Entscheidungsstichwort (Thema)
Fahrverbot: Absehen von einem Fahrverbot bei fehlender subjektiver Vorwerfbarkeit
Leitsatz (redaktionell)
Von einem Fahrverbot kann bei einer Geschwindigkeitsüberschreitung daher abgesehen werden, wenn der Fahrer zu schnell gefahren ist (hier: 122 km/h anstatt erlaubter 80 km/h), um seiner in den Wehen liegenden Ehefrau auf deren Bitten hin so schnell wie möglich beistehen zu können.
Verfahrensgang
AG Freiburg i. Br. (Entscheidung vom 10.11.2000; Aktenzeichen 28 OWi AK 423/00) |
Gründe
Das Amtsgericht hat den Betroffenen wegen fahrlässiger Überschreitung der zulässigen Geschwindigkeit außerorts um 42 km/h zu einer Geldbuße von 200 DM verurteilt und ihm für die Dauer von einem Monat untersagt, Kraftfahrzeuge jeglicher Art im Straßenverkehr zu führen. Die nach dem Gesamtzusammenhang ihrer Begründung auf den Rechtsfolgenausspruch beschränkte Rechtsbeschwerde des Betroffenen, die sich insbesondere gegen die Verhängung eines Fahrverbots richtet, hat im wesentlichen Erfolg.
Nach den Urteilsfeststellungen befuhr der Betroffene am 9. März 2000 mit einem PKW auf der Gemarkung F. die K 9853 in Fahrtrichtung O. mit einer Geschwindigkeit von 122 km/h, obwohl er wusste, dass die zulässige Höchstgeschwindigkeit aufgrund Verkehrszeichens 274 dort nur 80 km/h betrug. Dabei ist das Amtsgericht zu Gunsten des Betroffenen davon ausgegangen, dass dieser in dem Bestreben, schnell nach Hause zu kommen, unter Außerachtlassung der erforderlichen Sorgfalt nicht auf die Geschwindigkeit achtete. Dem liegt folgende, vom Amtsgericht ersichtlich als unwiderlegbar angesehene Einlassung des Betroffenen zugrunde: Kurz vor Fahrtantritt sei er von seiner damals schwangeren Ehefrau im Büro angerufen worden. Diese habe ihn gebeten, unverzüglich zu ihr nach Hause zu fahren, da sie das Gefühl habe, in den Wehen zu liegen. Zwar sei der errechnete Geburtstermin (erst) der 10. Juni 2000 gewesen; indes sei bereits ihr erstes Kind vier Wochen vor dem Termin als Gefahrengeburt mit einer Notoperation zur Welt gekommen.
Das Amtsgericht hat in dem Verhalten des Betroffenen eine auch in subjektiver Hinsicht grobe Pflichtverletzung im Sinne des § 25 Abs. 1 Satz 1 StVG gesehen, da er die Fahrt unternommen habe, obwohl er in seiner Konzentration derart gemindert war, dass er die erhebliche Geschwindigkeitsüberschreitung nicht beachtete; gegebenenfalls hätte er einen Kollegen bitten müssen, ihn nach Hause zu fahren, oder aber ein Taxi nehmen müssen.
Nach den getroffenen Feststellungen liegen die Voraussetzungen des § 25 Abs. 1 StVG nicht vor. Danach kann ein Fahrverbot verhängt werden, wenn der Betroffene unter grober Verletzung der Pflichten eines Kraftfahrzeugführers eine Ordnungswidrigkeit nach § 24 StVG begangen hat. Grobe Pflichtverletzungen sind solche, die (objektiv) immer wieder Ursache schwerer Unfälle sind und (subjektiv) auf besonders grobem Leichtsinn, grober Nachlässigkeit oder Gleichgültigkeit beruhen (vgl. nur BGHSt 43, 241, 245 ff.; Senat VRS 97, 198; Hentschel, Straßenverkehrsrecht 36. Aufl. § 25 StVG Rdnr. 14 m.w.N.). Die in § 2 Abs. 1 BKatV (in Verbindung mit der Anlage zu § 1 Abs. 1 BKatV) aufgeführten Tatbestände - hier § 2 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 BKatV i.V.m. Nr. 5.3 bzw. 5.3.4 des Anhangs zu Nr. 5 der Anlage - beschreiben nicht nur in objektiver Hinsicht besonders gravierende und gefahrenträchtige Verhaltensweisen, sondern entfalten als Regelbeispiele auch hinsichtlich des subjektiven Elements der groben Pflichtverletzung durchweg eine gewichtige Indizwirkung (BGH aaO.). Ein Regelfall ist aber dennoch zu verneinen, wenn die gesamten Tatumstände so weit von dem typischen, vom Verordnungsgeber ins Auge gefassten Fall des Verkehrsverstosses abweichen, dass die objektiv schwerwiegende Zuwiderhandlung nicht auch subjektiv in erhöhtem Maße vorwerfbar ist und eine grobe Pflichtverletzung deshalb im Ergebnis nicht festgestellt werden kann (Senat aaO.). Hiervon ausgehend erscheint das vom Amtsgericht als unwiderlegbar zugrundegelegte Tatbild in einem deutlich milderen Licht als das Verhalten eines Kraftfahrzeugführers, dem grober Leichtsinn, grobe Nachlässigkeit oder Gleichgültigkeit vorzuwerfen ist. Nach den Feststellungen ist davon auszugehen, dass der Betroffene aus Sorge um seine schwangere, aus seiner Sicht möglicherweise bereits in den Wehen liegende Ehefrau (vor dem Hintergrund einer früheren vorzeitigen Gefahrengeburt), die ihn gebeten hatte, unverzüglich zu ihr nach Hause zu fahren, bestrebt war, ihr so schnell wie möglich beistehen zu können und dabei nicht mit der gebotenen Sorgfalt auf die einzuhaltende Geschwindigkeit achtete. Angesichts dieser besonderen Umstände erscheint der Handlungsunwert so weit gemindert, dass die Voraussetzungen des § 25 Abs. 1 Satz 1 StVG für die Verhängung eines Fahrverbots nicht gegeben sind (vgl. BayObLG NJW 2000, 888, 889 für einen ähnlich gelagerten Fall).
Nachdem nicht zu erwarten ist, dass weitere bedeutsame Feststellungen zum Vorliegen einer groben Pflichtverletzung getroffen werd...