Entscheidungsstichwort (Thema)
Strafprozessrecht: Haftgrund der wiederholten Tatbegehung
Leitsatz (amtlich)
›1. Für die Annahme einer wiederholten Tatbegehung nach § 112a Abs. 1 Nr. 2 StPO reichen zwei Anlasstaten aus. Dabei genügt es, wenn sich diese aus dem dem Haftbefehl zu Grunde liegenden Verfahren und einer früheren Verurteilung ergeben.
2. Soweit als Anlasstat gefährliche Körperverletzung nach § 244 StGB in Betracht kommt, ist zur Beurteilung ihres Schweregrades maßgeblich auf den Unrechtsgehalt der Tat abzustellen und danach zu fragen, ob diese in ihrer konkreten Ausgestaltung die Rechtsordnung schwerwiegend beeinträchtigt hat. Dabei ist nicht nur unter dem mutmaßlich zu erwartende Strafmaß abzustellen, sondern auch die Opferperspektive zu berücksichtigen.‹
Verfahrensgang
LG Karlsruhe (Beschluss vom 28.03.2006; Aktenzeichen 4 Qs 30/06) |
AG Karlsruhe (Aktenzeichen 2 Ls 210 Js 42980/05) |
Gründe
I.
Das Amtsgericht - Schöffengericht - Karlsruhe verurteilte den Angeklagten am ... 03.2006 - nicht rechtskräftig - wegen vorsätzlicher Körperverletzung in zwei tateinheitlichen Fällen und wegen gefährlicher Körperverletzung in Tateinheit mit vorsätzlicher Körperverletzung in zwei Fällen zu der Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren und sechs Monaten, ordnete seine Unterbringung in einer Entziehungsanstalt an und erließ zudem einen auf den Haftgrund der Wiederholungsgefahr gestützten Haftbefehl. In diesem wird dem Angeklagten u.a. zur Last gelegt, ... nach erheblichem Genuss von alkoholischen Getränken in seiner Steuerungsfähigkeit nicht ausschließbar vermindert dem wehrlos am Boden liegenden C. in lebensgefährlicher Weise mehrfach mit dem beschuhten Fuß gegen den Kopf getreten zu haben (§ 224 Abs. 1 Nr. 5 StGB). Die Beschwerde des Angeklagten gegen seine unmittelbar nach Urteilsverkündung vollzogene Inhaftnahme verwarf das Landgericht Karlsruhe am 28.03.2006.
II.
Die weitere Beschwerde des Angeklagten ist zulässig (§ 310 Abs. 1 StPO) und führt bereits aus formalen Gründen zur Aufhebung des Haftbefehls.
1. Zwar scheitert der Haftgrund der Wiederholungsgefahr nicht daran, dass dem Angeklagten neben dem Vorwurf der gefährlichen Körperverletzung aus der Tat vom ... .09.2005 lediglich ein bereits durch rechtskräftiges Urteil des Amtsgerichts Pforzheim vom 06.08.2001 geahndetes weiteres Vergehen der gefährlichen Körperverletzung zu Last liegt. Nach der zwischenzeitlich herrschenden Ansicht, welcher sich der Senat ausdrücklich anschließt, ist nämlich für die Annahme einer wiederholten Tatbegehung nach § 112a Abs. 1 Nr. 2 StPO nicht erforderlich, dass das Verfahren, in dem die Haftfrage geprüft wird, selbst eine Mehrheit solcher Taten zum Gegenstand hat. Es genügt vielmehr, dass sich der Tatverdacht in diesem Verfahren nur auf eine derartige Straftat erstreckt, der Tatverdächtige aber außerdem wegen zumindest einer weiteren Straftat gleicher Art bereits verurteilt worden ist, so dass insgesamt zwei Anlasstaten ausreichen (so OLG Stuttgart NStZ 1988, 326 f.; OLG Schleswig NStZ 2002, 276 f.; OLG Hamm StV 1997, 310 m. Anm. Hohmann; KK-Boujong, 5. Auflage 2002, § 112a Rn. 12; a.A. OLG Frankfurt StV 1984, 159 f.; Meyer-Goßner, StPO, 48. Auflage 2005, § 112 a Rn. 8; zu Besonderheiten bei Sexualstraftaten an Kindern vgl. OLG Schleswig SchlaHA 2001, 135; OLG Hamburg NStZ-RR 2001, 220 f.; OLG Köln StV 2003, 169 f.). Eine solche Auslegung ergibt sich bereits aus dem Gesetzeszweck, welcher den Schutz der Allgemeinheit vor weiteren erheblichen Straftaten besonders gefährlicher Täter beabsichtigt. Hierbei kann es nicht darauf ankommen, ob die Gefährlichkeitsprognose sich allein aus den im Haftbefehl angeführten oder auch aus anderen Anlasstaten ergibt. Dies würde nämlich zu einer Privilegierung von Mehrfachtätern führen und darauf hinauslaufen, dass bei Ergreifen eines einschlägig vorbestraften Täters nach erneuter Begehung einer Katalogtat trotz bereits jetzt zutage getretener fortbestehender Tatgeneigtheit erst die Begehung einer weiteren Anlasstat und deren Aufnahme in den Haftbefehl abgewartet werden müsste, was dem Normzweck des § 112a StPO zuwider liefe (ebenso OLG Schleswig NStZ 2002, 276 f.).
2. Weitere gesetzliche Voraussetzung des § 112a Abs. 1 Nr. 2 StPO ist jedoch, dass jede einzelne dieser Taten ihrem konkreten Erscheinungsbild nach die Rechtsordnung schwerwiegend beeinträchtigt. Da die in § 112a Abs. 1 Nr. 2 StPO enumerativ aufgezählten Katalogtaten ohnehin schwerwiegender Natur sind, folgt daraus, dass nur Taten über-durchschnittlichen Schweregrades und Unrechtsgehaltes bzw. solche, die mindestens in der oberen Hälfte der mittelschweren Straftaten liegen, als Anlasstaten in Betracht kommen können (OLG Frankfurt StV 2000, 209 ff; OLG Karlsruhe, wistra 2002, 79 f.). Dies wurde etwa verneint bei mehreren Kfz-Aufbrüchen von Jugendlichen (OLG Frankfurt a.a.O.), Einbruchsdiebstählen mit Schadenshöhe von lediglich DM 500 bis DM 1.000 (OLG Köln StV 1996, 158 ; LG Köln StV 1996, 386) oder leichteren Betäubungsmitteldelikten nach § 29 Ab...