Leitsatz (amtlich)
1. Der Vorschriften der §§ 84 ff. IRG kommen im Bereich der Vollstreckungshilfe immer dann vorrangig zur Geltung, wenn der Anwendungsbereich des Rb-Freiheitsstrafen eröffnet ist. Hieran fehlt es, wenn sich die verurteilte Person in einem Drittstaat aufhält oder der andere Mitgliedstaat den Rb-Freiheitsstrafen noch nicht in sein nationales Recht umgesetzt hat.
2. Ist der Anwendungsbereich des Rb-Freiheitsstrafen eröffnet und stellt der Mitgliedstaat gleichwohl sein Ersuchen ohne die in Artikel 4 Rb-Freiheitsstrafen aufgeführte Bescheinigung und reicht eine solche auch nicht nach, ist die Leistung von Vollstreckungshilfe schon aus formellen Gründen nicht möglich.
Tenor
- Auf die sofortige Beschwerde des Verurteilten wird der Beschluss des Landgerichts W. vom 07. September 2016 aufgehoben
- Das Vollstreckungsübernahmeverfahren aufgrund des Vollstreckungsübernahmersuchens des rumänischen Justizministeriums vom 26. August 2015 wird eingestellt.
- Die Kosten des Verfahrens und die notwendigen Auslagen des Verurteilten fallen der Staatskasse zur Last
Gründe
I.
M. V. - ein 1967 in O./Rumänien geborener und seit 2011 in Deutschland lebender rumänischer Staatsangehöriger - wurde durch Urteil des Amtsgerichts O./Rumänien vom 06.11.2013, rechtskräftig durch Strafbeschluss des Berufungsgerichts O./Rumänien vom 23.06.2014, wegen Betruges zu einer Freiheitsstrafe von drei Jahren und sechs Monaten verurteilt, wobei die Strafe aufgrund einer Vorverurteilung um ein Jahr auf insgesamt vier Jahre und sechs Monate erhöht wurde, weil er am 20.02.2006 bei der Niederlassung der Bank B. O./Rumänien in betrügerischer Absicht 24.000 Lei erschwindelt hatte. Mit Beschluss vom 28.07.2015 (1 AK 47/15) erklärte der Senat die Auslieferung des Verfolgten nach Rumänien aufgrund des Europäischen Haftbefehls des Bezirksgerichts O./Rumänien vom 15.09.2016 für nicht zulässig, da das schutzwürdige Interesse des Verfolgten nach § 83 b Abs.2 Satz 1 lit b IRG die Vollstreckung der gegen den Verfolgten in Rumänien verhängten Strafe im Inland gebiete. Am 01.10.2016 ging bei der Generalstaatsanwaltschaft sodann ein Vollstreckungsübernahmegesuch des rumänischen Justizministeriums vom 26.08.2015 ein, welchem neben einem Bericht des Amtsgerichts O./Rumänien das Urteil dieses Gerichts vom 06.11.2013 sowie der Strafbeschluss des Berufungsgerichts O./Rumänien vom 23.06.2014 beigefügt war. Nach Anhörung des Verurteilten beantragte die Staatsanwaltschaft W. am 17.08.2016 beim Landgericht W., die Vollstreckung des Urteils des Amtsgerichts O./Rumänien vom 06.11.2013, rechtskräftig durch Strafbeschluss des Berufungsgerichts O./Rumänien vom 23.06.2014, für zulässig zu erklären, woraufhin die angerufene Strafvollstreckungskammer des Landgerichts W. - ohne dem Verurteilten hierzu rechtliches Gehör zu gewähren - mit Beschluss vom 07.09.2016 entsprechend entschied.
Gegen die dem Verurteilten am 28.09.2016 zugestellte Entscheidung hat sein Verteidiger fristgemäß sofortige Beschwerde eingelegt, mit welcher er zahlreiche sachliche Einwendungen gegen die Zulässigkeit der Vollstreckungsübernahme erhebt.
II.
Die gemäß § 84g Abs. 3 Satz 3 i.V.m. § 55 Abs. 2 Satz 1 IRG statthafte und auch im Übrigen zulässige, insbesondere fristgerecht eingelegte (§ 77 Abs. 1, § 84 Abs. 2 Nr. 1 IRG, § 311 Abs. 2 StPO) sofortige Beschwerde ist begründet und führt zur Einstellung des Verfahrens.
Die Vollstreckung ausländischer Erkenntnisse über freiheitsentziehende Sanktionen in der Bundesrepublik Deutschland richtet sich im Bereich des hier in Rede stehenden Vollstreckungshilfeverkehrs mit einem Mitgliedstaat der Europäischen Union nach §§ 84 ff. IRG in der seit dem 25.07.2015 geltenden Fassung, durch die der Rahmenbeschluss 2008/909/JI des Rates vom 27.11.2008 über die Anwendung des Grundsatzes der gegenseitigen Anerkennung auf Urteile in Strafsachen, durch die eine freiheitsentziehende Strafe oder Maßnahme verhängt wird, für die Zwecke ihrer Vollstreckung in der Europäischen Union, ABl. L 327 vom 05.12.2008, S. 27 (im Folgenden: Rb-Freiheitsstrafen) umgesetzt worden ist (Senat, Beschluss vom 31.01.2017, 1 Ws 235/16, abgedurckt bei [...]).
Entgegen der Ansicht des Landgerichts W. im angefochtenen Beschluss scheidet eine Anwendung der Vorschriften der §§ 84 ff. IRG nicht deshalb aus, weil die rumänischen Justizbehörden ihr Vollstreckungsübernahmegesuch nicht unter Beifügung der in Artikel 4 Rb-Freiheitsstrafen aufgeführten Bescheinigung gestellt haben. Zwar ließe der reine Wortlaut von § 84 Abs. 2 Nr. 2 IRG, nach welchem die Vorschriften des Vierten Teils des IRG sowie die allgemeinen Bestimmungen des Ersten und Siebenten Teils des IRG zur Anwendung kommen, wenn kein Ersuchen nach Maßgabe des Rb-Freiheitsstrafen gestellt wurde, mit der Folge der Anwendbarkeit der §§ 48 ff. IRG eine solche Deutung zu, jedoch entspricht eine solche Auslegung weder dem Willen des Gesetzgebers noch der Intention des Rb-Freiheitsstrafen.
a. Insoweit ergibt sich zunächst aus der Gesetzesbegründung, dass die Vor...