Entscheidungsstichwort (Thema)
Behördlich angeordnete Aufnahme eines Kindes in einer Pflegestelle. Prüfungsmaßstab bei Einschränkungen des Sorge- und Umgangsrechts der Eltern
Leitsatz (redaktionell)
Nach erfolgter staatlicher Inobhutnahme eines Kindes ist bei jeglichen weiteren Beschränkungen, z.B. des Umgangsrechts der Eltern, ein strenger Prüfungsmaßstab anzulegen.
Normenkette
BGB §§ 1666, 1684; FGG § 24 Abs. 3
Verfahrensgang
AG Heidelberg (Beschluss vom 15.11.2007; Aktenzeichen 37 F 115/07 (EA)) |
Tenor
Die beantragte Aussetzung der Vollziehung des Beschlusses des AG Heidelberg vom 15.11.2007 (Az.: 37 F 115/07 (EA) wird abgelehnt:
Gründe
Die am ... 2005 geborene ... ist das Kind der Eltern ... Es befindet sich seit Dezember 2006 mit Zustimmung der Eltern in einer sog. Kurzzeitpflegestelle, weil der Vater berufstätig ist und die Mutter an einer drogenindizierten Psychoseerkrankung leidet. Bis August hatten die Eltern von Samstag 10 Uhr bis Sonntag 18 Uhr Umgang mit ..., gegenwärtig alle 14 Tage eine Stunde vormittags begleiteten Umgang.
Das Jugendamt beabsichtigt,... in einer Langzeitpflegestelle unterzubringen. Dem haben die Eltern widersprochen und eine Herausgabe des Kindes beantragt. Das Jugendamt hat die Übertragung des Aufenthaltsbestimmungsrechtes beantragt. ...
Eine Aussetzung der Vollziehung der - den Umgang anordnenden (Ergänzung Redaktion) - einstweiligen Anordnung gem. § 24 Abs. 3 FGG ist nicht geboten.
Ebenso wie das AG sieht der Senat gegenwärtig keine Veranlassung, den Umgang zwischen den Eltern und ihrem Kind ab sofort zu unterbinden. Aus den dem Senat zugänglich gemachten Unterlagen (...) ergibt sich keine ausreichende Begründung dafür, warum das Wohl des Kindes dadurch gefährdet sein soll, dass es alle 14 Tage seine Eltern für mehrere Stunden sieht. Insbesondere nötigt eine angestrebte Langzeitpflege hierzu nicht. Damit ist keine Entscheidung über die Ausübung des Umgangsrechtes auf Dauer verbunden.
Der Senat sieht sich veranlasst, darauf hinzuweisen, dass das Jugendamt offenbar wie selbstverständlich davon ausgeht, dass eine Rückführung des Kindes in seine Herkunftsfamilie von selbstgesetzten Bedingungen abhängig machen zu können (vgl. den Jugendamt Bericht vom 15.8.2007 S. 4). Der EuGH hat hierzu in einer Entscheidung vom 8.4.2004 (FamRZ 2005, 585) u.a. ausgeführt (in der Entscheidung vom 26.2.2004 = FamRZ 2004, 1456 wird dies als "ständige Spruchpraxis" bezeichnet):
"... 92. Nach erfolgter staatlicher Inobhutnahme ist ein strengerer Prüfungsmaßstab (stricter scrutiny) bei jeglichen weiteren Beschränkungen anzulegen, z.B. bei Einschränkungen des Sorge- und Umgangsrechts der Eltern und bei gesetzlichen Vorkehrungen zur Gewährleistung eines effektiven Schutzes der Rechte von Eltern und Kindern auf Achtung ihres Familienlebens. Solche weitergehenden Beschränkungen beinhalten die Gefahr, dass familiäre Beziehungen zwischen den Eltern und einem kleinen Kind endgültig abgebrochen werden (vgl.: Elsholz/Deutschland (GK), Urt. v. 13.7.2000 - Beschwerde Nr-25735/94, Ziff. 49, EuGHMR 2000-VIII = FamRZ 2001, 341; Kutzner/Deutschland, a.a.O., Ziff. 67; Sahin/Deutschland, a.a.O., Ziff. 65).
93. Die Inpflegenahme eines Kindes stellt grundsätzlich eine vorübergehende Maßnahme dar, die zu beenden ist, sobald die Umstände dies erlauben. Alle Durchführungsmaßnahmen haben mit dem anzustrebenden Ziel der Zusammenführung von leiblichen Eltern und ihrem Kind in Einklang zu stehen (vgl.: Johansen/Norwegen, a.a.O., S. 1008 - 1009, Ziff. 78; E. B./Italien, Urt. v. 16.11.1999 - Beschwerde Nr. 31127/96, Ziff. 69)..."
Diesem Ziel widerspräche die sofortige Einstellung der Umgangskontakte.
Fundstellen
Haufe-Index 2036061 |
FamRZ 2008, 1554 |
OLGR-Süd 2008, 797 |