Entscheidungsstichwort (Thema)

Belehrungspflicht des Rechtsschutzversicherers

 

Leitsatz (amtlich)

1. Der Rechtsschutzversicherer ist auch dann zur Belehrung der Versicherungsnehmerin gemäß § 128 Satz 2 VVG verpflichtet, wenn er seine Leistungspflicht nur teilweise verneint.

2. Der Rechtsschutzversicherer hat sich bei einer Deckungsanfrage zu den geltend gemachten Ansprüchen vollständig und verbindlich zu erklären. Im Versicherungsvertrag nicht vorgesehene Vorbehalte, Bedingungen oder Einschränkungen bei einer Deckungszusage sind als Teilablehnung zu werten, welche die Belehrungspflicht gemäß § 128 Satz 2 auslöst.

3. Unterlässt der Versicherer eine gemäß § 128 Satz 2 VVG erforderliche Belehrung, gilt das Rechtsschutzbedürfnis der Versicherungsnehmerin gemäß § 128 Satz 3 VVG als anerkannt. Der Umstand, dass die Versicherungsnehmerin durch einen Anwalt vertreten ist, der Inhalt und Bedeutung der erforderlichen Belehrung kennt, ändert an dieser Wirkung nichts.

 

Normenkette

VVG § 128

 

Verfahrensgang

LG Freiburg i. Br. (Aktenzeichen 14 O 277/16)

 

Tenor

Der Senat erwägt eine Zurückweisung der Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Landgerichts Freiburg vom 22.11.2017 - 14 O 277/16 -. Die Parteien erhalten vor einer Entscheidung Gelegenheit zur Stellungnahme binnen drei Wochen.

 

Gründe

I. Die Parteien streiten über Leistungspflichten der Beklagten aus einer Rechtsschutzversicherung.

Der Ehemann der Klägerin schloss im Jahr 1999 bei der D. AG eine Rechtsschutzversicherung ab. Die Klägerin ist in diesem Vertrag mit versichert. Die Einzelheiten der vertraglichen Vereinbarungen ergeben sich aus dem Versicherungsschein (Anlage K 1) nebst den allgemeinen Bedingungen für die Rechtschutzversicherung (D. ARB 2000). Die Beklagte ist das vom Versicherer beauftragte Schadensabwicklungsunternehmen im Sinne von § 126 VVG.

Die Klägerin hat geltend gemacht: Am 21.05.2014 sei sie in Freiburg mit der Straßenbahn gefahren. Die Straßenbahn sei mit einem von der Schädigerin B. G. geführten Roller kollidiert. Für die Kollision sei allein die Schädigerin verantwortlich. Der Straßenbahnführer habe eine Vollbremsung ausgelöst. Dadurch sei die Klägerin in der Straßenbahn gestürzt. Sie habe sich erhebliche Verletzungen mit gesundheitlichen Dauerfolgen zugezogen. Sie wolle Schadensersatz- und Schmerzensgeldansprüche gegen die Schädigerin und deren Haftpflichtversicherung geltend machen.

Mit einer E-Mail ihrer Rechtsanwältin vom 23.02.2016 (Anlage K 2) wandte sich die Klägerin an die Beklagte mit der Bitte um eine Deckungszusage für die außergerichtliche Geltendmachung von Schadensersatz- und Schmerzensgeldansprüchen gegen die Haftpflichtversicherung der Schädigerin. Dem Ersuchen war ein 19-seitiger Entwurf eines Anspruchsschreibens gegen den Haftpflichtversicherer nebst umfangreichen medizinischen Unterlagen beigefügt. Mit Schreiben vom 14.03.2016 (Anlage K 3) erklärte die Beklagte, sie gewähre Deckungsschutz, jedoch "zunächst nur dem Grunde nach". Die aus dem Entwurfsschreiben der Klägerin ersichtlichen Ansprüche seien weit übersetzt. Sie bitte darum "die Höhe der geltend zu machenden Ansprüche abzustimmen". Die Klägerin widersprach mit einer E-Mail vom 18.03.2016 (Anlage K 4) und bat "um eine Deckungszusage auch der Höhe nach". In einem Schreiben vom 19.04.2016 (Anlage K 6) blieb die Beklagte bei ihrer bereits geäußerten Auffassung und führte unter anderem aus:

"Mit der Erteilung des Versicherungsschutzes für das außergerichtliche Verfahren dem Grunde nach sind wir unserer Leistungspflicht nachgekommen. Ein Anspruch auf eine sich auf einen bestimmten Streitwert erstreckende Zusage der Höhe nach besteht nicht (vgl. OLG Saarbrücken, Urteil vom 08. Oktober 2015, 5 U 20/15, 2016, Seite 98 ff.).

Geht es nicht um die Leistungsablehnung dem Grunde nach, sondern um die Frage der Höhe der Geltendmachung der Ansprüche, ist dies keine Frage der Prüfung der Erfolgsaussichten nach § 18 ARB. Vielmehr handelt es sich um eine Frage der Schadenminderungsobliegenheit und Kürzung der Einstandspflicht (OLG Saarbrücken, a. a. O. und Obarowski: Münchener Kommentar-VVG, Anhang zu § 125 Rn. 293).

Im Verhältnis zum Rechtsschutzversicherer geht es um eine bloße Abstimmungsfrage. Den Versicherer trifft daher keine Hinweispflicht nach § 128 VVG (Gutachterverfahren). Die vorgelegte Entscheidung des LG Münster ist nicht einschlägig, weil wir den Versicherungsschutz nicht versagt haben.

Wegen der Schadenminderungsobliegenheit weisen wir Frau Rechtsanwältin S. darauf hin, dass die Bezifferung des Schmerzensgeldes mit einem Betrag von 50.000,00 EUR bei weitem übersetzt ist. Denn die angeführte Entscheidung des LG München zum Schmerzensgeld für einen querschnittsgelähmten 48-jährigen Mann ist mit dem vorliegenden Sachverhalt nicht vergleichbar. Wir bitten zu berücksichtigen, dass das Schmerzensgeld nach dem Gesetz eine "billige Entschädigung in Geld" darstellt und dem Schmerzensgeld eine Ausgleichs- und Genugtuungsfunktion zukommt, der Geschädigte durch den Schadensfall aber "nicht hin...

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