Leitsatz (amtlich)
1. Der Referenzzeitraum von drei Monaten für die Ermittlung des zur Bestimmung einer angemessenen Barabfindung i.S.v. § 327b Abs. 1 AktG maßgeblichen Börsenkurses ist vom Zeitpunkt des Bekanntwerdens der die Barabfindung auslösenden Strukturmaßnahme zurückzurechnen. Dies gilt unabhängig davon, ob dieses Wissen durch gezielte Bekanntgabe der beherrschten Gesellschaft oder des Mehrheitsaktionärs oder auf sonstige belastbare Weise in den Markt gelangt.
2. Die Prüfung einer zur Unmaßgeblichkeit des Börsenkurses führenden "Marktenge" orientiert sich an den Kriterien von § 5 Abs. 4 WpÜG-AngebotsVO.
3. Zur Frage der Billigkeit bei der Kostenerstattung nach § 15 Abs. 2 SpruchG (§ 15 Abs. 4 SpruchG a.F.).
Verfahrensgang
LG Mannheim (Beschluss vom 14.11.2013; Aktenzeichen 23 AktE 2/05) |
Tenor
1. Auf die sofortigen Beschwerden der Antragsteller zu 35, 37 und 44 sowie die Anschlussbeschwerden der Antragsteller zu 1, 13-18 und 43 wird der Beschluss des LG Mannheim vom 14.11.2013 - 23 AktE 2/05 - abgeändert und neu gefasst wie folgt:
Die angemessene Barabfindung für die Übertragung der Aktien der bisherigen Minderheitsaktionäre der FRIATEC AG auf die Antragsgegnerin wird auf 21,83 EUR je Stückaktie festgesetzt.
Der Abfindungsbetrag ist ab 13.10.2005 mit 2 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz zu verzinsen, ab 1.9.2009 mit 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz.
Die weiter gehenden Anträge der Beteiligten werden zurückgewiesen.
2. Die weiter gehenden Beschwerden der Antragsteller sowie die sofortige Beschwerde der Antragsgegnerin werden zurückgewiesen.
3. Die Antragsgegnerin trägt die gerichtlichen Kosten des Verfahrens sowie die Vergütung des gemeinsamen Vertreters der außenstehenden Aktionäre.
Die Antragsgegnerin trägt die in erster Instanz entstandenen außergerichtlichen Kosten der Antragsteller zur Hälfte. Von den den Antragstellern 1, 13-18, 35, 37, 43 und 44 im Beschwerdeverfahren entstandenen Kosten trägt die Antragsgegnerin ebenfalls die Hälfte, die den übrigen Antragstellern insoweit erwachsenen Kosten trägt sie vollständig.
4. Der Gegenstandswert des Verfahrens wird für die Gerichtsgebühren und die Vergütung des Vertreters der außenstehenden Aktionäre auf 200.000 EUR festgesetzt.
5. Der Gegenstandswert der anwaltlichen Tätigkeit für das Beschwerdeverfahren wird wie folgt festgesetzt:
Antragsteller zu 1, 13-18, 40, 43 |
189.908,90 EUR |
Antragsteller zu 24, 25 |
26.503,23 EUR |
Antragsteller zu 26, 27 |
10.000 EUR |
Antragsteller zu 35, 37 |
10.000 EUR |
Gründe
A. Die Antragsteller verlangen als vormalige außenstehende Aktionäre der FRIATEC AG die gerichtliche Festsetzung des angemessenen Ausgleichs nach erfolgtem Ausschluss als Minderheitsaktionäre.
Die FRIATEC wurde durch Gesellschaftsvertrag vom 18.1.1960 errichtet und als Friedrichsfeld GmbH Keramik- und Kunststoffwerke im Handelsregister eingetragen. Im Jahr 1990 wurde die Gesellschaft in eine Aktiengesellschaft umgewandelt. Das Grundkapital der Gesellschaft wurde in mehreren Schritten bis Juni 1995 auf 80 Millionen DM erhöht. Das Grundkapital ist in 16 Millionen auf den Inhaber lautende Aktien im Nennwert von je 5 DM eingeteilt. Gegenstand des Unternehmens ist in der Hauptsache die Entwicklung, die Herstellung und der Vertrieb von Erzeugnissen aus keramischen Rohstoffen, Kunststoffen und Metallen. Die FRIATEC AG hält, überwiegend zu 100 %, Anteile an sechs weiteren Gesellschaften, zum Teil vermittelt über Unterbeteiligungen. Im Jahr 2002 erzielte der FRIATEC Konzern Umsatzerlöse i.H.v. 172 Mio. EUR und erwirtschaftete einen Jahresüberschuss (vor Gewinnabführung) von 12,1 Mio. EUR. Der wesentliche Anteil hiervon entfiel auf die FRIATEC AG mit einem Umsatz von 142,9 Mio. EUR und 1.096 beschäftigten Mitarbeitern.
Seit 24.7.1995 waren die Aktien der FRIATEC AG an den Börsen in Frankfurt/M. und Stuttgart notiert.
Am 5.10.1998 erwarb die Glyntec GmbH Main 95 % der FRIATEC-Aktien. Alleiniger Gesellschafter der Glyntec GmbH war die Antragsgegnerin. Im Mai 1999 wurde die Glyntec GmbH auf die Antragsgegnerin verschmolzen, so dass diese seitdem die Aktien der FRIATEC AG unmittelbar hält. Die Antragsgegnerin ist - vermittelt über die Beteiligungskette Glynwed Dublin Corp. Dublin/Irland, GDC Holding Ltd. Kent/England, Aliaxis Holdings UK Ltd. Kent/England und Aliaxis Participations S. A. Paris/Frankreich - Teil der Unternehmensgruppe ALIAXIS S. A. (früher: ETEX) mit Sitz in Brüssel/Belgien.
Am 19.1.1999 schlossen die Antragsgegnerin und die FRIATEC AG einen Beherrschungs- und Gewinnabführungsvertrag mit der Antragsgegnerin als herrschendem Unternehmen. In § 4 Nr. 1 dieses Vertrages wurde den außenstehenden Aktionären der FRIATEC AG für die Dauer des Vertrages ein jährlicher Gewinnanteil von 3 DM pro Aktie - entspricht 2,05 DM Bardividende nach Abzug von Körperschaftssteuer und Solidarzuschlag - zugesagt. Nach § 5 Nr. 1 dieses Vertrages verpflichtete sich die Antragsgegnerin, auf Verlangen außenstehender Aktionäre der FRIATEC AG deren Aktien gegen Zahlung einer Barabfindung i.H.v. ...