Leitsatz (amtlich)

1. Der Erlass eines Auslieferungshaftbefehls zum Zwecke der Strafvollstreckung ist wegen Verstoßes gegen den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit abzulehnen, wenn eine nicht beträchtliche Strafe zur Vollstreckung ansteht und zudem nicht verlässlich beurteilt werden kann, ob sich die Auslieferung als zulässig erweisen wird.

2. Die Befürchtung, der Verfolgte werde im Falle seiner Auslieferung in einer Justizvollzugsanstalt inhaftiert werden, die europäischen Mindeststandards nicht genügt bzw. in der er einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung ausgesetzt wird, kann durch eine einzelfallbezogene und völkerrechtlich verbindliche Zusicherung ausgeräumt werden (hier: Bulgarien).

3. Zur Einholung und Beibringung einer entsprechenden Zusicherung ist die Staatsanwaltschaft beim Oberlandesgericht berufen (§ 13 Abs. 2 IRG).

 

Tenor

Der Antrag der Generalstaatsanwaltschaft Karlsruhe auf Erlass eines Auslieferungshaftbefehls wird abgelehnt.

 

Gründe

Der Antrag der Generalstaatsanwaltschaft Karlsruhe vom 18.01.2016 auf Erlass eines Auslieferungshaftbefehls war zurückzuweisen.

1. Allerdings liegen die formellen und materiellen Voraussetzungen zum Erlass eines Haftbefehls gegen den sich in anderer Sache in Strafhaft befindlichen Verfolgten vor. Insoweit besteht ein Europäischer Haftbefehl der Bezirksstaatsanwaltschaft in U. vom 17.12.2015, aus welchem sich ergibt, dass gegen den Verfolgten ein rechtskräftiges Urteil des Bezirksgerichts U. vom 19.10.2015 vorliegt, durch welches der Verfolgte zu einer noch vollständig zur Vollstreckung anstehenden Freiheitsstrafe von sechs Monaten aufgrund folgenden tatsächlichen und rechtlichen Vorwurfs verurteilt wurde, welcher sich nach deutschem Recht zumindest als Vergehen des Diebstahls bzw. versuchten Diebstahls und damit als auslieferungsfähige Straftat darstellt (§§ 242, 22 StGB; §§ 3, 81 Nr. 2 IRG):

- Anmaßung fremder Sachen durch I: 508 g Filet "Elena" im Wert von BGN 12, 70, 2 St. Kalbfleischudzhuk "Mater Tsvetko" im Gesamtwert von BGN 8,30,1 St. Deodorant Nivea im Wert von BGN 4,90 und Parfüm Straigt im Wert von BGN 17, 25, alles im Gesamtwert von BGH 43, 15 vom Besitz von P. aus U., Eigentum der ZBA U. OOD mit Geschäftsführer K. aus U. ohne jegliches Einverständnis und zwecks rechtswidriger Zueignung in den Bedingungen eines schweren Rückfalls und fortgesetzter Tat am 17.01.2015 in U. und

- Anmaßung fremder Sachen: 3 St. Lukanka "Karlovska 300 g der Boni Oborot" im Gesamtwert von BGN 10,35 vom Besitz von G. aus derselben Stadt, Eigentum der ZBA U. OOD mit Geschäftsführer K. aus U. ohne jegliches Einverständnis und zwecks rechtswidriger Zueignung am 09.05.2015 in U. - diese Tat wurde aus den vom Täter unabhängigen Gründen nicht vollendet. Der Gesamtwert des angemaßten Vermögens beläuft sich auf BGN 53,50. Hinsichtlich des Betrags von BGN 10,35, blieb die Tat in der Versuchsphase.

Art und rechtliche Würdigung der Straftat(en) und anwendbare Bestimmung des Strafgesetzbuchs:

Vorsätzliches Delikt in den Bedingungen eines schweren Rückfalls und fortgesetzter Tat nach Abschnitt I., Kapitel 5. Sonderteil des Strafgesetzbuchs. Anzuwenden ist der Tatbestand des Art. 196, Abs. 1, Z 1 i.V. Art. 26, Abs. 1 Strafgesetzbuch. Die Tat ist mit Freiheitsstrafe von 2 zwei) bis 1o (zehn) Jahren strafbar

Andere anwendbare gesetzliche Bestimmungen sind Art. 26, 29 u. 82 Strafgesetzbuch.

2. Der Erlass eines Auslieferungshaftbefehls war jedoch abzulehnen, weil der Erlass eines solchen unter Beachtung der nicht beträchtlichen Höhe der zur Vollstreckung anstehenden Strafe einerseits sowie des Umstands, dass sich der Verfolgte voraussichtlich bis Mai 2017 in deutscher Strafhaft befinden wird, andererseits gegen den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit verstoßen würde und derzeit auch nicht verlässlich beurteilt werden kann, ob die Auslieferung des Verfolgten sich als zulässig erweisen wird (§§ 73 Satz 2, 15 Abs. 2 IRG, Art. 3 EMRK, Art. 6 EU-Vertrag). Es steht nämlich zu befürchten, dass der Verfolgte im Falle seiner Auslieferung nach Bulgarien in einer Justizvollzugsanstalt inhaftiert werden könnte, die europäischen Mindeststandards nicht genügt bzw. in der er einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung ausgesetzt wäre. Insoweit gründet sich diese Befürchtung maßgeblich auf den Bericht des Europäischen Komitees zur Verhütung von Folter und unmenschlicher und erniedrigender Behandlung oder Strafe (CPT) vom 26.03.2015, wonach sich die Haftbedingungen in Bulgarien seit Jahren bei wiederholter Prüfung durch das CPT als bedenklich erwiesen haben (vgl. hierzu OLG Celle StraFo 2015, 75; KG Beschluss vom 15.04.2015, (4) 151 Ausl A 33/15 (36/15) ,abgedr. bei [...]; dass. Beschluss vom 27.03.2015, (4) 151 Ausl A 61/15 (71/15), abgedr. bei [...]; OLG München, Beschluss vom vom 27.10.2015, 1 AR 392/15, abgedr. bei [...]; OLG Dresden, Beschluss vom 11.08.2015, OLG Ausl 78/15, abgedr. bei [...]; diff. OLG Braunschweig NStZ-RR 2015, 20, abgedr. bei [...]; vgl. auch Senat, Beschluss vom 07.10.2015 -1 AK 69/...

Dieser Inhalt ist unter anderem im Deutsches Anwalt Office Premium enthalten. Sie wollen mehr?


Meistgelesene beiträge