Entscheidungsstichwort (Thema)

Nichteinhaltung der Kontrollzeit bei Atemalkoholmessung. Strafrecht

 

Leitsatz (amtlich)

Die Nichteinhaltung der Kontrollzeit bei einer Atemalkoholmessung führt zu keinem Verwertungsverbot, wenn der Grenzwert nicht nur gerade erreicht oder nur geringfügig überschritten wurde.

 

Normenkette

StVG § 24a

 

Verfahrensgang

AG Waldkirch (Entscheidung vom 16.06.2015; Aktenzeichen 2 OWi 530 Js 10809/15)

 

Tenor

Auf die Rechtsbeschwerde der Staatsanwaltschaft Freiburg wird das Urteil des Amtsgerichts Waldkirch vom 16. Juni 2015 mit den Feststellungen aufgehoben.

Die Sache wird zur erneuten Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Rechtsbeschwerde, an dieselbe Abteilung des Amtsgerichts Waldkirch zurückverwiesen.

 

Gründe

I.

Mit Bußgeldbescheid der Stadt W. vom 11.3.2015 wurde gegen den Betroffenen wegen Führens eines Kraftfahrzeugs mit einer Atemalkoholkonzentration von 0,25 mg/l oder mehr eine Geldbuße von 525,00 € sowie ein Fahrverbot von einem Monat - unter Anwendung der Vier-Monats-Regelung des § 25 Abs. 2a StVG - festgesetzt. Ihm wurde vorgeworfen, am 7.3.2015 in der XStraße in W. ein Kraftfahrzeug mit einer Atemalkoholkonzentration von 0,27 mg/l geführt zu haben.

Auf den Einspruch des Betroffenen sprach ihn das Amtsgericht Waldkirch mit dem angefochtenen Urteil von dem ihm zur Last gelegten Vorwurf aus Rechtsgründen frei. Das Amtsgericht Waldkirch hat zusammengefasst folgende Feststellungen getroffen:

Der Betroffene fuhr am 7.3.2015 mit seinem PKW zum Polizeirevier in W., das er um 13:35 Uhr betrat, um eine Anzeige zu erstatten. Gegen 13:50 Uhr verließ er das Polizeirevier und rauchte eine Zigarette. Der die Anzeige aufnehmende Polizeibeamte, der anlässlich der Anzeigeerstattung Alkoholgeruch wahrgenommen hatte, bemerkte, dass der Betroffene sich zu seinem Kraftfahrzeug begab, um damit wegzufahren. Er rief den Betroffenen zurück, um eine Atemalkoholmessung durchzuführen. Der Betroffene begab sich dann - unbeaufsichtigt - auf die Toilette und trank dort Wasser. Anschließend wurden mit dem Messgerät Dräger Evidential 7110 um 13:57 Uhr und 13:59 Uhr Atemalkoholmessungen durchgeführt, die eine Atemalkoholkonzentration von 0,27 mg/l im Mittel erbrachten.

Das Amtsgericht Waldkirch hält die Messung unter Berufung auf die Entscheidung des Oberlandesgerichts Bamberg (Beschluss vom 27.11.2007, 2 Ss OWi 1489/07, BA 45, 197) vorliegend nicht für verwertbar, da die zehnminütige Kontrollzeit nicht eingehalten worden sei. Deren Einhaltung sei unabdingbar. Nur bei Einhaltung der Kontrollzeit könne ein verwertbares Messergebnis vorliegen. Daran änderten auch die Ausführungen des rechtsmedizinischen Sachverständigen, dass das Rauchen der Zigarette und das Trinken des Wassers das Ergebnis der Messung nicht verfälscht haben können, nichts. Die Zuziehung des Sachverständigen könne nicht geeignet sein, das unter Verstoß gegen die zwingende Gebrauchsanweisung erlangte Messergebnis verwertbar zu machen.

Gegen diese Entscheidung legte die - in der Hauptverhandlung nicht anwesende - Staatsanwaltschaft Freiburg am 14.7.2015 form- und fristgerecht Rechtsbeschwerde ein und begründete diese am 27.7.2015 mit der Verletzung materiellen Rechts. Die Generalstaatsanwaltschaft Karlsruhe trägt mit Schrift vom 28.8.2015 ebenfalls auf Aufhebung des Urteils und Zurückverweisung an. Der Betroffene hatte Gelegenheit zur Stellungnahme.

Mit Beschluss vom 14.10.2015 wurde die Sache dem Bußgeldsenat in der Besetzung mit drei Richtern übertragen, weil es geboten ist, das Urteil zur Fortbildung des Rechts nachzuprüfen, § 80a Abs. 3 OWiG.

II.

Das gemäß § 79 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 OWiG statthafte und auch im Übrigen zulässige Rechtsmittel hat - jedenfalls vorläufig - Erfolg. Der Freispruch hält sachlichrechtlicher Prüfung nicht stand. Die festgestellte Nichteinhaltung der zehn Minuten dauernden Kontrollzeit, die dazu dient die Gefahr der Verfälschung der Messwerte durch eine kurz vor der Messung erfolgte Einnahme von möglicherweise die Messung beeinflussenden Substanzen auszuschließen (vgl. OLG Karlsruhe, Beschluss vom 19.4.2004, 1 Ss 30/04, NZV 2004, 426; Schoknecht, Beweissicherheit der Atemalkoholanalyse, Gutachten des Bundesgesundheitsamtes, Unfall- und Sicherheitsforschung Straßenverkehr, Heft 86, S. 12), führt entgegen der Ansicht des Amtsgerichts nicht generell zu einer Unverwertbarkeit des Messergebnisses (so auch OLG Stuttgart, Beschluss vom 2.7.2010, 4 Ss 369/10, BA 47, 360; OLG Karlsruhe, Beschluss vom 4.2.2011, 3 (4) SsBs 803/10).

Die Nichteinhaltung der zehnminütigen Kontrollzeit stellt nur in den Fällen, in denen der Grenzwert gerade erreicht (OLG Bamberg, Beschluss vom 27.11.2007, 2 Ss OWi 1489/07, BA 45, 197) oder nur geringfügig - um 0,01 mg/l - überschritten wurde (OLG Karlsruhe, Beschluss vom 19.4.2004, 1 Ss 30/04, NZV 2004, 426), einer Verwertbarkeit grundsätzlich entgegen, weil der gewonnene Messwert nur dann ohne Sicherheitsabschlag verwertbar ist, wenn die Bedingungen für ein gültiges Messverfahren gewahrt sind (vgl. BG...

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