Entscheidungsstichwort (Thema)

Verfahrensverzögerung durch Abwarten einer höchstrichterlichen Entscheidung

 

Leitsatz (amtlich)

1. Die von einer Partei des Rechtsstreits verweigerte Zustimmung zu einem Ruhen des Verfahrens gem. § 251 Satz 1 ZPO darf das Gericht nicht dadurch ersetzen, dass es ankündigt, einen (weiteren) Verhandlungstermin erst nach Abschluss eines beim BGH anhängigen Revisionsverfahrens zu bestimmen, und damit faktisch einen Verfahrensstillstand herbeiführt, auch wenn es das Abwarten der höchstrichterlichen Klärung einer umstrittenen Rechtsfrage für sachdienlich hält.

2. Auch eine Aussetzung des Verfahrens nach § 148 ZPO kommt in einem solchen Fall nicht in Betracht. Diese setzt unabdingbar voraus, dass die Entscheidung in dem anderen Rechtsstreit vorgreiflich ist, mithin dort über ein Rechtsverhältnis entschieden wird, dessen Bestehen für das auszusetzende Verfahren präjudizielle Bedeutung hat. Dass sich die gleichen Rechtsfragen stellen, reicht dafür nicht aus.

 

Normenkette

ZPO §§ 148, 251 S. 1

 

Verfahrensgang

LG Baden-Baden (Beschluss vom 21.04.2011)

 

Tenor

Auf die sofortige Beschwerde der Klägerin wird der Beschluss der 3. Zivilkammer des LG Baden-Baden vom 21.4.2011 aufgehoben, soweit darin - neben der Aufhebung des Verkündungstermins vom 21.4.2011 - angekündigt wird, neuen Termin erst nach Abschluss eines beim BGH anhängigen Revisionsverfahrens zu bestimmen.

 

Gründe

I. Die Klägerin wendet sich mit der sofortigen Beschwerde gegen die Ankündigung des Gerichts in dem Beschluss vom 21.4.2011, neuen Termin erst nach Abschluss des beim BGH anhängigen Revisionsverfahrens gegen das Urteil des OLG Hamm vom 18.2.2011 (12 U 33/10) zu bestimmen. Auf den der Klägerin am 27.4.2011 zugestellten Beschluss des LG wird Bezug genommen.

Mit der fristgerecht beim LG eingereichten sofortigen Beschwerde erstrebt die Klägerin eine Abänderung der Entscheidung dahin, dass umgehend ein neuer Termin zur mündlichen Verhandlung bestimmt wird. Sie habe einem Ruhen des Verfahrens gem. § 251 Satz 1 ZPO nicht zugestimmt, welches das Gericht durch den angefochtenen Beschluss entgegen den gesetzlichen Voraussetzungen faktisch herbeiführe. Weder die Anordnung des Ruhens des Verfahrens noch eine Aussetzung i.S.v. § 148 ZPO komme in Betracht.

Das LG hat der sofortigen Beschwerde nicht abgeholfen. Es diene den Interessen der Parteien, wenn der Ausgang des anhängigen Revisionsverfahrens vor dem BGH abgewartet werde. Eine Verzögerung vermöge die Kammer - bei der gebotenen Gesamtbetrachtung über die zu erwartenden zwei Instanzen - nicht zu erkennen. Auf den Beschluss vom 24.6.2011 wird wegen der weiteren Einzelheiten verwiesen.

II. Die sofortige Beschwerde der Klägerin ist statthaft (§§ 567 Abs. 1 Nr. 1, 252 ZPO) und zulässig, insbesondere form- und fristgerecht eingelegt (§ 569 Abs. 1 ZPO). Durch den angefochtenen Beschluss führt die Kammer des LG, ohne förmlich das Ruhen des Verfahrens anzuordnen, einen Zustand herbei, der mit einem faktischen Verfahrensstillstand dem Ruhen des Verfahrens bis zu einer Entscheidung des BGH in einem dort anhängigen Revisionsverfahren entspricht. Dies eröffnet die sofortige Beschwerde in analoger Anwendung von § 252 ZPO, denn diese Vorschrift gilt für alle Arten der Aussetzung und erfasst auch alle sonstigen den Stillstand des Verfahrens herbeiführenden Entscheidungen (Zöller/Greger, ZPO, 28. Aufl., § 252 Rz. 1).

Die sofortige Beschwerde der Klägerin ist auch begründet. Die gesetzlichen Voraussetzungen für die Anordnung eines Ruhens des Verfahrens gem. § 251 Satz 1 ZPO liegen nicht vor, weil die Klägerin dies nicht beantragt und einer solchen Verfahrensweise nicht zugestimmt hat, sondern ihr ausdrücklich entgegengetreten ist. Die Kammer will deshalb das Verfahren ohne förmliche Ruhensanordnung nicht weiter fördern, was die ZPO - ohne dahingehende Zustimmung der Parteien - weder vorsieht noch zulässt. Der Senat teilt auch nicht die Auffassung des LG, ein Zuwarten bringe nur geringe Nachteile für die Parteien mit sich und diene deren Interessen. Dies mag allenfalls für die Beklagte gelten, wenn sie eine Verurteilung befürchtet und sich von einer Verfahrensverzögerung Vorteile verspricht. Demgegenüber hat die Klägerin deutlich gemacht, dass sie ihr Recht auf Rechtsschutzgewährung in Anspruch nimmt (BVerfG NJW 2008, 503, Rz. 7), dem Vorrang zukommt, zumal in keiner Weise absehbar ist, ob und ggf. wann der BGH in dem genannten Revisionsverfahren eine Entscheidung treffen wird.

Die Entscheidung des LG lässt sich auch nicht unter dem Gesichtspunkt des § 148 ZPO rechtfertigen. Wie die Kammer selbst erkennt, liegen die Voraussetzungen von § 148 ZPO nicht vor, weil es an einem präjudiziellen Rechtsverhältnis fehlt (BGHZ 162, 373; Zöller/Greger, ZPO § 148 Rz. 5). Unabdingbare Voraussetzung für eine Aussetzung nach § 148 ZPO ist eine Abhängigkeit in dem Sinne, dass die Entscheidung in dem anderen Rechtsstreit vorgreiflich ist. Dies ist nur der Fall, wenn in dem anderen Verfahren über ein Rechtsverhältnis entschieden wird,...

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