Leitsatz (amtlich)
Der Erlass eines auf Fluchtgefahr gestützten Haftbefehls durch das Berufungsgericht bedarf besonders sorgfältiger Prüfung und Begründung, wenn sich der Angeklagte bis zu seiner Verurteilung in zweiter Instanz auf freiem Fuß befunden und die Ladungen zu den Hauptverhandlungen erster und auch zweiter Instanz befolgt hat, obwohl er wusste, dass die allein berufungsführende Staatsanwaltschaft mit ihrer auf den Rechtsfolgenausspruch beschränkten Berufung eine höhere, nicht mehr aussetzungsfähige Freiheitsstrafe erstrebte (§ 112 Abs. 2 Nr. 2 StPO).
Tenor
1.
Auf die Beschwerde des Angeklagten M.H. wird der Haftbefehl des Landgerichts F. vom 13.05.2009 - 7 Ns 610 Js 22664/07 - aufgehoben. Der Haftverschonungsbeschluss des Landgerichts vom gleichen Tag wird damit gegenstandslos.
2.
Die Kosten des Beschwerdeverfahrens und die dem Angeklagten insoweit entstandenen notwendigen Auslagen fallen der Staatskasse zur Last.
Gründe
I.
Mit Urteil vom 17.02.2009 verurteilte das Amtsgericht F. den Angeklagten M.H. wegen gewerbsmäßiger Hehlerei in vier Fällen und wegen Diebstahls zu der Gesamtfreiheitsstrafe von einem Jahr und neun Monaten, deren Vollstreckung zur Bewährung ausgesetzt worden ist; der Mitangeklagte D.W., wurde wegen Hehlerei in 2 Fällen, wegen Diebstahls in 2 Fällen - in einem Fall gemeinsam mit dem Angeklagten H. begangen - sowie wegen Urkundenfälschung zu der Gesamtfreiheitsstrafe von einem Jahr und zehn Monaten verurteilt, deren Vollstreckung gleichfalls zur Bewährung ausgesetzt worden ist. Gegen dieses Urteil hat die Staatsanwaltschaft F. - beschränkt auf den Rechtsfolgenausspruch Berufung eingelegt. Die Staatsanwaltschaft erstrebte die Verurteilung der beiden Angeklagten zu einer höheren und zu vollstreckenden Gesamtfreiheitsstrafe. Auf die Berufung der Staatsanwaltschaft hat das Landgericht F. das erstinstanzliche Urteil im Rechtsfolgenausspruch aufgehoben und den Angeklagten M.H. und den Mitangeklagten D.W. jeweils zu der Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren und sechs Monaten verurteilt.
Das Landgericht hat außerdem - ohne dass dies von der Staatsanwaltschaft beantragt worden wäre - Haftbefehl gegen den Angeklagten M.H. erlassen, den sie durch Beschluss vom gleichen Tag "unter denselben Auflagen und Weisungen wie im Haftverschonungsbeschluss des Amtsgerichts F. im Ermittlungsverfahren 240 Js 31903/08 der Staatsanwaltschaft F. außer Vollzug gesetzt" hat.
Hiergegen richtet sich die Haftbeschwerde des Angeklagten vom 22.05.2009, mit der er sich gegen die Annahme von Fluchtgefahr wendet.
Die Strafkammer hat der ausführlich begründeten Haftbeschwerde nicht abgeholfen und hat die die Akten dem Senat zur Entscheidung vorgelegt.
Die Generalstaatsanwaltschaft hat beantragt,
die Beschwerde aus den zutreffenden und durch das Beschwerdevorbringen nicht entkräfteten Gründen der angefochtenen Entscheidung als unbegründet zu verwerfen.
II.
Die gemäß § 304 Abs. 1 StPO zulässige Beschwerde des Angeklagten hat Erfolg. Nach Auffassung des Senats fehlt es an zureichenden tatsächlichen Anhaltspunkten für die Annahme, dass der Angeklagte sich mit hoher Wahrscheinlichkeit der Durchführung des weiteren Verfahrens oder der anschließenden Strafvollstreckung durch Flucht entziehen werde.
1.
Fluchtgefahr im Sinne des § 112 Abs. 2 Nr. 2 StPO besteht, wenn aufgrund bestimmter Tatsachen die hohe Wahrscheinlichkeit besteht, dass der Täter sich dem Verfahren durch Flucht oder durch ein sonstiges Verhalten entziehen werde, das den Fortgang des Verfahrens dauernd oder vorübergehend verhindert (LR-Hilger, 26. Aufl., § 112 Rdn. 32; KK-Graf, 6. Aufl., § 112 Rdn. 16). Die damit geforderte Prognose des verfahrensbezogenen künftigen Verhaltens des Beschuldigten erfordert eine umfassende Abwägung sämtlicher im konkreten Einzelfall für und gegen eine mögliche Flucht des Beschuldigten sprechender Umstände ( OLG Düsseldorf, StV 1994, 85; OLG Köln, StV 1995, 475). Dabei kann eine hohe Straferwartung erfahrungsgemäß einen erheblichen Fluchtanreiz bieten. Die hohe Straferwartung ist jedoch nicht geeignet, die Prognose einer Fluchtgefahr allein zu tragen (Senat, StV 1999, 323; OLG Karlsruhe, StV 2000, 513; Meyer-Goßner, 51. Aufl. § 112, Rdn. 24; LR-Hilger, a.a.O.,; KK-Graf, a.a.O., Rdn. 19; Schlothauer/Weider, Untersuchungshaft, 3. Aufl., Rdn. 544). Auch im Falle einer hohen Straferwartung ist daher eine umfassende Abwägung aller Umstände des Einzelfalls unter Berücksichtigung der persönlichen Verhältnisse des Angeklagten und seines bisherigen Verhaltens im Verfahren geboten (Senat, StraFo 2006, 107). In Fällen, in denen sich der Angeklagte - wie hier - bis zur tatrichterlichen Verurteilung in zweiter Instanz auf freiem Fuß befunden hat, bedarf die Annahme von Fluchtgefahr besonders sorgfältiger Prüfung. Der Beschuldigte hat in diesen Fällen dokumentiert, dass er sich dem Verfahren zur Verfügung hält und an ihn gerichtete Ladungen befolgt. Die Frage, ob die nunmehr verhängte Freiheitsstrafe einen erheblichen Fluchtanreiz darstellt, kann je nach den...