Entscheidungsstichwort (Thema)

Versuchter Mord. Versagung bedingter Entlassung nach § 57 Abs. 1 StGB

 

Leitsatz (redaktionell)

Bei seiner nach § 57 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 StGB vorzunehmenden Prognoseentscheidung hat das Gericht zu beachten, dass mit zunehmender Dauer des Freiheitsentzuges der Anspruch des Verurteilten auf Achtung seiner Menschenwürde und seiner freien Persönlichkeit zunehmendes Gewicht erhält, weshalb für die vorausschauende Beurteilung dem derzeitigen Vollzugsverhalten besondere Bedeutung zukommt, insbesondere gilt dies für die Erfahrungen der Vollzugsanstalt, aber auch des Verurteilten selbst, die bei gewährten Vollzugslockerungen gewonnen werden konnten.

 

Verfahrensgang

LG Mannheim (Beschluss vom 02.02.2000; Aktenzeichen StVK 18 - R - 300/99)

 

Gründe

I.

H. M. wurde durch Urteil des Landgerichts Karlsruhe vom 02.07.1996 (1 Ks 3/96) wegen versuchten Mordes zu einer Freiheitsstrafe von fünf Jahren und sechs Monaten verurteilt. Nach den gerichtlichen Feststellungen hatte er am 16.09.1995 in K. mehrfach mit einem Messer auf den iranischen Staatsangehörigen R. A. eingestochen, nachdem die Ehefrau des Verurteilten ihn mit den zwei ehegemeinschaftlichen Kindern verlassen und mit A. zusammengezogen war. Seit 16.09.1995 befindet er sich in Haft, zwei Drittel der Strafe waren am 16.05.1999 verbüßt, das Strafende war ursprünglich auf den 17.03.2001 notiert.

Mit Beschluss vom 11.06.1999 (- 3 Ws 123/99 -, abgedruckt in: StV 1999, 495 f. = NStZ-RR 2000, 125 f. = Die Justiz 2000, 125 f.) hat der Senat die sofortige Beschwerde des Verurteilten gegen den Beschluss der Strafvollstreckungskammer des Landgerichts Mannheim vom 12.05.1999, mit welchem diese seine vorzeitige Entlassung abgelehnt hatte, als unbegründet verworfen, jedoch ausgesprochen, dass bei einer erneuten Antragstellung nach § 57 Abs. 1 StGB ein kriminalprognostisches Gutachten über den Verurteilten (§ 454 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 StPO) einzuholen sei, entweder durch Beauftragung des Anstaltspsychologen oder, sofern zeitnah erstellbar, durch einen psychiatrischen Sachverständigen.

Auf den entsprechenden Antrag des Verurteilten vom 21.06.1999 hat die Strafvollstreckungskammer am 23.07.1999 die kriminalprognostische Begutachtung des Verurteilten durch einen Fachpsychiater, nämlich Dr. med. J. S., angeordnet, dessen Expertise am 13.10.1999 zu den Akten gelangte.

Mit Beschluss vom 02.02.2000, der am 17.02.2000 an die Verteidigerin des Verurteilten zugestellt wurde, hat es die Strafvollstreckungskammer erneut abgelehnt, die Vollstreckung der Restfreiheitsstrafe zur Bewährung auszusetzen. Hiergegen wendet sich die Verteidigerin des Verurteilten mit der am 21.02.2000 beim Landgericht Mannheim eingekommenen sofortigen Beschwerde, mit welcher sie namens und im Auftrag ihres Mandanten die Bewilligung der Strafaussetzung anstrebt.

Der Verurteilte selbst wurde am 30.11.1999 aufgrund rechtskräftiger Ausweisungsverfügung des Regierungspräsidiums K in sein Heimatland Iran abgeschoben, nachdem die Staatsanwaltschaft Karlsruhe für diesen Fall bereits mit Verfügung vom 29.10.1996 von der weiteren Vollstreckung der Freiheitsstrafe gemäß § 456 a StPO abgesehen hatte.

II.

Die gemäß § 454 Abs. 3 Satz 1 StPO statthafte sofortige Beschwerde ist zulässig, insbesondere form- und fristgemäß erhoben.

Sie ist auch begründet.

1. Zu Recht hat die Strafvollstreckungskammer nach § 57 Abs. 1 StGB über den Antrag des Verurteilten entschieden. Die zwischenzeitlich erfolgte Haftentlassung und seine Abschiebung in den Iran standen einer Sachentscheidung nicht entgegen, insbesondere ist hierdurch keine prozessuale Überholung des von ihm gestellten Antrags auf bedingte Entlassung eingetreten (Kleinknecht/Meyer-Goßner, StPO, 44. Aufl. 1999, vor § 296 Rdn. 17). Der Senat teilt die Ansicht, dass die Entscheidung der Staatsanwaltschaft, von der weiteren Vollstreckung der Strafe nach § 456 a StPO abzusehen, und die Entscheidung über die Strafaussetzung zur Bewährung nach § 57 Abs. 1 StPO nebeneinander stehen und über letztere auch dann noch zu entscheiden ist, wenn die Entschließung der Staatsanwaltschaft tatsächlich vollzogen wurde (vgl. OLG Karlsruhe, Die Justiz 1993, 233 f.; OLG Frankfurt, StV 1985, 23 ff.; OLG Stuttgart, Die Justiz 1988, 104; StV 1999, 276 f.; OLG Düsseldorf, JMBlNRW 1989, 69 f.; OLG Köln, MDR 1991, 276; zu § 57 Abs. 2 StGB vgl. jüngst: auch KG, Beschluss vom 27.01. 2000 - 5 Ws 698/99 -). Bei der Entschließung nach § 456 a StPO handelt es sich nämlich nur um eine vorläufige Maßnahme, welche den Strafvollstreckungsanspruch und die Ergreifung von Fahndungsmaßnahmen unberührt lässt (OLG Karlsruhe, aaO.) und die sich von der Aussetzung des Strafrestes nach Zuständigkeiten, Voraussetzungen und Wirkungen (zu den Folgen der Rückkehr eines abgeschobenen Ausländers, vgl. Senat, NStZ 1994, 254 f.) unterscheidet (OLG Stuttgart, StV 1999, 277); außerdem verbleibt dem Verurteilten trotz vollzogener Abschiebung die Möglichkeit, rechtmäßig zu Kurzbesuchen in die Bundesrepublik Deutschland einzureisen, wenn ...

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