Leitsatz (amtlich)
1. Voraussetzung für weitere Ermittlungen im Rahmen der Amtsermittlungspflicht ist, dass das Alter des Betroffenen zweifelhaft ist. Ist die Behauptung, minderjährig zu sein, offenkundig falsch oder legt der Betroffene die Umstände, aus denen sich seine Minderjährigkeit ergeben soll, schon nicht hinreichend plausibel dar, gebietet die Amtsermittlungspflicht keine Ermittlungen "ins Blaue" hinein.
2. Der Zweifelssatz - demzufolge bei nicht ausräumbaren Zweifeln an der Volljährigkeit zugunsten des Betroffenen von dessen Minderjährigkeit auszugehen ist - greift erst ein, wenn sich das Gericht trotz Ausschöpfung aller verfahrensrechtlich möglichen und zulässigen sowie nach den Umständen veranlassten Aufklärungsmöglichkeiten keine hinreichende Gewissheit über das tatsächliche Alter des Betroffenen verschaffen kann.
3. Zum Umfang der Mitwirkungspflicht des Betroffenen gem. § 27 FamFG bei der Feststellung seines Alters.
4. Zur Bedeutung und Verwertbarkeit einer Röntgenuntersuchung des Handskeletts.
Verfahrensgang
AG Freiburg i. Br. (Beschluss vom 23.03.2015; Aktenzeichen 39 F 232/15) |
Tenor
1. Die Beschwerde des Betroffenen gegen den Beschluss des AG - Familiengericht - Freiburg vom 23.03.2015 (39 F 232/15) wird zurückgewiesen.
2. Von der Erhebung von Gerichtskosten wird abgesehen. Eine Erstattung außergerichtlicher Kosten findet nicht statt.
3. Der Gegenstandswert des Beschwerdeverfahrens wird auf 3.000 EUR festgesetzt.
4. Der Antrag des Betroffenen auf Bewilligung von Verfahrenskostenhilfe wird zurückgewiesen.
Gründe
I. Gegenstand des Beschwerdeverfahrens ist die vom Betroffenen erstrebte Feststellung, dass die für ihn bestehende elterliche Sorge ruht und ihm daher ein Vormund zu bestellen ist.
Der Betroffene... wurde am... durch das Jugendamt der Stadt... in Obhut genommen, nachdem er sich nach seiner Ankunft am Hauptbahnhof in... am Morgen des selben Tages bei der Polizei gemeldet hatte.
Der Betroffene gibt an, am... in... geboren worden und aufgewachsen zu sein. Sein Vater sei im Jahr 2003 verstorben. Mit seiner Mutter und seinem Stiefvater habe er in... gelebt und 11 Jahre die Schule in... besucht. Er sei Mitglied der... Volleyball-Jugendnationalmannschaft gewesen. Sein Stiefvater habe mit anderen Männern einen Putsch gegen den Präsidenten von... geplant. Dieser Putsch sei am 30.12.2014 gescheitert, der Stiefvater erschossen worden. Die... habe seine Mutter und seine Schwestern am 01.01.2015 abgeholt und unter Arrest gestellt. Er selbst habe am 01.01.2015 ein Volleyballspiel außerhalb der Stadt gehabt. Nachdem er zunächst eine Nacht bei einem Freund untergekommen sei, sei er mit einem Pickup durch die Wüste... nach... geflohen. In... sei er auf ein Boot in Richtung... gestiegen. Nachdem der Motor des Bootes versagt habe, sei das Boot auf dem offenen Meer getrieben. Ein vorbeikommendes Schiff habe alle rund 80 Insassen aufgenommen und nach... gebracht. Dort habe er 75 EUR für seine Weiterreise erhalten und sei sodann über...,... und... nach Deutschland gefahren.
Mit am 27.01.2015 beim AG Freiburg eingegangenem Schreiben beantragte das Jugendamt der Stadt..., das Ruhen der elterlichen Sorge festzustellen und regte die Einrichtung einer Vormundschaft für den Betroffenen an.
Aufgrund der Inaugenscheinnahme des Betroffenen ergaben sich für die zuständige Sachbearbeiterin des Jugendamts gravierende Zweifel an dessen Minderjährigkeit. Eine unter dem 30.01.2015 durch Prof. Dr...,..., auf Veranlassung des Jugendamtes erstattete ärztliche Stellungnahme auf der Basis einer am 29.01.2015 gefertigten Röntgenaufnahme der linken Hand kommt zu dem Ergebnis, dass sich aus dem Skelettalter ein Mindestalter des Betroffenen von 18 Jahren ergebe. Das Jugendamt beendete daraufhin am 02.02.2015 die Inobhutnahme.
Am 02.02.2015 beantragte der Betroffene seinerseits beim AG Freiburg die Bestellung eines Vormunds. Entgegen des radiologischen Befundes sei er am... geboren. Dies belege der in Kopie beiliegende Auszug aus dem... Geburtsregister. Der Betroffene beantragte außerdem eine einstweilige Anordnung auf Inobhutnahme; insoweit wurde das Verfahren an das Verwaltungsgericht Freiburg abgegeben.
Am 17.03.2015 wurde der Betroffene vor dem Familiengericht angehört. Wegen der Einzelheiten wird auf den Anhörungsvermerk verwiesen. Auf Frage des Gerichts, ob er bereit sei, weitere Untersuchungen (körperliche Untersuchung, Röntgen des Schlüsselbeines, Zahnbefund usw.) zur weiteren Abklärung seines Alters vornehmen zu lassen, teilte er mit, dass er damit nicht einverstanden sei.
Mit Beschluss vom 23.03.2015 stellte das Familiengericht Freiburg fest, dass die Voraussetzungen für die Feststellung des Ruhens der elterlichen Sorge nicht vorliegen. Der erhobene Röntgenbefund spreche für ein Mindestalter von 18 Jahren, nachdem die Wachstumsfugen der linken Hand komplett geschlossen seien. Um gesichert von Volljährigkeit ausgehen zu können, müssten weitere Untersuchungen des Betroffenen erfolgen, die vorliegend nicht durchgeführt worden seien, wei...