Entscheidungsstichwort (Thema)
Auslieferung. Abwesenheitsurteil. Bewilligungsverfahren
Leitsatz (amtlich)
1. Die in § 83 Nr. 3 IRG aufgestellten besonderen Anforderungen für Auslieferungen aufgrund eines Abwesenheitsurteils gelten für ein Berufungsverfahren jedenfalls dann, wenn in diesem erstmals eine gerichtliche Verurteilung ausgesprochen oder aber die Strafe über das in erster Instanz verhängte Strafmaß hinaus erhöht wurde.
2. Ein Abwesenheitsurteil nach § 83 Nr.3 IRG liegt dann nicht vor, wenn der Verfolgte zum ersten Termin zur Hauptverhandlung geladen wurde ist und dort Gelegenheit bestand, sich zum Vorwurf zu verteidigen.
3. Der Senat hält an seiner ständigen Rechtsprechung fest, dass es sich beim Merkmal des "Überwiegens der schutzwürdigen Interessen" i.S.d. § 83 b Abs. 2 lit. b IRG um ein vom Oberlandesgericht vollumfänglich zu überprüfendes Tatbestandsmerkmal handelt und dessen Bejahung im Regelfall die Annahme eines Bewilligungshindernisses indiziert. Eine Ausnahme von dieser Regelwirkung kann aber etwa dann in Betracht kommen und angezeigt sein, wenn der ersuchende Staat ein legitimes und berechtigtes Interesse an der Vollstreckung der Strafe in seinem Hoheitsbereich hat (Fortführung von Senat NStZ-RR 2009, 107).
Tenor
- Die Auslieferung der Verfolgten nach Rumänien zur Strafvollstreckung aufgrund des Europäischen Haftbefehls des Gerichtshofs in Y. vom 11. Dezember 2014 wird für zulässig erklärt.
- Es wird festgestellt, dass die Entschließungen der Generalstaatsanwaltschaft Karlsruhe vom 07. April 2015 und 30. April 2015, keine Bewilligungshindernisse nach § 83 b IRG geltend machen zu wollen, rechtsfehlerfrei getroffen sind.
- Die Auslieferungshaft hat fortzudauern.
Gründe
I.
Gegen die Verfolgte besteht ein Europäischer Haftbefehl des Gerichtshofs in Y. vom 11.12.2014, aus welchem sich in Zusammenhang mit weiteren Auslieferungsunterlagen, insbesondere dem Strafurteil der Strafabteilung II des Appellationsgerichtshofs in Y. vom 27.11.2014 ergibt, dass die Verfolgte durch dieses vollstreckbare Straferkenntnis im Berufungsverfahren - in erster Instanz war die Verfolgte zunächst durch Urteil des Gerichtshofs in Y. vom 07.09.2011 zu einer Freiheitsstrafe von drei Jahren verurteilt worden - zu einer Freiheitsstrafe von sieben Jahren verurteilt wurde, welche abzüglich der in der Zeit von 31.03.2012 bis 14.12.2012 vollstreckten Untersuchungshaft noch vollständig zur Verbüßung ansteht.
Der Verfolgten wird im Europäischen Haftbefehl des Gerichtshofs in Y. vom 11.12.2014 nebst rechtlicher Würdigung die Begehung folgender Straftat vorgeworfen:
Wird ausgeführt.
Die Verfolgte hat bei ihren richterlichen Anhörungen am 13.02.2015, 23.02.2015 und 17.03.2015 einer vereinfachten Auslieferung nicht zugestimmt und über ihren Rechtsbeistand vor allem vorgetragen, die Auslieferung sei nicht zulässig, da sie in Abwesenheit verurteilt worden sei. Auch sei sie nicht zu allen Gerichtsterminen vor dem Appellationsgerichtshof in Y. geladen und in der Hauptverhandlung nicht von einem Verteidiger ihrer Wahl vertreten worden. Auch bestünden gegen das Urteil vom 27.11.2014 erhebliche rechtsstaatliche Bedenken, weil ohne hinreichende Beweisaufnahme ein Urteil gesprochen und hierin das Strafmaß gegenüber der ersten Instanz mehr als verdoppelt worden sei. Auch beanstandet der Rechtsbeistand die Entschließungen der Generalstaatsanwaltschaft Karlsruhe vom 07.04.2015 und 30.04.2015 und ist insoweit der Ansicht, dass die sozialen Belange der Verfolgten, insbesondere auch deren beabsichtigte Heirat mit einem deutschen Staatsangehörigen, die Vollstreckung der Strafe im Inland gebieten.
Die Generalstaatsanwaltschaft Karlsruhe hat am 07.04.2011 beantragt, die Auslieferung im nachgesuchten Umfang für zulässig zu erklären; zugleich hat sie entschieden, dass nicht beabsichtigt sei, Bewilligungshindernisse nach § 83 b IRG geltend zu machen, und ihre Entschließung am 30.04.205 ergänzt, wozu dem Rechtsbeistand jeweils rechtliches Gehör gewährt wurde.
Die Generalstaatsanwaltschaft Karlsruhe hat die Einholung ergänzender Auslieferungsunterlagen durch Vorlage von Erklärungen des Gerichtshofs in Y. - I. Strafabteilung - vom 06.04.2015 und 13.05.2015 nebst zahlreicher weiterer Dokumente (Gerichtsprotokolle, Ladungsurkunden, dienstliche Stellungnahme) veranlasst, auf welche wegen der Einzelheiten ihres Inhalts verwiesen wird. Im Hinblick auf die Anwesenheit der Verfolgten bzw. von vertretungsberechtigten Personen geht der Senat danach von folgendem Ablauf der Verhandlungen vor der Strafabteilung II des Appellationsgerichtshofs in Y. aus, welche am 27.11.2014 zu dem Strafurteil führten:
Ausweislich des vorliegenden Gerichtsprotokolls des Appellationsgerichtshofs vom 08.05.2014 war an dem an diesem Tage erfolgten ersten Aufruf der vorliegenden Sache der vom Gericht am 29.03.2014 bestellte Pflichtverteidiger der Verfolgten, Rechtsanwalt C., sowie der Bruder der Verfolgten anwesend, welcher mitteilte, seine Schwester halte sich Deutschland auf und habe einen Wohnsitz unt...