Leitsatz (amtlich)
Nicht anlagenspezifische Lärmschutzregelungen können Gegenstand einer landesrechtlichen Polizeiverordnung sein und erfassen dann auch von nicht genehmigungsbedürftigen Anlagen (hier: Gaststätte) ausgehenden Lärm.
Tenor
Das Verfahren wird gemäß § 47 Abs. 2 OWiG eingestellt.
Die Kosten des Verfahrens und die dem Betroffenen hieraus entstandenen notwendigen Auslagen fallen der Staatskasse zur Last (§§ 46 Abs. 1 OWiG, 467 Abs. 1 StPO).
Gründe
I.
Der Betroffene wurde vom Amtsgericht Freiburg am 4.4.2016 wegen fahrlässigen "Verstoßes gegen § 18 PolG in Verbindung mit §§ 3, 16 Abs. 1 Nr. 3 PolVO der Stadt Freiburg" zu einer Geldbuße von 70 € verurteilt. Nach den Feststellungen war der Betroffene dafür verantwortlich, dass am 18.1.2015 gegen 3.16 Uhr aus einer Gaststätte in Freiburg ruhestörender Lärm durch Musik nach außen drang.
§ 3 der auf der Grundlage von § 10 Abs. 1 PolG erlassenen städtischen Polizeiverordnung zur Sicherung der öffentlichen Ordnung und gegen umweltschädliches Verhalten in der Stadt Freiburg im Breisgau vom 29.9.2009 bestimmt, dass die Nachtruhe in der Stadt Freiburg von 22.00 Uhr bis 6.00 Uhr dauert und verbietet in dieser Zeit alle Betätigungen, die geeignet sind, die Nachtruhe zu stören. Gemäß § 16 Abs. 1 Nr. 3 der Verordnung handelt ordnungswidrig im Sinne von § 18 Abs. 1 PolG, wer vorsätzlich oder fahrlässig entgegen § 3 durch Lärm die Nachtruhe stört.
Mit dem form- und fristgerecht gestellten Antrag auf Zulassung der Rechtsbeschwerde hat der Betroffene unter Bezugnahme auf verwaltungsgerichtliche Rechtsprechung die Unanwendbarkeit der Polizeiverordnung wegen des Vorrangs des Bundesimmissionsschutzgesetzes (BImSchG) geltend gemacht.
Die Generalstaatsanwaltschaft Karlsruhe hat beantragt, den Antrag als unbegründet zu verwerfen. In der Antragsschrift vom 9.9.2016 ist zur Begründung ausgeführt:
"In § 22 Abs. 1 BImSchG sind die Grundpflichten der Betreiber nicht genehmigungsbedürftiger Anlagen, worunter auch Gaststätten fallen (Jarass, BImSchG, 11. Auflage 2015, § 22 Rn 9), geregelt. Eine nähere Konkretisierung im Bereich des Lärms erfährt diese Norm durch die Nr. 4 TA Lärm (Jarass, BImSchG, 11. Auflage 2015, § 48 Rn 26). Nach § 22 Abs. 2 BImSchG bleiben allerdings weitergehende öffentlich-rechtliche Vorschriften hiervon unberührt, womit das Verhältnis des Abs. 1 zum Landesrecht klargestellt werden soll (hierzu Jarass, BImSchG, 11. Auflage 2015, § 22 Rn 15 ff.). Danach lässt Abs. 2 mit "weitergehenden öffentlich-rechtlichen Vorschriften" immissionsschutzrechtliche Regelungen des Landesrechts zu, wenn sie (nur) weitergehende Anforderungen als Abs. 1 stellen (OVG NW, DVBl 1979, 379 ff.; OVG RP, NVwZ 1989, 275 f.; Hansmann LR 31 f.; Roßnagel/Hentschel GK 189; Pudenz, NuR 1991, 363 ff.; a.A. VGH Mannheim, Beschluss vom 24. März 1997 - 1 S 892/95; BayVGH, GewArch 1986, 70 f.; hierzu auch Holger Wäckel, Grundzüge des Immissionsschutzrechts, 2008, S. 42 f.).
Da § 22 Abs. 1 BImSchG i.V.m. Nr. 4 TA Lärm sich lediglich auf das nach dem Stand der Technik Vermeidbare beschränken (Holger Wäckel, a.a.O. S. 39 f.), gehen Regelungen der Länder (beispielsweise § 9 NRWImSchG oder Lärmschutzverordnungen), die den in § 25 Abs. 2 BImSchG vorausgesetzten Gefahrenbegriff, vor allem durch das Verbot ruhestörenden Lärms zur Nachtzeit, konkretisieren, über die Regelung des § 22 Abs. 1 BImSchG i.V.m. Nr. 4 TA Lärm hinaus (Kutscheidt, Immissionsschutz bei nicht genehmigungsbedürftigen Anlagen, NVwZ 1983, 65, 69 f., Holger Wäckel, a.a.O., S. 39 f.). Dies gilt auch für die §§ 3 Abs. 1, 16 Abs. 1 Nr. 3 PolVO der Stadt Freiburg. Ihre Rechtsgrundlage finden diese Regelungen dabei nicht in § 23 BImSchG, sondern im Landsrecht (Kutscheidt, a.a.O.). Da - entgegen der Auffassung des Antragstellers - § 22 Abs. 1 BImSchG i.V.m. Nr. 4 TA Lärm schon wegen § 22 Abs. 2 BImSchG keine abschließende Regelung darstellen kann, besteht die Möglichkeit, über deren Regelungsgehalt hinaus zum Schutz der Bevölkerung vor Lärm auf Grundlage von § 10 i.V.m. § 1 PolG eine ortspolizeiliche immissionsschutzrechtliche Regelung - wie die vorliegende PolVO der Stadt Freiburg - zu treffen."
Der Senat - in der Besetzung mit einem Richter (§ 80a Abs. 1 und 3 Satz 2 OWiG) - hat mit Beschluss vom 13.3.2017 die Rechtsbeschwerde gemäß § 80 Abs. 2 Nr. 1 OWiG zur Fortbildung des Rechts zugelassen und die Sache auf den Senat in der Besetzung mit drei Richtern übertragen (§ 80a Abs. 3 OWiG).
II.
Der Senat stellt das Verfahren mit Zustimmung der Generalstaatsanwaltschaft Karlsruhe nach § 47 Abs. 2 OWiG ein, nachdem das angefochtene Urteil der nach Zulassung der Rechtsbeschwerde umfassenden Überprüfung nicht standhält und der mit der Fortsetzung des Verfahrens verbundene Aufwand bei ungewissem Ausgang unverhältnismäßig erscheint (vgl. Seitz in Göhler, OWiG, 16. Aufl., § 47 Rn. 41 m.w.N.).
1. Entgegen der in der Antragsbegründung vertretenen Auffassung ist die Polizeiverordnung der Stadt Freiburg vom 29.9.2009 taugliche Grundlage für die Ahndung des dem Betroff...