Entscheidungsstichwort (Thema)

Kanada. Kindesentführung. Kindesherausgabe

 

Leitsatz (amtlich)

Widerrechtlich im Sinn des Art. 3 HKiEntfÜ ist das Verbringen eines minderjährigen Kindes durch seine alleinsorgeberechtigte Mutter in das Ausland (hier: in die Bundesrepublik Deutschland), wenn ihr im Herkunftsland (Kanada) gerichtlich auferlegt worden war, ihr Herkunftsland nicht ohne Zustimmung des Gerichts oder des anderen Elternteils mit dem gemeinsamen Kind zu verlassen.

 

Normenkette

SorgeRÜAG § 8 Abs. 2; HKiEntfÜ Art. 3

 

Verfahrensgang

AG Baden-Baden (Beschluss vom 03.04.1998; Aktenzeichen 2 F 47/98)

 

Tenor

1. Die sofortige Beschwerde des Antragstellers gegen den Beschluß des Amtsgerichts – Familiengericht – Baden-Baden vom 03.04.1998 (2 F 47/98) wird zurückgewiesen.

2. Der Antragsteller trägt die der Antragsgegnerin im Beschwerdeverfahren erwachsenen Auslagen.

 

Tatbestand

I.

Die Parteien haben am 13.10.1990 in Kanada die Ehe geschlossen. Aus dieser ist der am 27.07.1992 geborene Sohn Ryne-Dylan hervorgegangen. Die Eltern haben sich im August 1993 in Kanada getrennt. Die Mutter (Antragsgegnerin) hat zusammen mit dem Sohn die ehegemeinsame Wohnung verlassen, ist in den Haushalt ihrer Eltern zurückgekehrt und hat anschließend mit dem Sohn eine eigene Wohnung bezogen. Nach der Trennung der Eltern fanden zunächst alle 14 Tage Kontakte zwischen dem Vater (Antragsteller) und dem Sohn statt, danach kam es zu Schwierigkeiten bei den Besuchen. Der letzte Kontakt des Vaters mit Ryne-Dylan fand im Mai 1995 statt.

Mit Beschluß des Court of Queen's Bench of New Brunswick in Kanada vom 04.10.1994 (gültig ab 30.09.1994) wurde die elterliche Sorge für Ryne-Dylan der Mutter übertragen. Die Übertragung stand unter der Auflage, daß sie das Kind nicht ohne schriftliche Zustimmung des Vaters oder eine weitere Entscheidung des Gerichts aus Kanada verbringen durfte. Nachdem das Scheidungsverfahren der Parteien im Kanada im Juli 1995 abgeschlossen war, ist die Mutter am 06.07.1995 zusammen mit ihrem jetzigen Ehemann, dem Sohn Ryne-Dylan und einem weiteren am 21.04.1995 geborenen Sohn Joshua nach Deutschland gezogen. Sie hat mit ihrem jetzigen Ehemann, mit dem sie seit Mai 1994 zusammengelebt hatte, am 24.11.1995 vor dem Standesbeamten in Sinzheim die Ehe geschlossen. Am 15.07.1996 ist ein weiterer Sohn Brandon zur Welt gekommen.

Der Vater hat bei dem oben bezeichneten kanadischen Gericht einen Antrag vom 26.11.1996 u.a. auf Kindesherausgabe des Sohnes Ryne-Dylan gestellt. In diesem Antrag ist die Mutter unter ihrer jetzigen Anschrift aufgeführt.

Zwischen den Parteien sind beim Amtsgericht Baden-Baden ein Verfahren wegen elterlicher Sorge für Ryne-Dylan (2 F 86/97) sowie wegen Umgangsrechts des Vaters mit ihm (2 F 295/97) anhängig. Im erstgenannten Verfahren hat das Amtsgericht im Wege der vorläufigen Anordnung die elterliche Sorge für Ryne-Dylan der Mutter übertragen (Beschluß vom 15.08.1997).

Im vorliegenden Verfahren hat der Vater die Rückführung des Kindes Ryne-Dylan nach Kanada gemäß dem Haager Übereinkommen über die zivilrechtlichen Aspekte internationaler Kindesentführung vom 25.10.1980 sowie weiterhin die Sicherstellung eines Besuchs- und Umgangsrechts mit dem Kind beantragt.

Die Mutter ist dem Antrag entgegengetreten.

Das Amtsgericht hat nach Einholung einer schriftlichen Stellungnahme des Sachverständigen Dipl.-Psychologen Spreider vom 16.03.1998 (I, 25 ff.) und einer Stellungnahme des Jugendamts vom 23.03.1998 (I, 157 ff.) den Antrag des Vaters zurückgewiesen.

Der zulässige Rückführungsantrag des Vaters sei nicht begründet. Die Mutter habe das Kind nicht widerrechtlich nach Deutschland verbracht, da sie nicht das Sorgerecht einer Person, Behörde oder sonstigen Stelle verletzt habe. Dadurch, daß sie gegen die Auflage des kanadischen Gerichts verstoßen habe, das Kind nicht aus Kanada herauszubringen, habe sie nicht automatisch ihr Sorgerecht verloren. Eine Rückgabeanordnung nach Art. 12 Abs. 2 des Übereinkommens sei aber auch deshalb nicht möglich, da sich das Kind im Sinne dieser Bestimmung in seine neue Umgebung eingelebt habe.

Mit seiner form- und fristgerecht eingelegten Beschwerde verfolgt der Vater seinen Herausgabeantrag weiter.

Entgegen der Auffassung des Amtsgerichts habe die Mutter das Kind widerrechtlich nach Deutschland verbracht. Sein Sohn habe sich im familiären, sozialen, und kulturellen Umfeld nicht eingelebt.

Dem tritt die Mutter entgegen. Das Gegenteil sei der Fall, wie sich aus den Jugendamtsberichten ergebe. Es sei auch darauf hinzuweisen, daß das Kind über seine Identität nicht aufgeklärt sei, vielmehr ihren jetzigen Ehemann als seinen Vater ansehe.

Der Senat hat das Kind am 20.05.1998 und im Rahmen der mündlichen Verhandlung auch die Eltern sowie den Sachverständigen Dipl.-Psych. Adolf Spreider angehört (vgl. Prot. v. 20.05.1998, II, 85–97).

 

Entscheidungsgründe

II.

Die sofortige Beschwerde ist statthaft und auch im übrigen zulässig, § 8 Abs. 2 S. 1 des Gesetzes zur Ausführung des Haager Übereinkommens vom 25.10.1980 über die...

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