Leitsatz (amtlich)
Ein Verweisungsbeschluss ist willkürlich und nicht bindend, wenn sich das Familiengericht nicht mit der herrschenden Meinung zur Bestimmung des gewöhnlichen Aufenthalts auseinandersetzt und im konkreten Fall den Wohnsitz als entscheidungserheblich ansieht, obwohl der Antragsgegner vorträgt, sich überwiegend an einem anderen Ort aufzuhalten.
Tenor
1. Als zuständiges Amtsgericht wird das Amtsgericht -Familiengericht- Heidelberg bestimmt.
Gründe
I. Die Antragstellerin und der Antragsgegner sind getrennt lebende Ehegatten. Der Scheidungsantrag der Antragstellerin ging am 27.4.2018 beim Amtsgericht Heidelberg ein und wurde dem Antragsgegner am 8.5.2018 unter der Adresse "I., H." zugestellt. Der Antragsgegner hat nach der Trennung der Beteiligten Ende April/Anfang Mai 2017 eine Wohnung in seinem Elternhaus in W. bezogen und ist dort seit 1.1.2018 gemeldet.
Mit Schreiben vom 19.5.2018 teilte der Antragsgegner dem Familiengericht mit, er sei aus "organisatorischen Gründen" in W. polizeilich gemeldet. Die Zustellung an die H. Adresse sei weiterhin "möglich und erwünscht".
Das Familiengericht Heidelberg hat die Ehegatten mit Verfügungen vom 19.11.2018 und 4.12.2018 darauf hingewiesen, dass beabsichtigt sei das Verfahren an das Familiengericht Weinheim zu verweisen.
Der Antragsgegner hat daraufhin vorgetragen, dass er -unstreitig- bereits vor Zustellung des Scheidungsantrages in der Wohnung seiner Lebensgefährtin in H. gewohnt habe, um möglichst viel Zeit mit seinem Sohn verbringen zu können.
Mit Beschluss vom 10.12.2018 hat das Familiengericht Heidelberg das Verfahren an das Familiengericht Weinheim verwiesen. Da der Antragsgegner in W. polizeilich gemeldet und dort auch erreichbar sei, sei das Amtsgericht Weinheim örtlich zuständig.
Mit Beschluss vom 1.4.2019 hat sich das Familiengericht Weinheim, nach Gewährung rechtlichen Gehörs, ebenfalls für unzuständig erklärt und hat das Verfahren an das Familiengericht Heidelberg zurückverwiesen. Die polizeiliche Meldung des Antragsgegners in W. sei lediglich ein Indiz und nicht ausreichend für die Annahme eines gewöhnlichen Aufenthalts. Der Antragsgegner lebe in H. in der Wohnung seiner Lebensgefährtin. Der Umstand, dass er bei der Vorlage des Formulars V 10 (Versorgungsausgleich) die Adresse in W. angegeben habe, spreche nach den gesamten Umständen nicht gegen die Annahme eines gewöhnlichen Aufenthalts in H. Die maßgeblichen Umstände seien dem Familiengericht Heidelberg bekannt gewesen. Der Verweisungsbeschluss vom 10.12.2018 sei daher willkürlich.
Das Familiengericht Heidelberg hat das Verfahren mit Beschluss vom 12.4.2019 dem Oberlandesgericht Karlsruhe zur Entscheidung über die Zuständigkeit vorgelegt.
II. Nachdem sich sowohl das Amtsgericht Heidelberg als auch das Amtsgericht Weinheim für örtlich unzuständig erklärt haben, hat der Senat gemäß §§ 113 Abs. 1 FamFG, 36 Abs. 2 ZPO das für das Verfahren örtlich zuständige Gericht zu bestimmen. Zuständig für das Verfahren ist das Amtsgericht Heidelberg, da der Verweisungsbeschluss des Amtsgerichts Weinheim vom 1.4.2019 bindend ist. Der Verweisungsbeschluss des Amtsgerichts Heidelberg vom 10.12.2018 entfaltet keine Bindungswirkung.
Gemäß § 281 Abs. 2 Satz 2 ZPO sind Verweisungsbeschlüsse grundsätzlich bindend. Diese Bindungswirkung ist im Bestimmungsverfahren zu beachten. Deshalb ist grundsätzlich das Gericht als zuständig zu bestimmen, an das die Sache durch den ersten -bindenden- Verweisungsbeschluss gelangt ist. Dabei kommt einem Verweisungsbeschluss grundsätzlich auch dann Bindungswirkung zu, wenn er sachlich unrichtig ist oder auf Verfahrensmängeln beruht (vgl. Greger in: Zöller, Zivilprozessordnung, 32. Aufl. 2018, § 281 Rn. 16). Ausnahmsweise entfaltet ein Verweisungsbeschluss keine Bindungswirkung, wenn der Verweisung jede rechtliche Grundlage fehlt, so dass sie als objektiv willkürlich erscheint (BGH NJW 2003, 3201). Eine Beschränkung dieser Ausnahme auf Fälle "krasser und offenkundiger Rechtsfremdheit" ist nach h.M. zu eng; auch eine vorsätzliche Missachtung des Rechts ist nicht zu fordern. Die h.M. stellt vielmehr geringere Anforderungen an den Wegfall der Bindungswirkung (vgl. zum Meinungsstand: Greger a.a.O., § 281 ZPO, Rn. 17). Zwar ist ein Verweisungsbeschluss nicht schon deshalb willkürlich, weil er von der ganz herrschenden Meinung in der Rechtsprechung und Literatur abweicht. Willkür liegt jedoch vor, wenn dem Verweisungsbeschluss jede rechtliche Grundlage fehlt. Dies ist der Fall, wenn der Verweisungsbeschluss nicht mehr verständlich erscheint und offensichtlich unhaltbar ist (vgl. BGH a.a.O.).
Nach diesem Maßstab ist der Verweisungsbeschluss vom 10.12.2018 nicht bindend.
Der gewöhnliche Aufenthalt einer Person ist der tatsächliche Lebensmittelpunkt, an dem sich die Person überwiegend aufhält (vgl. Helms in: Prütting/Helms, FamFG, 4. Aufl. 2018, § 122 FamFG, Rn. 5 m.w.N.). Da der gewöhnliche Aufenthaltsort vor allem durch objektive Elemente, der Wohnsitz hingegen mehr durch subjektive Elemente bestimm...