Entscheidungsstichwort (Thema)
Gegenstandwert eines Abfindungsvergleichs über die Neuwertspitze in der Gebäudeversicherung
Leitsatz (amtlich)
1. Einigen sich die Parteien auf eine Abfindung der Neuwertspitze in der Gebäudeversicherung, muss bei der Streitwertfestsetzung der abgegoltene Anspruch mit einem prozentualen Abschlag reduziert werden, wenn zum Zeitpunkt der Abfindung ungewiss war, ob der Versicherungsnehmer die Voraussetzungen für den noch nicht entstandenen Anspruch (Sicherstellung der Wiederherstellung des Gebäudes) in der Zukunft herbeigeführt hätte.
2. Der prozentuale Abschlag kann mit 50 Prozent abgeschätzt werden, wenn konkrete Anhaltspunkte für die Wahrscheinlichkeit einer Entstehung des Anspruchs in der Zukunft fehlen.
Normenkette
ZPO § 3
Verfahrensgang
LG Offenburg (Aktenzeichen 4 O 162/18) |
Tenor
Auf die Beschwerde der Beklagten wird die Streitwertfestsetzung im Verfahren des Landgerichts (Beschlüsse vom 26.07.2019 und vom 06.09.2019) wie folgt abgeändert:
Der Streitwert wird auf 24.054,49 EUR festgesetzt.
Der überschießende Vergleichswert wird auf 36.754,49 EUR festgesetzt.
Gründe
I. Der Kläger hat nach dem Brand eines Gebäudes Ansprüche aus einer Wohngebäudeversicherung gegen die Beklagte geltend gemacht. In einem Vorprozess (Landgericht Offenburg - 4 O 27/17 -) haben sich die Parteien über die Regulierung des Schadens durch die Beklagte teilweise geeinigt. Die Parteien haben festgestellt, dass die Beklagte zu 80 % zur Regulierung der Schäden aus dem Brandereignis vom 30.04.2013 verpflichtet ist. Hinsichtlich des Zeitwertes und des Mietausfalls hat sich die Beklagte zu einer Teilzahlung in Höhe von 45.056,00 EUR verpflichtet. Im Übrigen haben die Parteien im Vergleich vom 10.10.2017 die Durchführung des bedingungsgemäßen Sachverständigenverfahrens vereinbart, mit welchem der Zeitwert des Gebäudes, der zu ersetzende Mietausfallschaden und die Neuwertspitze verbindlich festgelegt werden sollten. Nach Durchführung des Sachverständigenverfahrens hat der Kläger im vorliegenden Verfahren erneut eine Klage gegen die Beklagte über einen Betrag in Höhe von 24.054,49 EUR zuzüglich Zinsen erhoben. Mit dieser Klage hat der Kläger auf der Grundlage des inzwischen vorliegenden Sachverständigengutachtens restliche Zahlungen für den Zeitwert des Gebäudes und für den Mietausfallschaden verlangt, soweit diese Positionen von der Beklagten noch nicht reguliert wurden. Die Neuwertspitze war nicht Gegenstand der Klage.
Im Termin zur mündlichen Verhandlung vom 06.06.2019 haben die Parteien vor dem Landgericht Offenburg das Verfahren durch einen Vergleich beendet. Die Beklagte hat sich zur Zahlung eines Betrages in Höhe von 35.000,00 EUR verpflichtet. Mit diesem Betrag sollte sowohl die Klageforderung als auch die nicht streitgegenständliche Neuwertspitze abgegolten werden.
Mit Beschluss vom 26.07.2019 hat das Landgericht Offenburg den Streitwert auf 24.054,49 EUR festgesetzt, und den Vergleichsmehrwert auf 91.886,22 EUR. Der Vergleichsmehrwert ergebe sich - auf der Grundlage des im Sachverständigenverfahren eingeholten Gutachtens - aus der Differenz zwischen dem Neuwertschaden (einschließlich Mehrwertsteuer) und dem Zeitwertschaden (ohne Mehrwertsteuer). Der Betrag entspreche der nicht streitgegenständlichen Neuwertspitze, die durch den Vergleich mit abgegolten wurde.
Gegen diese Streitwertfestsetzung richtet sich die Beschwerde der Beklagten. Sie ist der Auffassung, der Vergleichsmehrwert sei deutlich geringer anzusetzen. Zum einen habe das Landgericht bei der Wertfestsetzung nicht berücksichtigt, dass aufgrund der früheren Vereinbarung vom 10.10.2017 in jedem Fall nur ein Anspruch des Klägers in Höhe der Quote von 80 % aus der Neuwertspitze in Betracht gekommen wäre. Zum anderen sei ein weiterer Abschlag vorzunehmen, da zum Zeitpunkt des Vergleichs im vorliegenden Rechtsstreit ungewiss gewesen sei, ob der Kläger innerhalb der vertraglich vereinbarten Frist die Voraussetzungen für einen Anspruch auf Zahlung der Neuwertspitze geschaffen hätte (Sicherstellung der Wiederherstellung des Gebäudes). Die Abgeltung der Neuwertspitze im Vergleich betreffe mithin einen Anspruch, dessen zukünftige Entstehung noch ungewiss gewesen sei.
Mit Beschluss vom 06.09.2019 hat das Landgericht der Beschwerde der Beklagten teilweise abgeholfen und den überschießenden Vergleichswert auf 73.503,98 EUR festgesetzt. Dabei hat das Landgericht berücksichtigt, dass aufgrund der Vereinbarung vom 10.10.2017 in jedem Fall nur ein Anspruch des Klägers in Höhe von 80 % der im Sachverständigenverfahren ermittelten Neuwertspitze in Betracht gekommen wäre. Eine weitergehende Reduzierung des Vergleichsmehrwerts hat das Landgericht abgelehnt. Es handele sich bei der Beklagten um ein Versicherungsunternehmen; daher habe eine Realisierbarkeit der mit abgegoltenen Neuwertspitze nicht in Zweifel gestanden.
Die Parteien hatten im Beschwerdeverfahren Gelegenheit zur Stellungnahme.
II. Die zulässige Beschwerde der Beklagten ist begründet.
1. Die Beschwerde der Beklagt...