Leitsatz (amtlich)

Eine einstweilige Verfügung auf Duldung der Sperrung der Stromversorgung in den Räumen des Kunden setzt nicht voraus, dass das Versorgungsunternehmen wirtschaftlich dringend auf die Unterbrechung der Stromversorgung angewiesen ist.

 

Verfahrensgang

LG Freiburg i. Br. (Aktenzeichen 5 O 256/15)

 

Tenor

1) Der Verfügungsbeklagte trägt die Kosten beider Instanzen.

2) Der Streitwert des Berufungsverfahrens wird auf 6.060 EUR festgesetzt.

 

Gründe

I. Die Verfügungsklägerin hat den Verfügungsbeklagten, der in einem Anwesen in F. ein Bistro und eine Bar betrieben hat, seit Februar 2015 im Rahmen der Grundversorgung mit Strom beliefert. Sie hat begehrt, dem Beklagten im Wege einer einstweiligen Verfügung aufzugeben, den Zutritt eines Beauftragten des Netzbetreibers zu den Räumlichkeiten zu dulden, in denen sich die Messeinrichtungen befinden, damit er die Stromversorgung unterbrechen kann.

Das LG hat den Antrag durch unechtes Versäumnisurteil vom 30.10.2015 zurückgewiesen. Zur Begründung hat es ausgeführt, der Beklagte sei zwar gemäß § 19 Abs. 2 StromGVV verpflichtet, die zur Unterbrechung der Stromversorgung erforderlichen Maßnahmen zu dulden. Die Voraussetzungen dieser Vorschrift seien erfüllt. Da der Beklagte weiterhin Strom beziehe, ohne seinen Zahlungspflichten nachzukommen oder Sicherheit zu leisten, drohten der Klägerin auch wesentliche Nachteile, die eine einstweilige Regelung nach § 940 ZPO nötig erscheinen lassen könnten. Die Klägerin laufe Gefahr, mit ihren Zahlungsansprüchen für die künftigen Stromlieferungen auszufallen. Ob diese Gefahr den Erlass einer einstweiligen Verfügung rechtfertige, sei umstritten. Die bislang herrschende Meinung halte eine Duldungsverfügung für zulässig. Die zunehmend vertretene Gegenauffassung sehe darin eine unzulässige Vorwegnahme der Hauptsache. Dieser Gegenansicht sei zu folgen. Der Klägerin gehe es nicht um die Sicherung künftiger Zahlungsansprüche, denn solche würden während der Versorgungssperre nicht entstehen. Das Rechtsschutzziel der Klägerin beschränke sich vielmehr auf die prozessuale Durchsetzung des Anspruchs aus § 19 Abs. 2 StromGVV, die im Wege einer Klage ohne weiteres möglich wäre. Die Duldungsverfügung nähme also das Ergebnis einer solchen Klage vorweg und führte zu einer endgültigen Befriedigung der Klägerin. Eine solche Leistungsverfügung sei nach allgemeinen Grundsätze nur ausnahmsweise und unter engen Voraussetzungen zulässig. Die Besonderheiten des § 19 Abs. 2 StromGVV rechtfertigten keine andere Beurteilung. Bei der dort begründeten Befugnis, die Stromversorgung des säumigen Kunden zu unterbrechen, handele es sich um eine besondere Ausgestaltung der Leistungsverweigerungsrechte nach §§ 273, 320 BGB bzw. § 321 BGB. § 19 Abs. 2 StromGVV stelle wegen der überragenden Bedeutung der Energieversorgung für den Kunden zu seinen Gunsten zusätzliche Erfordernisse für die Inanspruchnahme dieser Rechte durch das Versorgungsunternehmen auf. Dass die Versorgungssperre einen Duldungstitel voraussetze, sei zwar nicht ausdrücklich bestimmt, sondern dem Umstand geschuldet, dass sie in den Räumen des Kunden durchgeführt werden müsse. Dieses praktische Erfordernis ermögliche eine präventive Kontrolle der Verhältnismäßigkeit, die dem Zweck der Vorschrift entspreche und bei der bloß summarischen Prüfung in einem Verfügungsverfahren nicht gewährleistet wäre. Insofern sprächen die Besonderheiten des § 19 Abs. 2 StromGVV sogar dafür, die prozessuale Durchsetzung der Versorgungssperre auf das Hauptsacheverfahren zu beschränken. Eine Leistungsverfügung sei im Übrigen nur zulässig, wenn der Gläubiger dringend auf die sofortige Erfüllung seines Anspruchs angewiesen sei, die geschuldete Handlung also so kurzfristig erbracht werden müsse, dass die Erwirkung eines Titels im ordentlichen Verfahren nicht möglich sei, und die im Fall der Nichtleistung drohenden Nachteile nicht nur schwer wögen, sondern auch außer Verhältnis zu dem Schaden stünden, den der Antragsgegner erleiden könnte. Diese Voraussetzungen seien hier eindeutig nicht erfüllt. Der Beklagte schulde zwar monatliche Abschlagszahlungen in beträchtlicher Höhe. Die Gefahr, bei weiteren Stromlieferungen mit den entsprechenden Forderungen auszufallen, belaste die Klägerin aber nicht so sehr, dass sie dringend darauf angewiesen sei, die Versorgung vor der Erwirkung eines Titels im ordentlichen Verfahren zu unterbrechen. Die Leistungsverfügung sei auch nicht aus anderen Gründen zuzulassen. Insbesondere sei die Verweisung auf den ordentlichen Rechtsweg nicht deshalb unzumutbar, weil die Klägerin als Grundversorger einem Kontrahierungszwang unterliege und vorleistungspflichtig sei. Denn den damit verbundenen Belastungen trage die StromGVV durch den Anspruch auf Vorauszahlung und Sicherheitsleistung, durch das Recht zur außerordentlichen Kündigung und nicht zuletzt durch die Befugnis Rechnung, die Stromversorgung des säumigen Kunden zu unterbrechen. Eine zusätzliche verfahrensrechtliche Privilegierung wie die Zulassung einer nac...

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