Leitsatz (amtlich)
Extrahiert ein Zahnarzt seinem Patienten ohne medizinische Indikation mehrere Zähne, begeht er die Körperverletzung mittels eines anderen gefährlichen Werkzeugs i.S.v. § 224 Abs. 1 Ziff. 2 StGB.
Normenkette
StGB § 224 Abs. 1 Nr. 2, § 78; StPO § 210 Abs. 2
Verfahrensgang
LG Karlsruhe (Entscheidung vom 05.01.2022; Aktenzeichen 16 KLs 97 Js 474/14) |
Tenor
- Auf die sofortige Beschwerde der Staatsanwaltschaft wird der Beschluss des Landgerichts Karlsruhe - auswärtige Strafkammer Pforzheim - vom 05. Januar 2022 einschließlich der Kosten- und Auslagenentscheidung aufgehoben, soweit die Eröffnung des Hautverfahrens hinsichtlich der Taten Ziff. 11, 16, 2 (ersichtlich gemeint: Ziff. 22) und 23 gemäß Anklage der Staatsanwaltschaft Karlsruhe - Zweigstelle Pforzheim - vom 24. Februar 2017 abgelehnt wurde.
- Auch hinsichtlich der genannten Taten wird die Anklage der Staatsanwaltschaft Karlsruhe - Zweigstelle Pforzheim - vom 24. Februar 2017 zugelassen und das Hauptverfahren vor der 16. großen auswärtigen Strafkammer des Landgerichts Karlsruhe in Pforzheim eröffnet.
Gründe
I.
In ihrer Anklage vom 24.02.2017 legt die Staatsanwaltschaft dem Angeklagten zur Last, im Zeitraum zwischen dem 20.07.2010 und dem 06.06.2014 als Zahnarzt in 33 Fällen seinen Patienten und Patientinnen Zähne extrahiert zu haben, obwohl es hinreichend aussichtsreiche Behandlungsalternativen gegeben habe. Zuvor habe der Angeklagte die Extraktion bestimmter Zähne als zwingend notwendig empfohlen. Im Vertrauen auf die Angaben des Angeklagten hätten die Patienten den Zahnextraktionen zugestimmt, woraufhin der Angeklagte diese Eingriffe mittels der dafür erforderlichen ärztlichen Instrumente vorgenommen habe. Hätte der Angeklagte seine Patienten über die alternativen Behandlungsmethoden aufgeklärt, hätten diese den Zahnerhalt vorgezogen und die Zahnextraktion abgelehnt. Dem Angeklagten sei es dabei darauf angekommen, seine Patienten im weiteren Verlauf mit für ihn einträglichem Zahnersatz versorgen zu können.
Das Landgericht Karlsruhe hat mit dem angefochtenen Beschluss vom 05.01.2022 die Eröffnung des Hauptverfahrens hinsichtlich der Tatvorwürfe Ziff. 11, 16, 2 (ersichtlich gemeint: 22) und 23 abgelehnt. Wegen der weiteren Tatvorwürfe hat es die Anklage mit der Maßgabe zugelassen, dass in rechtlicher Hinsicht von 29 tatmehrheitlichen Vergehen der vorsätzlichen Körperverletzung gemäß §§ 223 Abs. 1, 230, 53 StGB auszugehen sei und insoweit das Hauptverfahren eröffnet.
Soweit die Eröffnung des Hauptverfahrens abgelehnt wurde, hat die Strafkammer dies damit begründet, dass bei den dem Angeklagten zur Last gelegten Taten nur eine rechtliche Würdigung als vorsätzliche Körperverletzung gemäß §§ 223 Abs. 1, 230 StGB in Betracht komme. Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs sei das von einem zugelassenen Arzt oder Zahnarzt bei einem ärztlichen Eingriff bestimmungsgemäß verwendete ärztliche Instrument grundsätzlich weder eine Waffe noch ein gefährliches Werkzeug im Sinne des § 224 Abs. 1 Nr. 2 StGB mit der Folge, dass der Arzt, wenn keine wirksame Einwilligung des Patienten in den Eingriff vorliege, nur wegen vorsätzlicher Körperverletzung gem. § 223 Abs. 1 StGB bestraft werden könne. In Instrumenten, die ein Arzt in Ausübung seines Berufes anwende, sehe die Rechtsprechung deshalb kein gefährliches Werkzeug, weil der Tathandlung in solchen Fällen der Angriffs- oder Verteidigungscharakter fehle. Hiervon ausgehend stehe eine Eröffnung des Hauptverfahrens hinsichtlich der Tatvorwürfe Ziff. 11, 16, 2 (ersichtlich gemeint: 22) und 23 der Anklage im Hinblick auf die länger als 10 Jahre zurückliegenden Tatzeiten das Verfahrenshindernis der (absoluten) Verfolgungsverjährung entgegen.
Gegen den ihr am 07.01.2022 zugestellten Beschluss hat die Staatsanwaltschaft K. fristgerecht am 11.01.2022 sofortige Beschwerde eingelegt. Die Staatsanwaltschaft, deren Rechtsmittel auch von der Generalstaatsanwaltschaft K. vertreten wird, ist der Ansicht, dass alle Taten als gefährliche Körperverletzung (§ 224 Abs. 1 Nr. 2 StGB) zu qualifizieren seien, weshalb Verfolgungsverjährung nicht eingetreten und das Hauptverfahren auch hinsichtlich dieser Taten zu eröffnen sei. Der Verteidiger des Angeklagten hält die sofortige Beschwerde der Staatsanwaltschaft schon für unzulässig, jedenfalls aber unbegründet und beantragt mit Schrift vom 25.02.2022, das Verfahren insgesamt nach § 206a StPO einzustellen.
II.
Die gemäß § 210 Abs. 2 StPO statthafte und auch im Übrigen zulässige sofortige Beschwerde ist begründet. Auch hinsichtlich der Tatvorwürfe Ziff. 11, 16, 2 (ersichtlich gemeint: 22) und 23 der Anklage ist keine Verfolgungsverjährung eingetreten.
1. Die dem Angeklagten (in tatsächlicher Hinsicht zu Recht) angelasteten Taten sind als gefährliche Körperverletzung gemäß §§ 224 Abs. 1 Nr. 2, 53 StGB zu qualifizieren, sodass die Verjährungsfrist gemäß § 78 Abs. 3 Nr. 3 StGB zehn Jahre beträgt. Hinsichtlich der verfahrensgegenständlichen Taten begann die Frist am 20.07.2010 (Ziff. 11), 29.1...