährdet, da die Kindesmutter selbst zu einer ausreichenden Unterstützung ihrer Kinder nicht in der Lage sei und die angebotenen Hilfen ablehne. Es bestehe zudem die Gefahr, dass die Kinder durch den massiven Elternkonflikt beeinträchtigt und ärztlich nicht ausreichend betreut würden.

Der Beschluss vom 15.01.2014 wurde der Kindesmutter über ihren damaligen Verfahrensbevollmächtigten bekannt gegeben und ist damit wirksam, § 40 Abs. 1 Gesetz über das Verfahren in Familiensache und in den Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit (FamFG). Zu diesem Zeitpunkt war die Kindesmutter mit ihren Kindern F. und J. bereits nach Schottland übergesiedelt. Der Beschluss wurde von der Kindesmutter mit dem Rechtsmittel der Beschwerde angegriffen. Das Verfahren wird beim Oberlandesgericht Karlsruhe unter dem Aktenzeichen 18 UF 26/14 geführt. Eine Entscheidung über die Beschwerde ist noch nicht ergangen. Die Anfechtung des Beschlusses vom 15.01.2014 beseitigt dessen Wirksamkeit nicht.

II. Das Oberlandesgericht Karlsruhe ersucht den Haddington Sheriff Court, Schottland, sich für die Entscheidung über die elterliche Sorge für die Kinder F. und J. gemäß Art. 15 Verordnung (EG) Nr. 2201/2003 des Rats über die Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Ehesachen und in Verfahren betreffend die elterliche Verantwortung vom 27.11.2003 (im Folgenden: Verordnung (EG) Nr. 2201/2003) für zuständig zu erklären.

Das Oberlandesgericht Karlsruhe ist gemäß Art. 8 Absatz 1 Verordnung (EG) Nr. 2201/2003 in dem hier anhängigen Verfahren weiterhin international zuständig. Der nach der erstinstanzlichen Verfahrenseinleitung erfolgte Aufenthaltswechsel der Kinder lässt die Zuständigkeit grundsätzlich unberührt.

Nach Art. 15 Verordnung (EG) Nr. 2201/2003 kann ein Gericht eines Mitgliedstaats, dessen internationale Zuständigkeit gegeben ist, in Ausnahmefällen das Gericht eines anderen Mitgliedstaats ersuchen, sich unter den dort genannten Voraussetzungen für zuständig zu erklären. Nach Auffassung des Oberlandesgerichts Karlsruhe sind die Voraussetzungen dieser Norm vorliegend gegeben. Die Kinder F. und J. haben zu Schottland inzwischen eine besondere Bindung im Sinne von Art. 15 Abs. 1 Verordnung (EG) Nr. 2201/2003. Aufgrund der besonderen Umstände des Falles entspricht es dem Wohl der Kinder, wenn ein schottisches Gericht entscheidet. Dieses kann den Fall aufgrund des Aufenthalts der Kinder in Schottland besser beurteilen als das derzeit zuständige Gericht.

1. Die Kinder haben ihren gewöhnlichen Aufenthalt in Schottland erworben (Art. 15 Absatz 3 Buchstabe a Verordnung (EG) Nr. 2201/2003).

Die Kindesmutter hat nach eigenen Angaben die Bundesrepublik Deutschland mit ihren Kindern endgültig verlassen, um auf Dauer in Schottland zu bleiben. Die Kinder befinden sich seit Anfang des Jahres 2014 in Schottland. Sie sind dort seit April 2014 in eine Pflegefamilie integriert.

Die Kinder haben mittlerweile ihren Bezug zu ihrem letzten Aufenthaltsort in Deutschland verloren. Ihre bisherige Wohnung in F. wurde im Zuge der Übersiedlung nach Schottland zum Jahreswechsel 2013/2014 aufgegeben. Fortbestehende soziale Kontakte zum hiesigen Bereich sind nicht ersichtlich. Zwar lebt der Kindesvater in Deutschland. Im Zuge der Trennung von der Kindesmutter am 11.12.2008 wurde indes der Mutter aufgrund der zwischen den Eltern bestehenden erh...

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