Entscheidungsstichwort (Thema)
Aufhebung eines Haftbefehls wegen Verstoßes gegen das Beschleunigungsverbot
Leitsatz (redaktionell)
Der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz setzt Dauer der Untersuchungshaft und damit auch dem durch die Überhaftnotierung zum Vollzug vorgemerkten Haftbefehl unabhängig von der zu erwartenden Strafe Grenzen.
Verfahrensgang
LG Mannheim (Entscheidung vom 03.01.2002; Aktenzeichen 22 Qs 21/01) |
Gründe
I. Der Beschuldigte, gegen den die Staatsanwaltschaft Mannheim seit Juli 1999 ein Ermittlungsverfahren wegen Verdachts des Betruges u. a. führt, befand sich seit seiner Festnahme am 09.03.2000 zunächst aufgrund Haftbefehls des Amtsgerichts Mannheim vom 19.01.2000 in Untersuchungshaft. Mit seit 14.12.2000 vollzogenem Beschluss des Amtsgerichts vom 12.12.2000 wurde die Untersuchungshaft zur Verbüßung der restlichen Freiheitsstrafe von 603 Tagen aus dem Urteil des Amtsgerichts Frankfurt/Main vom 25.11.1998 unterbrochen. Das Ende der derzeit vollstreckten Strafe wird voraussichtlich am 08.08.2002 sein.
Nachdem das Amtsgericht Mannheim auf Antrag der Staatsanwaltschaft am 17.12.2001 einen neuen, dem derzeitigen Verfahrensstand angepassten Haftbefehl erlassen und dem Beschuldigten eröffnet hatte, legte dieser am selben Tag dagegen Beschwerde ein mit dem Ziel, den Haftbefehl aufzuheben. Das Amtsgericht half der Beschwerde mit Entschließung vom 17.12.2001 nicht ab. Mit Beschluss vom 03.01.2002 verwarf das Landgericht - Wirtschaftsstrafkammer 2 - Mannheim die Haftbeschwerde als unbegründet. Der Beschuldigte erhob hiergegen weitere Beschwerde mit Verteidigerschriftsatz vom 07.01.2002. Die Generalstaatsanwaltschaft Karlsruhe hat am 18.01.2002 auf die Verwerfung der weiteren Beschwerde, der das Landgericht am 09.01.2002 nicht abgeholfen hat, angetragen.
II. Das Rechtsmittel des Beschuldigten erweist sich als zulässig und begründet.
1. Die weitere Beschwerde gegen den nicht vollzogenen und zur Überhaft notierten Haftbefehl ist statthaft, da der angefochtene Beschluss die Verhaftung betrifft (§ 310 Abs. 1 StPO). Ein solcher Fall liegt vor, wenn durch ihn unmittelbar entschieden wird, ob der Beschwerdeführer in Untersuchungshaft zu nehmen oder zu halten ist (BGHSt 26, 270). Diese Voraussetzung ist hier gegeben. Denn der zum Vollzug vorgemerkte Haftbefehl entfaltet seine freiheitsentziehenden Wirkungen sofort und ohne weitere gerichtliche Anordnung, wenn die Strafhaft endet oder der Freiheitsentzug z. B. durch eine Beurlaubung unterbrochen werden soll (OLG Karlsruhe Die Justiz 1980, 208).
2. Dass der Beschuldigte der ihm im Haftbefehl zur Last gelegten Straftaten dringend verdächtig ist, hat der Senat - unter Bezug auf die frühere Haftgrundlage - bereits in seinem nach § 121 Abs. 1 StPO ergangenen Beschluss vom 18.09.2000 - 3 HEs 188/00 - geprüft und bejaht. Dies gilt auch für die in den neuen Haftbefehl zusätzlich aufgenommenen Tatvorwürfe; insoweit nimmt der Senat auf die zutreffenden Gründe des Beschlusses der Wirtschaftsstrafkammer Bezug.
3. Mit Recht hat das Landgericht die Haftgründe der Fluchtgefahr und Verdunkelungsgefahr (§ 112 Abs. 2 Nrn. 2,3 StPO) aus den im Haftbefehl dargelegten Gründen vorliegend als gegeben erachtet. Gerade wegen der fortbestehenden Beziehungen des Beschuldigten in sein früheres Heimatland Rumänien ist das Ausmaß der Fluchtgefahr besonders hoch einzuschätzen. Hiergegen hat der Beschwerdeführer auch nichts erinnert.
4. Der Haftbefehl kann jedoch nicht aufrechterhalten werden, weil dies zu der Bedeutung der Sache und der im Falle einer Verurteilung zu erwartenden Strafe außer Verhältnis stehen würde. Bei der Prüfung, ob die Aufrechterhaltung des Haftbefehls noch mit dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz (§ 120 Abs. 1 Satz 1 StPO) in Einklang steht, ist nämlich zu beachten, dass dieses Prinzip der Dauer der Untersuchungshaft und damit auch dem durch Überhaftnotierung zum Vollzug vorgemerkten Haftbefehl unabhängig von der zu erwartenden Strafe Grenzen setzt und sich das Gewicht des Freiheitsanspruchs des Beschuldigten gegenüber dem staatlichen Interesse an einer wirksamen Strafverfolgung mit zunehmender Dauer der Untersuchungshaft regelmäßig vergrößern wird (BVerfGE 53, 152). Diesem Gesichtspunkt kann bei Verstößen gegen das aus Art. 2 Abs. 2 Satz 2 GG herzuleitende Beschleunigungsgebot auch dann Bedeutung zukommen, wenn bei Vollstreckung von Strafhaft der Haftbefehl lediglich zur Überhaft notiert ist (OLG Stuttgart StV 1990, 213; OLG Düsseldorf StV 1991, 474; OLG Frankfurt/Main StV 1994, 665; KG Beschl. vom 02.12.1999 - 4 Ws 291/99 - bei juris Rechtsprechung; OLG Bremen StV 2000, 35). Die Notwendigkeit für eine beschleunigte Durchführung des Verfahrens ergibt sich daraus, dass der Beschuldigte aufgrund der Überhaftnotierung nach § 122 StVollzG den durch den Zweck der Untersuchungshaft gebotenen Freiheitsbeschränkungen unterliegt und nicht die nach den Vorschriften des Strafvollzugsgesetzes vorgesehenen Vollzugslockerungen erhalten kann (OLG Frankfurt/Main aaO.; OLG Bremen aaO.; Boujong in KK StP...