Leitsatz (amtlich)
1. Ist in einem Umgangsverfahren, insbesondere wegen des entgegenstehenden Kindeswillens, der Umgang mit einem Elternteil zur Abwendung einer Kindeswohlgefährdung längerfristig auszuschließen, scheidet in dem betreffenden Zeitraum auch die gerichtliche Anordnung von im Wege der Vollstreckung erzwingbaren "Erinnerungskontakten" aus. Dies gilt auch dann, wenn die Eltern in der Erörterung eine - nicht vollstreckungsfähige - Vereinbarung treffen, an solchen von der Sachverständigen vorgeschlagenen Erinnerungskontakten zur Anbahnung eines Umgangs in bestimmten Zeitabständen freiwillig mitzuwirken.
2. Ein außergewöhnlich hohes Konfliktpotential und die Bedeutung des Umgangsausschlusses für Vater und Kinder können auch bei eingeschränkten finanziellen Verhältnissen eine den Regelwert übersteigende Festsetzung des Verfahrenswertes rechtfertigen (hier: 6.000,- statt 4.000,- EUR).
Normenkette
BGB § 1684; FamGKG § 45 Abs. 3
Verfahrensgang
AG Baden-Baden (Aktenzeichen 6 F 82/20) |
Tenor
1. Auf die Beschwerde der Mutter werden Ziffer 1 und 2 des Beschlusses des Amtsgerichts - Familiengericht - Baden-Baden (Az.: 6 F 82/20) vom 05.04.2022 aufgehoben und der Umgang des Vater mit seinen Kindern H., geboren am ..., und H., geboren am ..., soweit er über die von den Beteiligten im Termin vom 15.03.2024 vereinbarten Erinnerungskontakte hinausgeht, bis 31.03.2026 ausgeschlossen.
2. Die Kosten des Beschwerdeverfahrens werden gegeneinander aufgehoben.
3. Der Verfahrenswert des Beschwerdeverfahrens wird auf 6.000 EUR festgesetzt.
Gründe
I. Das Verfahren betrifft die Regelung des Umgangs der Kinder H. und H. G. mit ihrem Vater. Wegen der Feststellungen wird auf den Beschluss des Amtsgerichts - Familiengericht - Baden-Baden (6 F 82/20) vom 05.04.2022 Bezug genommen.
Das Familiengericht hat zur Vorbereitung seiner Entscheidung ein psychologisches Sachverständigengutachten eingeholt, das ohne Exploration der Mutter und der Kinder erstellt wurde. Wegen der Einzelheiten wird auf das Gutachten vom 18.02.2021 Bezug genommen.
Das Familiengericht hat mit Beschluss vom 05.04.2022 den Umgang der Kinder mit ihrem Vater geregelt. Zur Begründung seiner Entscheidung führt das Familiengericht im Wesentlichen aus, die Mutter lehne den Vater ab. Sie habe ihn als verantwortungslos bezeichnet und erklärt, er tolle mit den Kindern auf der Straße herum und verhalte sich nicht wie ein Erwachsener. Der Vater sei nicht streng genug mit den Kindern. Er verhalte sich selbst wie ein Kind und begrenze die Kinder nicht genügend. Zwischenzeitlich erhebe die Mutter auch den Vorwurf des sexuellen Missbrauchs gegen den Vater. Ihre Vorwürfe würden immer massiver, wobei kein Vorwurf objektiv bestätigt worden sei. Die Kinder hätten jedoch die Abwehrhaltung der Mutter gegen den Vater übernommen. Spiegelbildlich mit den Vorwürfen der Mutter gegenüber dem Vater entwickelten sich auch die Vorbehalte der Kinder gegenüber dem Vater. Die Kinder übernähmen die Abwehrposition der Mutter. Die Mutter habe von Beginn an die Erziehungsfähigkeit des Vaters in Frage gestellt, dies gegenüber den Kindern immer wieder kommuniziert und den Vater gegenüber den Kindern "schlecht geredet". Die Familie sei dem Gericht seit Jahren bekannt. Die Abwehrhaltung von Mutter und Kindern gegen den Vater habe sich im Laufe der Zeit ohne objektive Gründe verstärkt. Zunächst hätten die Kinder keine Gründe für ihre ablehnende Haltung benennen können. Später hätten sie angegeben, im Haus des Vaters seien Kakerlaken. Zuletzt hätten sie bei ihrer Anhörung am 15.07.2020 erklärt, der Vater habe H. sexuell missbraucht. Objektive Anhaltspunkte hierfür hätten nie vorgelegen. Eine Entfremdung von Kindern und Vater widerspreche dem objektiven Wohl der Kinder. Daher müssten Umgänge dringend wieder stattfinden. Gesicherte Anzeichen für eine Kindeswohlgefährdung durch den Vater seien nicht festzustellen. Der Mutter sei augenscheinlich jedes Mittel recht, um den Vater aus dem Leben der Kinder auszuschließen. Die Sachverständige habe deutliche Anhaltspunkte für eine Beeinflussung der Kinder durch die Mutter festgestellt. Die Kinder seien bei der Mutter nicht in der Lage, einen autonomen Willen zu bilden. Sie würden von der Mutter instrumentalisiert und manipuliert. Die Kinder seien in einem Abhängigkeitsverhältnis zur Mutter gefangen und augenscheinlich nicht in der Lage, ihre eigene Persönlichkeit zu entwickeln. Umgänge mit dem Vater würden sich daher positiv auf die Kinder auswirken.
Die Mutter hat gegen den ihr am 19.04.2022 zugestellten Beschluss vom 05.04.2022 mit Schreiben vom 11.04.2022, am 04.05.2022 bei Gericht eingegangen, Beschwerde eingelegt. Sie vertritt die Ansicht, der Umgang des Vaters mit den Kindern sei dauerhaft auszuschließen, da die Vorwürfe gegen den Vater nicht ausgeräumt seien. Weder sie noch die Kinder seien bereit, den Umgang mit dem Vater zu fördern. Durch die manifestierte Abwehrhaltung seien Hilfen zur Stärkung ihrer Erziehungskompetenz Grenzen gesetzt. Der Wille der Kinder sei zw...