Leitsatz (amtlich)
1. Für den Begriff des gewöhnlichen Aufenthalts kommt es auf den Ort des Daseinsmittelpunktes des Minderjährigen und den Schwerpunkt seiner sozialen und seiner familiären Bindungen an, wobei auf die Perspektive des Kindes abzustellen ist. Als Indiz kann die Dauer des tatsächlichen Aufenthalts dienen, wenn dieser länger als 6 Monate gedauert hat.
2. Art. 3 HKÜ enthält bzgl. der Bestimmung des verletzten Sorgerechts eine Gesamtrechtsverweisung; d.h. es wird auf das Recht des Herkunftsstaates insgesamt verwiesen und hier damit auf das Recht des mexikanischen Bundesstaates, in dem das Kind seinen gewöhnlichen Aufenthalt vor der Verbringung hatte. Danach kann sich ergeben, dass, wenn das Kind von beiden Eltern über die Erstellung einer Geburtsurkunde als gemeinsames anerkannt wurde, beide Eltern automatisch die gemeinsame elterliche Sorge innehaben.
3. Aus Art. 23 EGBGB lässt sich keine Zustimmungspflicht des Kindes zu der Anerkennung der Vaterschaft ableiten.
Normenkette
HKÜ Art. 31, 3, 13 lit. B; EGBGB Art. 21, 23
Verfahrensgang
AG Karlsruhe (Aktenzeichen 6 F 211/02) |
Tenor
I. Die sofortige Beschwerde der Antragsgegnerin gegen den Beschluss des AG – FamG – Karlsruhe vom 2.9.2002 (6 F 211/02) wird mit der Maßgabe zurückgewiesen, dass Ziffer 2 des Beschlusses dahingehend abgeändert wird, dass die Antragsgegnerin die Herausgabe des Kindes abwenden kann, wenn sie selbst das Kind bis Montag, den 4.12.2002 an den gewöhnlichen Aufenthaltsort in Mexiko verbringt.
II. Die Entscheidung ergeht gerichtsgebührenfrei. Außergerichtliche Kosten werden nicht erstattet.
III. Der Beschwerdewert wird auf 3.000 Euro festgesetzt.
Gründe
I. Die Parteien sind die leiblichen Eltern des am 29.10.1998 geborenen Kindes D.E.D.A. Der Antragsteller ist mexikanischer Staatsangehöriger und als Wirtschaftsingenieur bei der V. AG in Puebla/Mexiko beschäftigt. Die Antragsgegnerin ist deutsche Staatsangehörige und von Beruf Diplom-Romanistin. Die Parteien sind nicht verheiratet. Die Antragsgegnerin hat den Antragsteller 1996 bei einem Praktikum in Mexiko kennen gelernt. Nach Abschluss ihres Studiums 1997 lebte sie bis Mitte 1998 in Puebla/Mexiko. Im August 1998 ist sie nach O. zurückgekehrt und hat im Oktober 1998 den Sohn D. geboren. In der deutschen Geburtsurkunde ist der Antragsteller nicht als Vater genannt, es erfolgte keine Anerkennung der Vaterschaft nach deutschem Recht und auch keine gemeinsame Sorgerechtserklärung. Der Antragsteller hat von Oktober 1998 bis Februar 2000 aufgrund eines befristeten projektbezogenen Arbeitsvertrages der V. AG in Wolfsburg gelebt, wo ihn die Antragsgegnerin von O. aus besuchte. Ende Februar 2000 verzogen beide Parteien mit dem Kind D. wieder nach Puebla/Mexiko in die von ihnen vorher bewohnte Wohnung. D. wurde dort am 27.3.2001 getauft, war in Puebla in regelmäßiger kinderärztlicher Behandlung und besuchte den Kinderhort. Am 2.6.2000 haben die Parteien gemeinsam vor dem „juez del registro del estado civil” in der Anwesenheit von zwei Zeugen in Puebla eine Geburtsurkunde errichten lassen, in der der Antragsteller und die Antragsgegnerin als Eltern genannt sind. Die Antragsgegnerin hat etwa seit April 2000 bis Spätsommer 2001 als Übersetzerin auf Honorarbasis und Lehrerin bei der V. AG in Puebla gearbeitet (I 201, 207). Sie hat sich zusammen mit dem Kind vom 4.6. bis 8.7.2000, vom 25.9. bis 16.10.2000 und vom 19.3. bis 19.4.2001 in O. aufgehalten, wo sie bei ihrer Mutter in einer Wohnung, die sie während der gesamten Zeit angemietet hatte, gelebt hat. Anfang November 2001 hat der Antragsteller den Pass von D. an sich genommen, aber dann auf Betreiben seines eigenen Vaters an die Antragsgegnerin zurückgegeben. Zu einem Weihnachtsurlaub – der Antragsteller stellte hierzu eine schriftliche, bis zum 31.1.2002 befristete Reiseerlaubnis aus (I 21) – ist sie am 9.12.2001 nach Deutschland gereist und lebt seitdem in O.. Dort ist sie seit dem 31.8.1998 und das Kind D. seit seiner Geburt beim Einwohnermeldeamt gemeldet.
Der Antragsteller ist der Auffassung, das Kind D. habe seinen gewöhnlichen Aufenthalt allein in Mexiko gehabt. Da er sich nur mit einem Besuch des Kindes in Deutschland über Weihnachten einverstanden erklärt habe, verletze die Antragsgegnerin durch das Zurückhalten des Kindes sein Mitsorgerecht. Er bestreitet die persönlichen Beschuldigungen der Antragsgegnerin. Eine Betreuung des Kindes im Fall seiner Rückkehr sei durch den weiteren Besuch im Kinderhort sowie durch die Unterstützung der Eltern und Geschwister des Antragstellers gewährleistet.
Mit am 5.7.2002 beim FamG Karlsruhe eingereichter Antragsschrift der Generalbundesanwaltschaft als Zentraler Behörde hat der Antragsteller die Herausgabe des Kindes D.D.A. an sich zum Zwecke der sofortigen Rückführung nach Mexiko beantragt.
Die Antragsgegnerin hat die Abweisung des Antrags beantragt.
Sie hat vorgetragen, der Antragsteller und sie hätten vereinbart, sich im Wechsel in Mexiko und in Deutschland bzw. im Europäischen Ausland aufzuhalten, was d...