Entscheidungsstichwort (Thema)
Siehe Anlage
Orientierungssatz
Orientierungssätze:
Ein Auslieferungsbefehl ist aufzuheben, wenn eine hohe Wahrscheinlichkeit besteht, dass sich die Auslieferung eines Verfolgten als zumindest derzeit unzulässig erweist (hier: Verletzung des Rechts auf Wahrung eines fairen Verfahrens bei einer Auslieferung eines Verfolgten zur Strafverfolgung nach Polen).
Normenkette
IRG § 15 Abs. 2, §§ 24, 73 S. 2
Tenor
- Der Auslieferungshaftbefehl des Senates vom 02. Dezember 2019 wird aufgehoben.
- Die sofortige Freilassung des Verfolgten wird angeordnet, soweit keine anderweitige Haftanordnung besteht.
- Es wird festgestellt, dass eine weitere Sachaufklärung erforderlich ist.
Gründe
I.
Der Auslieferungshaftbefehl des Senats vom 02.12.2019 gegen den sich seit seiner Festnahme am 04.12.2019 aufgrund des zum Zwecke der Strafverfolgung ausgestellten Europäischen Haftbefehls des Bezirksgerichts in X./Polen vom 11.01.2016 in Auslieferungshaft befindlichen Verfolgten war aufzuheben, weil eine hohe Wahrscheinlichkeit besteht, dass sich die Auslieferung des Verfolgten nach Polen zum Zwecke der Strafverfolgung wegen der derzeitigen aktuellen Entwicklungen in Polen im Rahmen der "Justizreform" als zumindest derzeit unzulässig erweist (§§ 15 Abs. 2, 24 IRG). Darüber hinaus hat der Senat eine weitere Sachaufklärung durch ergänzende Informationen der polnischen Justizbehörden für erforderlich erachtet.
II.
Diese Entscheidung beruht auf folgenden tatsächlichen und rechtlichen Erwägungen:
1. Der Verfolgte befindet sich seit 04.12.2019 in Auslieferungshaft aufgrund Auslieferungshaftbefehls des Senats vom 02.12.2019. Grundlage desselben ist ein Europäischer Haftbefehl des Bezirksgerichts in X./Polen vom 11.01.2016, aus welchem sich ergibt, dass gegen den Verfolgten ein nationaler Haftbefehl des Amtsgerichts in Y./Polen vom 15.03.2004 unter dem mit einer Höchststrafe von bis zu acht Jahren strafbewehrten Vorwurf des Betruges u.a. besteht. Dem Verfolgten wird im Europäischen Haftbefehl nebst rechtlicher Würdigung die Begehung folgender Straftaten vorgeworfen:
Wird ausgeführt:
2. Der Verfolgte hat einer vereinfachten Auslieferung bei seiner richterlichen Anhörung am 04.12.2019 vor dem Amtsgericht Z./Deutschland nicht zugestimmt und sämtliche gegen ihn von den polnischen Justizbehörden erhobenen Tatvorwürfe in Abrede gestellt. Seine Einwendungen hat er mit Schreiben vom 19.12.2019 an den Senat weiter konkretisiert und angegeben, unter anderem hätten zwei einflussreiche polnische Staatsangehörige Zeugen zu Falschaussagen bestochen und ihn sogar zusammenschlagen lassen. Er selbst lebe nun seit drei Jahren mit seiner Lebenspartnerin in A./Deutschland zusammen. Die Generalstaatsanwaltschaft Karlsruhe hat hierauf am 06.12.2019 beantragt, die Auslieferung des Verfolgten nach Polen für zulässig zu erklären und zugleich entschieden, dass nicht beabsichtigt sei, Bewilligungshindernisse nach § 83 b IRG geltend zu machen.
Mit Schriftsatz vom 16.01.2020 hat der Rechtsbeistand des Verfolgten hierzu Stellung genommen und vorgetragen, eine Resozialisierung des Verfolgten sei im deutschen Strafvollzug eher als im polnischen Strafvollzug gewährleistet. Auch hat er beantragt, den Auslieferungshaftbefehl des Senats vom 02.12.2019 außer Vollzug zu setzen. Im Hinblick auf diesen Vortrag hat die Generalstaatsanwaltschaft Karlsruhe ihre Entschließung vom 06.12.2019 am 20.01.2019 ergänzt und angekündigt, ihre Auslieferungsbewilligung nunmehr mit einem Rücküberstellungsvorbehalt versehen zu wollen. Dem Antrag auf Außervollzugsetzung ist sie jedoch entgegengetreten und hat darauf hinwiesen, dass sich der Verfolgte über Jahre der Feststellung seines Aufenthalts entzogen habe.
Mit Beschluss vom 27.01.2020, auf welchen wegen der weiteren Einzelheiten verwiesen wird, hat der Senat den Antrag des Verfolgten auf Aufhebung bzw. Außervollzugsetzung des Auslieferungshaftbefehls vom 01.12.2019 zurückgewiesen und die Auslieferungshaft für fortdauernd erklärt.
3. Im Hinblick auf die danach weiter bekannt gewordenen Ereignisse in Polen zur "Justizreform" hat der Senat am 27.01.2020 folgenden Hinweisbeschluss erlassen und dem Verfolgten bzw. seinem Rechtsbeistand sowie der Generalstaatsanwaltschaft Karlsruhe Gelegenheit zur ergänzenden weiteren Stellungnahme eingeräumt:
" Der Senat hat im Beschluss vom 07.01.2019 (Ausl 301 AR 95/18, abgedruckt bei juris) unter Hinweis auf das Urteil des EuGH 25.07.2018 (C-216/18; abgedruckt EuGRZ 2018, 396) ausgeführt, dass das Erfordernis der richterlichen Unabhängigkeit zum Wesensgehalt des Grundrechts auf ein faires Verfahren gehöre und das Vorhandensein einer wirksamen gerichtlichen Kontrolle einem Rechtsstaat inhärent sei, weshalb Gerichte bzw. die im Spruchköper tätigen Richter unabhängig sein müssen und insoweit einen wirksamen und von politischer oder dritter Seite nicht beeinflussbaren gerichtlichen Rechtsschutz gewähren können müssen. Bezüglich Polen ist der Senat anhand der damals vorliegenden Informationen davon ausgegangen,...