Entscheidungsstichwort (Thema)
OS. wie immer in Anlage
Orientierungssatz
Orientierungssätze:
Die Bewilligung einer Auslieferung eines deutschen Staatsangehörigen zur Strafverfolgung nach Polen ist zu versagen, wenn das Verfahren gegen diesen auch in Deutschland sachgerecht geführt werden kann, wobei bei der Abwägung eine in Polen zu Unrecht verweigerte Akteneinsicht für den dortigen Verteidiger und die Gefahr der Verwirklichung rechtsstaatlicher Defizite bei der Abwägung mit berücksichtigt werden dürfen (Fortführung von OLG Karlsruhe, Beschlüsse vom 06.10.2020 - Ausl 301 AR 34/20 - und vom 17.02.2020 - Ausl 301 AR 156/19).
Normenkette
IRG § 73 S. 2, §§ 79-80, 83b
Tenor
- Die Auslieferung des Verfolgten nach Polen zur Strafverfolgung aufgrund des Europäischen Haftbefehls des Bezirksgerichts C./Polen vom 4. Februar 2019 wird für unzulässig erklärt.
- Die Kosten des Verfahrens und die notwendigen Auslagen des Verfolgten fallen der Staatskasse zur Last.
Gründe
I.
Gegen den sich nicht in Auslieferungshaft befindlichen deutschen und polnischen Staatsangehörigen besteht ein Europäischer Haftbefehl des Bezirksgerichts C./Polen vom 04.02.2019, aus welchem sich ergibt, dass gegen den Verfolgten ein nationaler Haftbefehl des Amtsgerichts C./Polen vom 03.10.2018 u.a. unter dem mit angedrohter Höchststrafe von fünf Jahren bedrohten Vorwurf der Umsatzsteuerhinterziehung zum Nachteil des polnischen Fiskus (Tatkomplex II) gem. Art. 56 § 1, Art. 76 § 1, Art. 62 §2, Art. 80a § 1, Art. 61 § 1 , Art. 7 § 1, Art. 9 § 1, Art. 6 § 2, Art. 37 § 1 Punkt 1 und 5 des polnischen Steuerstrafgesetzbuchs nach der bis zum 31.12.2016 in Verbindung mit Art. 2 § 2 geltenden Rechtslage und (Tatkomplex III) dem mit einer Höchststrafe von acht Jahren bedrohten Vorwurf der banden- und gewerbsmäßigen Urkundenfälschung i.V.m. Umsatzsteuerhinterziehung gem. Art. 271 § 3 Art. 11 § 2, Art. 18 § 1, Art. 271 § 1, Art. 273, Art. 12, Art. 65 des polnischen Strafgesetzbuchs gemäß dem bis zum 28.02.2017 geltenden Rechtsstand in Verbindung mit Art. 4 § 1 des polnischen Strafgesetzbuchs besteht. Dem Verfolgten wird im Europäischen Haftbefehl insoweit im Wesentlichen vorgeworfen, im Zeitraum 2010 bis 2013 in C./Polen, und andern Orten in Polen gewerbsmäßig Scheinrechnungen angefertigt und zur unberechtigten Geltendmachung von Vorsteuern eingesetzt zu haben.
Zudem wird dem Verfolgten (unter I.) ein im Höchstmaß mit acht Jahren bedrohter Verstoß gegen das Waffengesetz, (unter IV.) ein im Höchstmaß mit zehn Jahren bedrohter Vorwurf der Geldwäsche und Untreue, (unter V.) ein im Höchstmaß mit zehn Jahren bedrohter Vorwurf der Bildung einer kriminellen Vereinigung und (unter VI.) ein im Höchstmaß mit drei Jahren bedrohter Vorwurf des Verstoßes gegen das BtMG vorgeworfen.
Im Einzelnen handelt es sich nebst rechtlicher Bewertung um die aus der "Anlage Tatvorwürfe" zu diesem Beschluss zu entnehmenden Vorwürfe.
Die Generalstaatsanwaltschaft Karlsruhe hat auf dieser Grundlage am 27.08.2019 den Erlass eines Auslieferungshaftbefehls gegen den Verfolgten beantragt.
Mit Verfügung vom 03.09.2019 hat der Senat hierauf die Generalstaats-anwaltschaft auf folgendes hingewiesen:
"Über den Antrag auf Erlass eines Auslieferungshaftbefehls vom 27.08.2019 kann der Senat mangels hinreichender Sachaufklärung derzeit nicht entscheiden, da nach den vorliegenden Unterlagen unklar ist, ob der Verfolgte neben der polnischen Staatsangehörigkeit (wie im Europäischen Haftbefehl des Bezirksgerichts C./Polen vom 04.02.2019 allein angegeben) auch die deutsche Staatsangehörigkeit besitzt (wie in INPOL in der Anfrage vom 24.07.2019 vermerkt). Für den Fall, dass der Verfolgte auch die deutsche Staatsangehörigkeit besitzt, bittet der Senat um Stellungnahme zu der Frage, ob für die dem Verfolgten im Europäischen Haftbefehl des Bezirksgerichts C./Polen vom 04.02.2019 vorgeworfenen Taten jeweils auch die deutsche - konkurrierende - Gerichtsbarkeit begründet ist und nach deutschem Recht Verfolgungsverjährung (§ 9 Nr. 2 i.V.m. 78 Abs. 1, 82 IRG) eingetreten ist (vgl. Senat Beschluss vom 29.01.2015 - 1 AK 16/11 = NStZ-RR 2015, 187 m.w.N.; vgl. auch BVerfG, Stattgebender Kammerbeschluss vom 09.11.2016 - 2 BvR 545/16 = NStZ-RR 2017, 55 m.w.N.)."
Mit Verfügung vom 09.09.2019 legte das Polizeipräsidium D./Deutschland sodann die Einbürgerungsurkunde der Bundesrepublik Deutschland betreffend den Verfolgten vom 19.09.1995 vor. Bereits am 11.03.2019 hatte der Verfolgte über seinen Rechtsbeistand eine Schutzschrift in Bezug auf einen von ihm befürchteten Europäischen Haftbefehl aus C./Polen bei der Generalstaatsanwaltschaft Karlsruhe - unter Angabe seiner deutschen Nationalität und seines deutschen Wohnsitzes - eingereicht. Darin erklärt der Verfolgte u.a., dass er sich einem möglichen Auslieferungsverfahren vorbehaltlos stellen werde.
Am 13.09.2019 übermittelte die Generalstaatsanwaltschaft die Auslieferungsunterlagen an die Staatsanwaltschaft E./Deutschland - Schwerpunktabteilung für Wirtschaftsstrafsachen - mit der Bitte um Pr...