Leitsatz (amtlich)

Ist die Sach- und Rechtslage einfach und benötigt der Angeklagte zur sachgerechten Vorbereitung seiner Verteidigung keine Akteneinsicht liegen die Voraussetzungen für die Beiordnung eines Verteidigers auch dann nicht vor, wenn die Staatsanwaltschaft gegen ein freisprechendes Urteil Berufung eingelegt hat.

 

Tenor

Die Beschwerde des Angeklagten gegen die Verfügung des Vorsitzenden vom 27. April 2005 wird kostenpflichtig als unbegründet verworfen.

 

Gründe

Mit Urteil des Amtsgerichts B. ist der Angeklagte vom Vorwurf der Sachbeschädigung aus tatsächlichen Gründen freigesprochen worden. Die Staatsanwaltschaft hat gegen das freisprechende Urteil Berufung eingelegt. Sie erstrebt aufgrund abweichender Beweiswürdigung die Verurteilung des Angeklagten zu Geldstrafe. Das Landgericht W. hat Termin zur Berufungshauptverhandlung auf den 07. Juni 2004 bestimmt, das persönliche Erscheinen des Angeklagten angeordnet und vier Zeugen geladen. Mit Verfügung vom 27. April 2005 hat der Vorsitzende es abgelehnt, dem Angeklagten seinen bisherigen Wahlverteidiger zum Pflichtverteidiger zu bestellen.

Hiergegen richtet sich die Beschwerde des Angeklagten vom 02. Mai 2005, die gemäß § 304 Abs. 1 StPO zulässig (vgl. Kleinknecht, StPO, 48. Aufl., § 141, Rn. 10; OLG Köln, MDR 1990, S. 462), aber im Ergebnis unbegründet ist.

1.

Nach § 140 Abs. 2 Satz 1 StPO bestellt der Vorsitzende dem Angeklagten auf Antrag oder von Amts wegen unter anderem dann einen Verteidiger, wenn seine Mitwirkung wegen der Schwierigkeit der Sach- oder Rechtslage geboten erscheint. Maßgeblich für die Beurteilung ist die Sicht eines juristischen Laien (vgl. Moltekin, StraFo 2005, 52, 55). Die Rechtsprechung der Oberlandesgerichte hat diese Regelung dahin konkretisiert, dass dem Angeklagten in der Regel ein Verteidiger beizuordnen ist, wenn die Staatsanwaltschaft gegen ein freisprechendes Urteil Berufung eingelegt hat und eine Verurteilung aufgrund abweichender Beweiswürdigung oder sonst unterschiedlicher Beurteilung der Sach- oder Rechtslage erstrebt (vgl. OLG Karlsruhe, NStZ-RR 2002, 336; OLG Bremen, NJW 1957, 151; OLG Hamm, NZV 1989, 244; OLG Frankfurt, StV 1990, 12; StV 1992, 220; OLG Düsseldorf, wistra 1990, 323; StV 2000, 409; OLG Köln, NStZ-RR 2003, 330, 331; siehe auch BVerfG, NJW 2003, 882; OLG Hamburg, StV 1993, 66; zustimmend Müller, in: KMR, § 140, Rn. 22; Laufhütte, in: KK zur StPO, 5. Aufl., § 140, Rn. 23; Lüderssen, in: LR StPO, § 140, Rn. 86). Die unterschiedliche Bewertung des Sachverhalts durch Staatsanwaltschaft und erstinstanzliches Gericht belegt aber nicht ausnahmslos die Schwierigkeit der Rechtslage (a.a. Wohlers, in: SK-StPO, § 140, Rn. 44; Moltekin, a.a.O., S. 55), sondern kann gleichwohl - ausnahmsweise - so einfach sein, dass der Angeklagte des Beistands eines Verteidigers nicht bedarf (vgl. OLG Düsseldorf, wistra 1990, 323).

2.

Die gesetzlichen Voraussetzungen für die - zwingende - Beiordnung eines Pflichtverteidigers liegen derzeit nicht vor.

a)

Zwar besteht in Verfahrenskonstellationen der vorliegenden Art - Freispruch des Angeklagten im ersten Rechtszug und Berufung der Staatsanwaltschaft mit dem Ziel der Verurteilung des Angeklagten - in der Regel Anlass für die Beiordnung eines Pflichtverteidigers, weil sie dokumentiert, dass zwei mit der Strafverfolgung betraute Stellen über die Beurteilung der Sach- oder Rechtslage unterschiedlicher Auffassung sind und für den - freigesprochenen - Angeklagten das Risiko einer Verurteilung im Berufungsrechtszug besteht. Hier ist indessen ein Ausnahmefall gegeben. Rechtliche Schwierigkeiten, auf die ein großer Teil der Oberlandesgerichte maßgeblich abstellt (OLG Karlsruhe a.a.O, OLG Bremen a.a.O, OLG Hamm a.a.O), bestehen nicht. In tatsächlicher Hinsicht ist die Sachlage so einfach und übersichtlich, dass der Angeklagte des Beistands eines sach- und rechtskundigen Verteidigers nicht bedarf. Dies gilt sowohl für den entscheidungserheblichen Lebenssachverhalt als auch für die Beweislage.

Dem Angeklagten, einem Gärtnermeister, wird vorgeworfen, am 01. August 2003 aus Verärgerung das Rücklicht eines durch den Zeugen J. gesteuerten Taxis beschädigt zu haben. Im ersten Rechtszug hatte sich der Angeklagte dahin eingelassen, dass er - gemeinsam mit seinem Bruder und einer weiteren Person, zu der er nichts sagen wolle - in das Taxi eingestiegen sei und der Zeuge sich aus für ihn nicht nachvollziehbarem Grund geweigert habe, sie zu befördern. Provoziert habe er den Taxifahrer nicht. Am nächsten Tag habe der Taxifahrer ihn aufgesucht und behauptet, er habe das Rücklicht eingeschlagen. Die Angaben des Angeklagten sind durch seinen in die Hauptverhandlung als Zeuge gestellten und vernommenen Bruder bestätigt worden und widersprechen den Angaben des Taxifahrers J., der bekundet hat, der Angeklagte, den er gekannt habe, habe ihn zunächst beleidigt und habe sodann - nachdem er ihn und seinen Begleiter zum Verlassen des Fahrzeugs aufgefordert habe - mit einem Gegenstand nach seinem Fahrzeug geworfen, wodurch ein...

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