Entscheidungsstichwort (Thema)
Verwerfung der Berufung des Angeklagten. Übersetzung der Ladung zur Hauptverhandlung. Unwirksamkeit der Ladung. faires Verfahren. Zum Erfordernis der Übersetzung der Ladung und des Hinweises auf die Folgen des Ausbleibens und den Auswirkungen eines Verstoßes
Leitsatz (amtlich)
1. Die Beanstandung, dass verfahrensrechtliche Voraussetzungen einer Berufungsverwerfung gemäß § 329 Abs. 1 Satz 1 StPO nicht vorgelegen haben, ist mit der Verfahrensrüge geltend zu machen.
2. Ist der Angeklagte nicht der deutschen Sprache mächtig und ist seine Unterrichtung nicht auf andere Weise sichergestellt, liegt es nahe, dass sich aus dem Anspruch auf ein faires Verfahren die Pflicht zur Übersetzung der Ladung und des Warnhinweises gemäß §§ 216 Abs. 1 Satz 1, 323 Abs. 1 Satz 2 StPO ergibt.
3. Unterbleibt die Übersetzung, führt dies nicht zur Unwirksamkeit der Ladung; der Anspruch auf ein faires Verfahren wird in der Regel durch die Möglichkeit zur Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gewahrt.
Normenkette
StPO § 329 Abs. 1 S. 1, § 216 Abs. 1 S. 1, § 323 Abs. 1 S. 2; EMRK Art. 6 Abs. 3 Buchst. e); GVG § 187 Abs. 1 S. 1, Abs. 2 S. 1
Verfahrensgang
LG Freiburg i. Br. (Entscheidung vom 24.06.2021; Aktenzeichen 12/21 14 Ns 240 Js 22300/20) |
Tenor
Die Revision des Angeklagten gegen das Urteil des Landgerichts Freiburg vom 24.6.2021 wird als unbegründet verworfen.
Der Beschwerdeführer hat die Kosten seines Rechtsmittels zu tragen.
Gründe
Das Amtsgericht Freiburg verurteilte den Angeklagten wegen versuchten Raubes in Tateinheit mit Sachbeschädigung zu der Freiheitsstrafe von sieben Monaten, deren Vollstreckung zur Bewährung ausgesetzt wurde. Das Landgericht Freiburg verwarf mit dem angefochtenen Urteil vom 24.6.2021 die Berufung des Angeklagten, nachdem dieser zur Berufungshauptverhandlung nicht erschienen war und der anwesende Verteidiger keine Vertretungsvollmacht hatte.
Mit der form- und fristgerecht eingelegten Revision wird vor allem beanstandet, dass der Angeklagte nicht ordnungsgemäß zur Berufungshauptverhandlung geladen worden sei.
Die Überprüfung des Urteils deckt nach einstimmig getroffener Entscheidung (§ 349 Abs. 2 StPO) keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten auf.
Eines näheren Eingehens bedarf es dabei nur auf die in der Revisionsbegründung aufgestellte Behauptung, die Voraussetzungen für eine Verwerfung der Berufung des Angeklagten gemäß § 329 Abs. 1 Satz 1 StPO hätten nicht vorgelegen.
1. Soweit in diesem Zusammenhang die Ordnungsmäßigkeit der Ladung des Angeklagten zur Berufungshauptverhandlung mit Zweifeln daran, dass der Angeklagte an der Zustellanschrift tatsächlich gewohnt habe, in Frage gestellt wird, ist die dazu erforderliche Verfahrensrüge nicht in einer den Anforderungen des § 344 Abs. 2 Satz 2 StPO genügenden Weise ausgeführt und deshalb bereits unzulässig.
a) Bei den einzelnen Voraussetzungen des Verwerfungsurteils nach § 329 StPO handelt es sich nicht um Verfahrensvoraussetzungen, die bereits auf die Sachrüge hin vom Revisionsgericht von Amts wegen zu prüfen sind. Beanstandungen der prozessualen Voraussetzungen für ein Verwerfungsurteil müssen deshalb mit der Verfahrensrüge vorgebracht werden (BGH MDR 1987, 336; KG NStZ 2009, 111; OLG Hamm, Beschluss vom 25.10.2016 - III-3 Rvs 72/16, juris; BayObLG, Beschluss vom 9.10.2020 - 202 StRR 94/20, juris). Dazu gehört auch, dass ein Verfahrensverstoß bestimmt behauptet und nicht nur als bloße Möglichkeit in den Raum gestellt wird (st. Rspr., BGHSt 19, 273; NJW 1953, 836; NStZ 2021, 512).
b) Dem genügt der Vortrag in der Revisionsbegründung, wonach es sich "nicht nachhalten" ließ, ob der Angeklagte der Wohnsitznahme in der ihm zugewiesenen Sammelunterkunft nachgekommen ist, und es offen geblieben sei, ob der Angeklagte zu irgendeinem Zeitpunkt unter der Anschrift erreichbar war, nicht.
2. Die weitere Beanstandung, dem nicht der deutschen Sprache mächtigen Angeklagten sei die Ladung zur Berufungshauptverhandlung (und der damit verbundene Hinweis auf die Folgen seines Ausbleibens) nicht in eine für ihn verständliche Sprache übersetzt worden, ist zulässig, aber unbegründet.
a) Die Rüge einer Verletzung des § 329 Abs. 1 Satz 1 StPO ist insoweit zulässig ausgeführt. Insbesondere wird in der Revisionsbegründung auch mitgeteilt, dass der Angeklagte nicht bereits im Zusammenhang mit der Verkündung des amtsgerichtlichen Urteils über die Folgen eines Ausbleibens im Berufungstermin belehrt wurde (dazu OLG Hamm, Beschluss vom 25.10.2016 a.a.O.; BayObLG a.a.O.).
b) Die Rüge ist aber unbegründet, obwohl nach Aktenlage davon auszugehen ist, dass die von der Vorsitzenden der Berufungskammer verfügte Übersetzung tatsächlich nicht ausgeführt wurde. Denn unabhängig davon, ob eine rechtliche Verpflichtung zur Beifügung einer Übersetzung der Ladung in eine für den Angeklagten verständliche Sprache bestand, führt der Verstoß hiergegen nicht zur Unwirksamkeit der Ladung.
1) Allerdings wird dies in Rechtsprechung und Literatur unterschiedlich beurteilt.
(1) Nach der ü...