Leitsatz (amtlich)

Da es auf die tatsächlichen Verhältnisse und nicht auf formale Anknüpfungspunkte ankommt, ist es unerheblich, dass das Kind in den Niederlanden angemeldet war und die Mutter dort Sozialhilfe und Kindergeld bezog, wenn sich z.B. aus den ärztlichen Bescheinigungen eine in etwa gleichverteilte Behandlung in den Niederlanden und Deutschland ergibt. Kann aufgrund laufenden Ortswechsels ein (alleiniger) gewöhnlicher Aufenthalt nicht festgestellt werden, ist der Tatbestand des Art. 3, 4 HKÜ nicht erfüllt.

 

Normenkette

HKÜ Art. 3, 4

 

Verfahrensgang

AG Karlsruhe (Aktenzeichen 3 F 342/02)

 

Tenor

1. Auf die sofortige Beschwerde des Antragsgegners wird der Beschluss des AG – FamG – Karlsruhe vom 23.7.2002 aufgehoben und die Anträge der Antragstellerin auf Rückführung des Kindes N. J. L., geb. 26.8.1999 zurückgewiesen.

2. Außergerichtliche Kosten werden nicht erstattet.

3. Der Beschwerdewert wird auf 3.000 Euro festgesetzt.

 

Gründe

I. Der am 26.8.1999 geborene N.J.L. ist das gemeinsame Kind der Parteien, die nicht miteinander verheiratet sind. Beide gehören der Volksgruppe der Sinti an. Die Antragstellerin ist Niederländerin, der Antragsgegner hat die deutsche und französische Staatsangehörigkeit. Er ist Pastor einer Pfingstgemeinde.

Der Antragsgegner hat die Vaterschaft für das Kind anerkannt. Dieses hat mit Zustimmung der Antragstellerin seinen Familiennamen erhalten.

Die Parteien haben eine weitere einjährige Tochter.

Mit der am 11.7.2002 eingereichten Antragsschrift hat die Generalstaatsanwaltschaft beim BGH als zentrale Behörde die sofortige Rückführung des Kindes nach den Niederlanden beantragt. Der Antrag wurde dem Antragsteller am 13.7.2002 zugestellt.

Die Antragstellerin hat vorgetragen, sie habe, da Vereinbarungen zum Sorgerecht nicht getroffen seien, die alleinige elterliche Sorge für das Kind.

Das Kind habe seit seiner Geburt mit den Eltern in der Gemeinde S. in den Niederlanden gelebt. Gelegentlich und nicht länger als eine Woche sei die Familie besuchsweise unterwegs gewesen, so habe man im Februar 2002 die Familie des Antragsgegners in F. aufgesucht.

Am 23.3.2002 habe der Antragsgegner mit dem Kind das als Wohnung dienende Wohnmobil verlassen, um ein Telefonat aus einer Telefonzelle zu führen. Entgegen dieser Erklärung sei er mit dem Kind nach Deutschland gereist mit der Absicht, dauerhaft hier zu bleiben.

Die Antragstellerin beantragt, die Herausgabe des Kindes N.J.L., geb. am 26.8.1999, an sie zum Zwecke der Rückführung in die Niederlande anzuordnen und den Antragsgegner bzw. jede Person, bei der sich das Kind aufhält, zu verpflichten, das Kind an die Antragstellerin oder eine von ihr bestimmte Person herauszugeben. Der Gerichtsvollzieher möge mit der Wegnahme und Übergabe des Kindes beauftragt werden, wobei er ggf. Gewalt gebrauchen und die Unterstützung der Polizei in Anspruch nehmen könne. Ferner möge die sofortige Vollziehbarkeit der Entscheidung angeordnet werden und der Antragsgegner darauf hingewiesen werden, dass er bei Nichtauffinden des Kindes zwecks Abgabe der eidesstattlichen Versicherung über den Verbleib des Kindes geladen oder vorgeführt und ggf. Zwangshaft bis zu 6 Monaten angeordnet werden könne.

Das FamG hat mit Verfügung vom 12.7.2002 auf den 23.7.2002 Termin zur Anhörung der Parteien bestimmt.

Gleichzeitig erging eine einstweilige Anordnung, in der das Aufenthaltsbestimmungsrecht auf das Jugendamt übertragen und die Herausnahme des Kindes ggf. gegen Gewalt angeordnet wurde. Diese wurde dem Antragsgegner am 13.7.2002 zugestellt.

Auf Antrag der Antragstellerin wurde der Antragsgegner durch Urteil im einstweiligen Rechtsschutzverfahren vom 18.6.2002 des Gerichts D. B. Niederlande verurteilt, das Kind an die Antragstellerin zu übergeben. Zugleich wurde dem Antragsgegner für jeden Tag, an dem er der Anordnung nicht nachkommt, ein Zwangsgeld von? 1.000,00 auferlegt.

Durch Beschluss vom 23.7.2002 hat das FamG die Rückführung des Kindes angeordnet.

Gegen den ihm am 26.7.2002 zugestellten Beschluss hat der Antragsgegner mit dem am 30.7.2002 per Telefax eingegangenen Schriftsatz Beschwerde eingelegt und zusätzlich Wiedereinsetzung in den vorherigen Stand beantragt, da er keine Kenntnis vom Termin gehabt habe.

Der Antragsgegner rügt die Zuständigkeit des AG Karlsruhe, da sein Wohnsitz in F. sei.

Eine Entführung habe es nicht gegeben. Die Parteien hätten, wie aus der Anmeldebescheinigung ersichtlich, seit 16.3.2000 ihren gemeinsamen Aufenthalt in F., und zwar zunächst A. Weg, dann in der B. Straße. Die Familie habe sich ca. neun Monate im Jahr dort aufgehalten und sei die restliche Zeit im Wohnmobil zu Verwandtenbesuchen verreist, darunter ca. 2–3 zusammenhängende Monate jährlich zu den Eltern der Antragstellerin in den Niederlanden. Tatsächlich seien aber auch die neun Monate nicht vollständig in F. verbracht worden, sondern nur drei bis vier Monate. Die restlichen sechs Monate sei die Familie im Wohnwagen unterwegs gewesen, überwiegend in Deutschland.

Nach einem vereinbarten einwöchigen Besuch in ...

Dieser Inhalt ist unter anderem im Deutsches Anwalt Office Premium enthalten. Sie wollen mehr?