Leitsatz (amtlich)
1. Auch wenn ein prognostisches Sachverständigengutachten keine eigene ausdrückliche diagnostische Bewertung eines Störungsbildes des zu Begutachtenden vornimmt, kann die Expertise gleichwohl den Mindestanforderungen für Prognosegutachten genügen (vgl. Boetticher u.a. NStZ 2006, 537 ff., 542), wenn diese auf frühere Begutachtungen verweist und sich diese im Ergebnis zu eigen macht.
2. Auch im Rahmen einer Entlassung zur Bewährung aus der Strafhaft muss die Staatskasse für die Kosten der erforderlichen Fahrten des Verurteilten zur Therapie in einer Forensischen Ambulanz aufkommen, solange und soweit der Verurteilte selbst zu hierzu nicht in der Lage ist. Die gilt insbesondere dann, wenn eine solche das Risiko eines Rückfalls senkende Nachsorge zur Verhinderung einer erneuten Straffälligkeit unerlässlich ist (Fortführung von Senat NStZ-RR 2011, 30).
Normenkette
StGB §§ 57, 57a
Tenor
Die sofortige Beschwerde der Staatsanwaltschaft L. gegen den Beschluss des Landgerichts - Strafvollstreckungskammer - G. vom 03. Juni 2016 wird mit der Maßgabe als unbegründet verworfen, dass Ziffer VII des dortigen Beschlusses wie folgt geändert und ein Entlassungszeitpunkt festgesetzt wird.
Ziffer VII:
- Dem Verurteilten wird auferlegt, binnen zwei Wochen nach seiner Freilassung mit einer nach der VwV Forensischen Ambulanz vom 21. Juni 2010 des Landes Baden-Württemberg (Die Justiz 2010, 274) zugelassenen Forensischen Ambulanz Kontakt aufzunehmen und sich dort unter Entbindung der Einrichtung von der gesetzlichen Schweigepflicht im zweiwöchigen Abstand einer therapeutischen Behandlung von mindestens einer Therapiestunde von 50 Minuten Dauer zu unterziehen. Im Hinblick auf die Auswahl der geeigneten und aufnahmebereiten Einrichtung hat er sich hierzu unverzüglich mit dem ihm zugewiesenen Bewährungshelfer abzusprechen.
- Die Kosten der therapeutischen Behandlung in der Forensischen Ambulanz sowie die Kosten der Anfahrt zur Therapieeinrichtung sind durch die Staatskasse zu tragen, solange und soweit der Verurteilte zur Tragung der Kosten selbst nicht in der Lage ist.
- Der Verurteilte hat in jeder Woche, in welcher ein Therapiegespräch in einer Forensischen Ambulanz nicht stattfindet, mithin im zweiwöchigen Abstand, seinen Bewährungshelfer aufzusuchen.
- Nach Ablauf eines Jahres nach der Haftentlassung hat die Strafvollstreckungskammer zu entscheiden, in welcher Häufigkeit die Gespräche mit der Forensischen Ambulanz und/oder dem Bewährungshelfer fortzusetzen sind.
Entlassungszeitpunkt:
Der Verurteilte ist am 19. Juli 2016 aus der Strafhaft zu entlassen.
- Die Kosten des Beschwerdeverfahren sowie die insoweit entstandenen notwendigen Auslagen des Verurteilen fallen der Staatskasse zur Last.
Gründe
I.
U. wurde durch Urteil des Landgerichts L. - ohne Feststellung der besonderen Schwere der Schuld - wegen Mordes zu einer lebenslangen Freiheitsstrafe verurteilt, weil er am 09.04.2001 in S. Ehefrau, nachdem ihn diese verlassen hatte und die eheliche Beziehung nicht wieder aufnehmen wollte, getötet hatte, indem er dieser eine Bügeleisenschnur um die Hals gelegt und diese so lange zugezogen hatte, bis das sein Opfer erstickt war. Der am 09.04.2001 vorläufig festgenommene Verfolgte befindet sich seit dem 14.03.2002 in Strafhaft, zuletzt in der Justizvollzugsanstalt G., wobei 15 Jahre der gegen ihn verhängten lebenslangen Freiheitsstrafe am 08.04.2015 verbüßt waren. Aufgrund eines unter Einverständnis mit dem Verurteilten erfolgten Antrags der Justizvollzugsanstalt G. vom 06.07.2015 setzte die sachverständig beratene Strafvollstreckungskammer des Landgerichts G. mit Beschluss vom 03.06.2016 die lebenslange Freiheitsstrafe unter Erteilung zahlreicher Weisungen und Auflagen zur Bewährung aus. Hiergegen wendet sich die Staatsanwaltschaft L. mit ihrer form- und fristgemäß eingelegten sofortigen Beschwerde.
II.
Das zulässige Rechtsmittel bleibt im Ergebnis ohne Erfolg, es führt lediglich zur Änderung des im angefochtenen Beschluss unter Ziffer VII erteilten Weisung.
1. Die Verantwortungsklausel des § 57 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 StGB, welche nach § 57 a Abs.1 Satz 1 Nr. 3 StGB auch für die Aussetzung der lebenslangen Freiheitsstrafe gilt, fordert als Voraussetzung für eine vorzeitige bedingte Entlassung die Wahrscheinlichkeit des Erfolges der Aussetzung der Vollstreckung, wobei insbesondere das ausdrückliche genannte Kriterium des Sicherheitsinteresses der Allgemeinheit sowie das Gewicht des bei einem Rückfall bedrohten Rechtsgutes dem Wahrscheinlichkeitsurteil Grenzen setzen. In diesem Rahmen setzt das mit der Aussetzung der Vollstreckung zur Bewährung verbundene "Erprobungswagnis" keine Gewissheit künftiger Straffreiheit voraus; es genügt vielmehr, wenn - eindeutig festzustellende - positive Umstände die Erwartung im Sinne einer wirklichen Chance rechtfertigen, dass der Verurteilte im Falle seiner Freilassung nicht mehr straffällig, sondern die Bewährungszeit durchstehen werde. Dabei gehen nicht aufklärbare Unsicherheiten und Zweifel, ob solche Umstä...