Entscheidungsstichwort (Thema)
Einspruch gegen Bußgeldbescheid. Einspruch mittels E-Mail. standardisiertes Messverfahren. Bedienungsanleitung. Ordnungswidrigkeitenrecht. Einsprucheinlegung mittels E-Mail und Auswirkungen von Abweichungen von der Bedienungsanleitung auf standardisiertes Messverfahren
Leitsatz (amtlich)
1. Der Einspruch gegen einen Bußgeldbescheid kann nicht mittels einfacher E-Mail eingelegt werden.
2. Nicht jede Abweichung von der Bedienungsanleitung nimmt einer Messung den Charakter als standardisiertes Messverfahren. Dies ist etwa dann nicht der Fall, wenn einer vorgeschriebenen Dokumentation keine eigenständige Bedeutung für die Integrität des Messvorgangs zukommt (hier: Datum der durch die Konformitätserklärung gesondert nachgewiesenen Konformitätsbewertung).
Normenkette
OWiG § 67 Abs. 1 S. 1; MessEG § 37 Abs. 1, § 6 Abs. 3
Verfahrensgang
AG Freiburg i. Br. (Entscheidung vom 30.09.2022; Aktenzeichen 29 OWi 560 Js 2116/22) |
Tenor
- Auf die Rechtsbeschwerde der Staatsanwaltschaft wird das Urteil des Amtsgerichts Freiburg vom 30.9.2022 aufgehoben.
- Der Einspruch des Betroffenen gegen den Bußgeldbescheid des Regierungspräsidiums Karlsruhe vom 15.2.2022 wird als unzulässig verworfen.
- Der Betroffene trägt die Kosten des Rechtsbeschwerdeverfahrens.
Gründe
I.
Das Regierungspräsidium Karlsruhe setzte mit Bußgeldbescheid vom 15.2.2022 gegen den Betroffenen wegen fahrlässiger Überschreitung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit außerhalb geschlossener Ortschaften um 67 km/h eine Geldbuße in Höhe von 650 € und ein Fahrverbot von zwei Monaten fest. Mit dem angefochtenen Urteil vom 30.9.2022 sprach das Amtsgericht Freiburg den Betroffenen frei. Dazu führte, dass bei dem Geschwindigkeitsmessgerät vom Typ LTI 20/20 TruSpeed, mit dem die Messung erfolgte, in der Bedienungsanleitung vorgegeben ist, das Datum der Konformitätsbewertung in das Messprotokoll aufzunehmen. Da das Messprotokoll vorliegend nur das Datum der Konformitätserklärung enthielt, kam der Tatrichter zu dem Ergebnis, dass mangels Einhaltung der Vorgaben der Bedienungsanleitung das Messergebnis nicht aufgrund eines standardisierten Messverfahrens ermittelt worden sei. Mangels Speicherung der Rohmessdaten sei auch keine weitere Überprüfung des Messergebnisses möglich.
Hiergegen wendet sich die Staatsanwaltschaft Freiburg mit der frist- und formgerecht eingelegten Rechtsbeschwerde, mit der die Verletzung der richterlichen Aufklärungspflicht und des sachlichen Rechts gerügt wird. Die Generalstaatsanwaltschaft Karlsruhe hat mit Antragsschrift vom 19.1.2023 beantragt, das Urteil aufzuheben und den Einspruch des Betroffenen gegen den Bußgeldbescheid als unzulässig zu verwerfen. Der Betroffene hat dazu am 8.2.2023 eine Gegenerklärung abgegeben.
Dem Antrag der Generalstaatsanwaltschaft entsprechend ist auf die Rechtsbeschwerde das Urteil aufzuheben und der Einspruch des Betroffenen gegen den Bußgeldbescheid vom 15.2.2022 als unzulässig zu verwerfen, weil dem Erlass eines Sachurteils durch das Amtsgericht ein Verfahrenshindernis entgegenstand.
Die Generalstaatsanwaltschaft hat dazu in ihrer Antragsschrift zutreffend ausgeführt:
"Das Amtsgericht hat - wie zuvor die Verwaltungsbehörde - übersehen, dass gegen den Bußgeldbescheid vom 15.02.2022 ein wirksamer Einspruch nicht eingelegt ist. Die eingetretene Rechtskraft des Bescheids stellt ein von Amts wegen zu berücksichtigendes Verfahrenshindernis dar, das neben der Aufhebung des Urteils gemäß § 79 Abs. 6 S. 1 OWiG die Verwerfung des Einspruchs als unzulässig durch das Rechtsbeschwerdegericht erfordert (vgl. OLG Bamberg, Beschluss vom 15.02.2017 - 3 Ss OWi 1294/16 -, BeckRS 2017, 102375 m.w.N.).
Der Bußgeldbescheid vom 15.02.2022 (As. 16) wurde dem Betroffenen am 18.02.2022 gemäß §§ 51 Abs. 1 OWiG, 3 Abs. 2 S. 1 LVwZG, 180 ZPO durch Einlegen in den Briefkasten zugestellt (vgl. As. 20). Die zweiwöchige Einspruchsfrist nach § 67 Abs. 1 S. 1 OWiG endete gemäß §§ 46 Abs. 1 OWiG, 43 Abs. 1 StPO folglich an einem Freitag, dem 04.03.2022.
Der Betroffene übermittelte sein unterschriebenes und eingescanntes Einspruchsschreiben vom 03.03.2022 am selben Tag von seinem E-Mail-Konto mw@bb-walder.de als Anhang einer E-Mail um 13:03:57 (As. 21) und nochmals um 13:05:18 (As. 23) "vorab" zur Kenntnis an die Zentrale Bußgeldstelle des Regierungspräsidiums Karlsruhe.
Der mittels Anhang einer einfachen E-Mail übersandte Einspruch ist jedoch formunwirksam, da er - mangels Verkörperung - weder schriftlich noch zur Niederschrift der Bußgeldbehörde eingelegt worden ist (vgl. § 67 Abs. 1 S. 1 OWiG), aber auch der elektronischen Form gemäß §§ 110c S. 1 OWiG, 32a StPO nicht genügt (vgl. AG Stuttgart, Beschluss vom 23.09.2021 - 18 OWi 73 Js 75232/21 -, BeckRS 2021, 32419, Rn. 7 ff. m.w.N.; vgl. Gertler in: BeckOK OWiG, Graf, 36. Edition, Stand: 01.10.2022, § 67 Rn. 68; Krenberger/Krumm, OWiG, 7. Auf. 2022, § 67 Rn. 33; vgl. auch OLG Karlsruhe, Beschluss vom 18.11.2020 - 2 Rv 21 Ss 483/20 -, juris, Rn. 7 sowie Beschluss vom 07.04.2021 - 2 Ws 73/21, ...