Entscheidungsstichwort (Thema)

Orientierungssatz in Anlage als worddokument

 

Orientierungssatz

Orientierungssätze:

Holt der Senat zur Überprüfung der Belastbarkeit einer Zusicherung eines Nichtmitgliedstaates wegen Vorliegens besonderer Umstände eine Stellungnahme des Auswärtigen Amtes ein, so bedürfte eine solche Erklärung gleichwohl einer sorgfältigen gerichtlichen Überprüfung, wobei allerdings einer entsprechenden Bewertung erhebliche Bedeutung beizumessen wäre.

Hält das Auswärtige Amts aber entweder eine vom Oberlandesgericht eingeholte Zusicherung nicht für belastbar oder sieht sich zu einer Stellungnahme nicht in der Lage, wird eine gegenteilige Einstufung im Regelfall versagt sein. In einem solchen Fall fehlt es nämlich an der erforderlichen Grundlage, um im Rahmen der gebotenen Gefahrprognose etwa durchaus naheliegende körperliche oder psychische Übergriffe auf den Verfolgten nach erfolgter Auslieferung mit zureichender Sicherheit ausschließen zu können.

 

Normenkette

IRG §§ 33, 73 S. 1; EMRK Art. 6

 

Tenor

  1. Die Auslieferung des Verfolgten in die Russische Föderation aufgrund des mit Note der Generalstaatsanwaltschaft der Russischen Föderation in Moskau vom 20. März 2020 an den Bundesminister für Justiz und Verbraucherschutz der Bundesrepublik Deutschland gestellten Auslieferungsersuchens wird für - derzeit - nicht zulässig erklärt.
  2. Der Auslieferungshaftbefehl des Senats vom 27. Februar 2020 wird aufgehoben.
  3. Die sofortige Freilassung des Verfolgten wird angeordnet, soweit keine Haftanordnung in anderer Sache gegen ihn vorliegt.
  4. Die Staatskasse trägt die Kosten des Auslieferungsverfahrens und die dem Verfolgten in diesem Verfahren entstandenen notwendigen Auslagen.
  5. Eine Entschädigung für die erlittene Auslieferungshaft wird nicht bewilligt.
 

Gründe

I.

Gegen den sich seit seiner vorläufigen Festnahme am 19.02.2020 zuletzt in Auslieferungshaft befindlichen Verfolgten besteht ein Auslieferungshaftbefehl des Senats vom 27.02.2020. Grundlage desselben ist eine Note der Generalstaatsanwaltschaft der Russischen Föderation in Moskau vom 20.03.2020 an den Bundesminister für Justiz und Verbraucherschutz der Bundesrepublik Deutschland, mit welcher diese um Auslieferung des Verfolgten zum Zweck der Strafverfolgung ersucht. In den dem Auslieferungsersuchen beigefügten Unterlagen wird dem Verfolgten zur Last gelegt, in der Zeit zwischen dem 07.01.2018 und dem 08.01.2018 gemeinsam mit dem gesondert Verfolgten C, im Stadtkreis F./Russland den P. zunächst durch Schläge getötet und die Leiche spätestens am 17.01.2018 in einem Wald beim Dorf K./Russland verscharrt zu haben.

Der Verfolgte hat bei seinen richterlichen Anhörungen am 20.02.2020, 06.03.2020 und 01.04.2020 vor dem Amtsgericht X. einer vereinfachten Auslieferung nicht zugestimmt, weshalb die Generalstaatsanwaltschaft Karlsruhe am 26.03.2020 beantragt hat, die Auslieferung für zulässig zu erklären. Der Verfolgte hat selbst und über seinen Rechtsbeistand zahlreiche Einwendungen gegen die Zulässigkeit der Auslieferung erhoben. Den gegen ihn erhoben Tatvorwurf hat er in Abrede gestellt und im Weiteren unter anderem vorgebracht, er habe sich im März 2017 der Untergrundorganisation "ASOW" - einem paramilitärischen Freiwilligenbataillon - angeschlossen und auf ukrainischer Seite gegen prorussische Separatisten im Osten der Ukraine bis November 2017 gekämpft. Dort sei er vor allem als Ausbilder für Nahkampf und für militärische Erkundung/Spionage bezüglich der Stützpunkte der russischen Separatisten eingesetzt gewesen. Aus diesem Grund fürchte er im Falle einer Auslieferung in die Russische Föderation auch um sein Leben. Daneben hat sein Rechtsbeistand auch die Haftverhältnisse beanstandet und vorgetragen, der Verfolgte würde in der Russischen Föderation menschenrechtswidrig unterbracht. Auch sei zu befürchten, dass sich die russische Föderation nicht an den Grundsatz der Spezialität halten und den Verfolgte auch wegen seines Einsatzes für die "ASOW" verfolgen werde.

Mit Beschluss vom 25.05.2020, auf welchen wegen den Einzelheiten verwiesen wird, hat der Senat eine vorläufige Bewertung der Rechtslage vorgenommen und eine weitere Sachaufklärung für notwendig erachtet. Insoweit wurde der russischen Föderation - zur Wahrung des Rechts des Verfolgten auf ein faires Verfahren - dessen bisherige Einlassung zur Kenntnis gebracht und im Rahmen der gerichtlichen Aufklärungspflicht um Ergänzung der Auslieferungsunterlagen zum weiteren gerichtlichen Verfahren sowie zum Vollstreckungsverfahren, zu den Haftbedingungen sowie um Angabe einer ergänzenden einzelfallbezogenen Zusicherung gebeten. Insoweit hat der Senat in Anbetracht der Behauptung des Verfolgten, er sei ein Gegner der Regierung der Russischen Föderation und habe auch deshalb gegen diese in der Ukraine an kriegerischen Kampfhandlungen teilgenommen, weshalb er nunmehr in der russischen Föderation politisch verfolgt werde, über die in der Note der Generalstaatsanwaltschaft der Russischen Föderation an das Bundesministerium für Justiz u...

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