Entscheidungsstichwort (Thema)
Umfang der Pflichtverletzung bei Einfahren in eine Kreuzung infolge Ampelreflexes
Leitsatz (redaktionell)
Ein Fahrzeugführer, der zunächst an einer Rotlicht anzeigenden Lichtzeichenanlage anhält, infolge eines Wahrnehmungsfehlers ("Ampelreflex") dann aber in die Kreuzung bei für ihn nach wie vor geltendem Rotlicht einfährt, begeht keine grobe Pflichtverletzung i.S. von § 25 StVG, da es an dem durch diese Vorschrift vorausgesetzten und durch groben Leichtsinn, grobe Nachlässigkeit oder Gleichgültigkeit gekennzeichneten Handlungsunwert fehlt, weshalb der Regeltatbestand der BKatV daher auch dann nicht erfüllt ist, wenn es aufgrund des Rotlichtverstoßes zu einem Verkehrsunfall kommt.
Verfahrensgang
AG Freiburg i. Br. (Entscheidung vom 15.09.2009; Aktenzeichen 37 OWi 550 Js 13750/09) |
Tenor
Auf die Rechtsbeschwerde der Betroffenen wird das Urteil des Amtsgerichts F. vom 15. September 2009 im Rechtsfolgenausspruch dahin geändert, dass die Anordnung des Fahrverbots entfällt.
Die weitergehende Rechtsbeschwerde wird als unbegründet verworfen.
Die Beschwerdeführerin hat die Kosten des Rechtsmittels zu tragen. Jedoch wird die Gebühr um die Hälfte ermäßigt. Von den durch das Rechtsmittel entstandenen notwendigen Auslagen der Betroffenen trägt die Staatskasse die Hälfte.
Gründe
I. Mit Urteil vom 15.09.2009 hat das Amtsgericht F. die Betroffene wegen fahrlässiger Missachtung des Rotlichts einer Wechsellichtzeichenanlage unter Verursachung eines Verkehrsunfalls zu einer Geldbuße von 125 Euro verurteilt sowie ein Fahrverbot für die Dauer von einem Monat angeordnet.
Nach den Feststellungen hatte die Betroffene am 14.10.2008 gegen 09.39 Uhr mit ihrem Pkw die Z. in F. in nördlicher Richtung befahren. An der Kreuzung T. ordnete sie sich auf die Linksabbiegerfahrspur ein und hielt ordnungsgemäß vor der dortigen, für sie Rotlicht zeigenden Lichtzeichenanlage. Als die Ampel nach einiger Zeit für den Geradeausverkehr auf Grünlicht schaltete, fuhr auch die Betroffene mit ihrem Fahrzeug an, obwohl die für ihre Fahrtrichtung maßgebliche Linksabbiegerampel weiterhin und schon länger als eine Sekunde Rotlicht zeigte. Im Kreuzungsbereich stieß sie mit der vom Zeugen B. geführten Straßenbahn zusammen, die links neben ihr in gerader, d.h. nördlicher Richtung fuhr. Das warnende Klingelzeichen, dass der Zeuge ausgelöst hatte, hatte die Betroffene nicht wahrgenommen.
II. Die gemäß § 79 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 OWiG statthafte und auch im Übrigen zulässige Rechtsbeschwerde, mit der - schlüssig - die Verletzung materiellen und formellen Rechts gerügt wird, hat den aus der Beschlussformel ersichtlichen Teilerfolg; sie führt zum Wegfall des Fahrverbots.
Eine Verfahrensrüge ist nicht in der gemäß § 79 Abs. 3 OWiG i.V.m. § 344 Abs. 2 Satz 2 StPO gebotenen Form erhoben worden. Soweit sich die Betroffene gegen den Schuldspruch und die festgesetzte Geldbuße wendet, ist die Rechtsbeschwerde unbegründet (§ 349 Abs. 2 StPO, § 46 OWiG).
Die Verhängung des Fahrverbots kann jedoch keinen Bestand haben, da nach den getroffenen Feststellungen die Voraussetzungen des § 25 Abs. 1 Satz 1 StVG nicht vorliegen.
Von der Anordnung eines Fahrverbots ist abzusehen, wenn ein Verkehrsverstoß nicht auf einer groben Verletzung der Pflichten eines Kraftfahrzeugführers, sondern lediglich auf einer augenblicklichen Unaufmerksamkeit beruht, die jedem sorgfältigen und pflichtbewussten Verkehrsteilnehmer einmal unterlaufen kann (BGHSt 43, 241; OLG Karlsruhe NZV 2006, 325; NZV 2007, 213).
Nach den äußeren Tatumständen ist hier zwar der Tatbestand der Nr. 132.2.1. der Anlage zu § 1 Abs. 1 BKatV durch den Rotlichtverstoß der Betroffenen bei schon länger als einer Sekunde dauernder Rotphase der Ampel und den anschließenden Unfall verwirklicht, was nach § 4 Abs. 1 Nr. 4 BKatV eine grobe Pflichtverletzung indiziert, die regelmäßig der Denkzettel- und Besinnungsmaßnahme eines Fahrverbots bedarf (BGH NZV 1992, 117). Ein Regelfall ist aber dann zu verneinen, wenn die gesamten Tatumstände so weit von dem typischen, vom Verordnungsgeber ins Auge gefassten Fall des Verkehrsverstoßes abweichen, dass eine grobe Pflichtverletzung im Ergebnis nicht festgestellt werden kann (OLG Karlsruhe NZV 1996, 206; NJW 2003, 3719). Anknüpfungspunkt für die vom Verordnungsgeber in der Regel gewollte Ahndung eines "qualifizierten" Rotlichtverstoßes mit einem Fahrverbot ist der Fall eines Verkehrsteilnehmers, der über mehrere Sekunden hinweg unaufmerksam auf eine Rotlicht zeigende Ampel zufährt und den Vertrauensschutz des Querverkehrs und von Fußgängern abstrakt und gegebenenfalls konkret gefährdet (OLG Karlsruhe NZV 1996, 206; NJW 2003, 3719, jeweils m.w.N.). Von einem solchen Sachverhalt unterscheidet sich der vorliegende wesentlich. Die Betroffene hielt ihr Fahrzeug ordnungsgemäß vor der für sie Rotlicht zeigenden Lichtzeichenanlage an und fuhr schließlich infolge eines Wahrnehmungsfehlers, nämlich der Verwechslung des für sie geltenden Lichtzeichens, und - wie sich der in den Urteilsgründ...