Leitsatz (amtlich)
Eine nach Zustellung des Antrags errichtete Jugendamtsurkunde führt nicht zur Unstatthaftigkeit des vereinfachten Unterhaltsverfahrens, kann aber das für die Zulässigkeit des Unterhaltsfestsetzungsantrags erforderliche Regelungsbedürfnis entfallen lassen.
Verfahrensgang
AG Villingen-Schwenningen (Aktenzeichen 26 FH 10/21) |
Tenor
1. Auf die Beschwerde der Antragsgegnerin wird der Beschluss des Amtsgerichts - Familiengericht - Villingen-Schwenningen vom 10.02.2022 (26 FH 10/21) in Ziff. 1, 2 und 4 des Tenors aufgehoben und der Antrag der Antragstellerin auf Festsetzung von Unterhalt zurückgewiesen.
2. Die Antragstellerin trägt die Kosten des Verfahrens beider Instanzen.
3. Der Verfahrenswert für das Beschwerdeverfahren wird auf 5.500,50 EUR festgesetzt.
Gründe
I. Die Antragsgegnerin wendet sich mit der Beschwerde gegen die Festsetzung von Unterhaltszahlungen im vereinfachten Verfahren über den Unterhalt Minderjähriger.
Die minderjährige, am ... geborene Antragstellerin ist die Tochter der Antragsgegnerin. Mit Schreiben vom 06.12.2021 beantragte sie, vertreten durch den Beistand Stadt ..., den von der Antragsgegnerin an das Kind zu zahlenden Unterhalt beginnend ab dem 01.03.2021 in Höhe von 100% des Mindestunterhalts der jeweiligen Altersstufe, abzüglich hälftigen Kindergeldes für ein erstes Kind, festzusetzen.
Mit Verfügung vom 14.12.2021 veranlasste das Amtsgericht Villingen-Schwenningen, dass eine Abschrift des Antrags mit Daten- und Hinweisblatt an die Antragsgegnerin zugestellt wird. Die Zustellung wurde am 16.12.2021 bewirkt. Innerhalb der Frist von einem Monat gemäß § 251 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 FamFG seit der Zustellung wurden von der Antragsgegnerin keine Einwendungen gegen den Antrag erhoben.
Mit Beschluss vom 10.02.2022, der Antragsgegnerin zugestellt am 20.04.2022, wurde sie verpflichtet, für das Kind ..., geb. am ..., ab 01.01.2022 100% des jeweiligen Mindestunterhalts gemäß § 1612a Abs. 1 BGB der 3. Altersstufe, abzüglich des hälftigen Kindergeldes für ein erstes Kind, zu zahlen. Ferner wurde der zu zahlende rückständige Unterhalt für die Zeit vom 01.03.2021 bis 31.12.2021 auf 418,50 EUR festgesetzt.
Am 26.04.2022 errichtete die Antragsgegnerin eine vollstreckbare Jugendamtsurkunde, in der sie sich ab dem 01.03.2021 zur Unterhaltszahlung für die Antragstellerin i.H.v. 100 % des jeweiligen Mindestunterhalts in der jeweiligen Altersstufe abzüglich des hälftigen Kindergeldes für ein erstes bis zweites Kind verpflichtete.
Mit Schreiben vom 29.04.2022, beim Amtsgericht eingegangen am 18.05.2022, legte die Antragsgegnerin Beschwerde gegen den Unterhaltsfestsetzungsbeschluss ein und verwies auf die von ihr errichtete Jugendamtsurkunde vom 26.04.2022.
Der Senat hat die Beteiligten mit Verfügung vom 19.09.2022 darauf hingewiesen, dass mit der Errichtung der Jugendamtsurkunde Erledigung in der Hauptsache eingetreten sein dürfte und angeregt, dass die Beteiligten das vereinfachte Unterhaltsverfahren übereinstimmend für erledigt erklären. Innerhalb der gesetzten Frist zur Stellungnahme bis 04.10.2022 erfolgte keine Reaktion.
Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den Akteninhalt Bezug genommen.
II. Die zulässige Beschwerde der Antragsgegnerin ist begründet und führt zur Aufhebung der erstinstanzlichen Entscheidung und Zurückweisung des Antrags auf Festsetzung des Unterhalts im vereinfachten Verfahren über den Unterhalt Minderjähriger.
1. Die Beschwerde der Antragsgegnerin ist statthaft und auch im Übrigen zulässig.
Insbesondere stützt die Antragsgegnerin ihre Beschwerde auf eine nach § 256 Satz 1 FamFG zulässige Einwendung. Da die Beschwerde gemäß § 65 Abs. 3 FamFG auf neue Tatsachen gestützt werden kann (OLG Nürnberg vom 12.12.2017 - 7 WF 1144/17, juris Rn. 13), kann die Antragsgegnerin den die Zulässigkeit des vereinfachten Unterhaltsverfahrens betreffenden Einwand der Errichtung der Unterhaltsurkunde noch im Beschwerdeverfahren rügen, obwohl sie ihn im erstinstanzlichen Verfahren nicht erhoben hatte (Prütting/Helms/Bömelburg, FamFG, 6. Auflage 2022, § 252 Rn. 29 zum Einwand des gemeinsamen Haushalts). Soweit § 256 Satz 2 FamFG bestimmt, dass die Beschwerde unzulässig ist, wenn sie sich auf nicht vor Erlass des Festsetzungsbeschlusses erhobene Einwendungen stützt, gilt dies nur für solche Einwendungen nach § 252 Abs. 2 bis 4 FamFG.
Die Antragsgegnerin ist mit der Erhebung der Einwendung auch nicht gemäß § 252 Abs. 5 FamFG präkludiert, wonach Einwendungen zu berücksichtigen sind, solange der Festsetzungsbeschluss nicht erlassen ist. Denn hierdurch wird lediglich klargestellt, dass es sich bei der Monatsfrist des § 251 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 FamFG zur Erhebung von Einwendungen nicht um eine Ausschlussfrist handelt, sondern das Gericht Einwendungen nach § 252 Abs. 2 bis 4 FamFG darüber hinaus bis zum Erlass des Festsetzungsbeschlusses zu berücksichtigen hat (Prütting/Helms/Bömelburg, a.a.O., § 252 Rn. 25). Die Erhebung von Einwendungen gegen die Zulässigkeit des vereinfachten Verfahrens wird hierdurch nicht ausges...