Leitsatz (amtlich)
1. § 68 Abs. 5 Nr. 1 FamFG steht dem Absehen von einer erneuten Anhörung der Eltern in kinderschutzrechtlichen Verfahren nach §§ 1666, 1666a BGB nicht entgegen, wenn das Beschwerdegericht wegen fehlender internationaler Zuständigkeit nicht in der Sache entscheidet.
2. Die Vorschriften der §§ 68 Abs. 3 Satz 1, 159 FamFG sind einschränkend so auszulegen, dass eine Anhörung des Kindes und das Sich-Verschaffen eines persönlichen Eindrucks nicht erforderlich sind, wenn eine Beschwerde wegen des Entfallens der internationalen Zuständigkeit während des Beschwerdeverfahrens zurückgewiesen wird.
Verfahrensgang
AG Überlingen (Aktenzeichen 1 F 52/22) |
Tenor
1. Die Beschwerde der Eltern gegen den Beschluss des Amtsgerichts - Familiengericht - Überlingen vom 14.11.2022 (1 F 52/22) wird zurückgewiesen.
2. Die Eltern tragen die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
3. Der Verfahrenswert für das Beschwerdeverfahren wird auf 4.000 EUR festgesetzt.
Gründe
I. Gegenstand des Verfahrens ist eine sorgerechtliche Streitigkeit betreffend die Durchsetzung der in Deutschland geltenden Schulpflicht.
Die Kinder ..., geboren am ..., und ..., geboren am ..., leben mit ihren verheirateten Eltern zusammen. Der Vater arbeitet seit 2008 in seiner Einzelfirma Heizungstechnik ... mit Firmensitz im Anwesen der Familie ..., ..., seinem ehemaligen Elternhaus. Die Mutter betrieb dort bis Dezember 2021 ein Friseurgeschäft. In ... lebt ebenfalls eine Großmutter der Kinder, um die sich die Eltern kümmern. Die Eltern sind Inhaber einer Firma "...", die gewerberechtlich nicht gemeldet ist und ihren Sitz im Anwesen ... in ... hat.
... wurde am ... in der ..., Bezirk ..., eingeschult, die sie bis zum Beginn der Corona Pandemie im März 2020 regelmäßig besuchte. Im Anschluss nutzten die Eltern die ihnen bis Ende des Schuljahres 2020/2021 eingeräumte Möglichkeit, das Kind im "Homeschooling" beschulen zu lassen. ... nahm während dieser Zeit ordnungsgemäß am Online-Unterricht teil.
Bei der Schulanmeldung von ... gaben die Eltern sowohl die Adresse ... in ... als auch eine weitere Adresse in ... an, wo sich eigenen Angaben zufolge ihr Hauptwohnsitz befand. Amtlich gemeldet waren die Eltern und ... aber nicht in ..., wo der Bruder des Vaters (im Folgenden: Onkel) lebt, sondern zunächst seit dem 01.02.2013 in der Gemeinde .... Nachdem die Gemeinde ... dem Wunsch der Eltern, ihre Personalausweise und Reisepässe zu vernichten, keine Folge geleistet hatte, meldete sich die Familie zum 27.10.2015 in ... ab und gab als neue Adresse eine fiktive Anschrift in .... an. Mit Schreiben vom 24.02.2022 teilte die Gemeinde ... den Eltern mit, dass sie mit ... und ... rückwirkend zum 28.10.2015 in das Melderegister aufgenommen worden seien, da die Familie dort ihren tatsächlichen Lebensmittelpunkt habe.
Nachdem seit Beginn des Schuljahres 2021/2022 in den Schulen wieder eine gesetzliche Anwesenheitspflicht der Schüler bestand, erklärten die Eltern der Schule gegenüber mit einem nicht datiertem Schreiben sowie per E-Mail vom 10.09.2021 und nochmals telefonisch am 13.09.2021, sie würden ihre Tochter ... von der Schule abmelden und das Schulverhältnis "kündigen". Mit Schreiben vom 05.11.2021 und 08.12.2021 erklärte der Vater der Schule die "vorsorgliche und vollumfängliche Zurückweisung des Betreuungsangebotes und der Vermutung einer Schulpflicht" unter Verweis darauf, dass die Familie in Deutschland nicht mehr wohnhaft sei, sondern seit September 2015 ihren Wohnsitz in der Schweiz sowie in Ungarn habe. ... blieb seither der Schule fern. Mit Bescheiden des Regierungspräsidiums ... vom 08.04.2022, 23.05.2022, 22.06.2022, 15.09.2022 und 14.10.2022 wurde gegen die Eltern jeweils zur Erzwingung ihres Schulbesuchs ein Zwangsgeld festgesetzt.
Aufgrund Anregung der ... Grundschule ... vom 29.03.2022 leitete das Amtsgericht Überlingen zur Überprüfung einer möglichen Kindeswohlgefährdung des Kindes ... ein sorgerechtliches Verfahren ein (1 F 52/22). Am 06.05.2022 wollten Mitarbeiter des Jugendamtes des Landratsamts ... die Familie im Rahmen eines unangekündigten Hausbesuches in ... besuchen, ihnen wurde aber auf ihr Klingeln nicht geöffnet. Das Haus in der ... in ... wirkte bewohnt, im Flur standen Kinderschuhe. Neben dem Haus parkte ein Firmenwagen mit der Aufschrift "... Heizungstechnik". Am Briefkasten und Klingelschild stand der Name "Verein...". Das Jugendamt legte sodann in seiner schriftlichen Stellungnahme vom 20.05.2022 dar, dass es nach Aktenlage vorläufig von einer Gefährdung des Kindeswohls ausgehe. Die Eltern seien zu einem Gespräch zur Klärung nicht bereit gewesen.
Für ... wurde durch Beschluss des Amtsgerichts Überlingen vom 24.05.2022 eine Verfahrensbeiständin bestellt. Dieser war es in der Folgezeit nicht möglich, Kontakt zu der Familie zu bekommen.
Die Ladungen für die anberaumten Anhörungstermine der Kinder und der Beteiligten wurden den Eltern durch Einlegung in den Briefkasten des Anwesens ... in ... am 28.05.2022 postalisch zugestellt. Daraufhin teilte die Firma "...