Leitsatz (amtlich)
Dass die Richterin, die die mit der Beschwerde angegriffene erstinstanzliche Entscheidung erlassen hat, nunmehr Vorsitzende Richterin des Beschwerdesenats ist, rechtfertigt aus Sicht eines vernünftigen Verfahrensbeteiligten keine Zweifel an der Unvoreingenommenheit der zur Entscheidung über die Beschwerde berufenen (übrigen) Richter des Senats.
Verfahrensgang
AG Sinsheim (Aktenzeichen 20 F 185/17) |
Tenor
Das Ablehnungsgesuch gegen sämtliche Richter des 2. Zivilsenats wird für unbegründet erklärt.
Gründe
I. Mit Beschluss vom 18.05.2018 - 20 F 185/17 - hat das Amtsgericht Sinsheim durch die damalige Direktorin des Amtsgerichts Puhl den Antragsgegner zu Leistungen von Ehegattenunterhalt an die Antragstellerin sowie auf den Widerantrag des Antragsgegners die Antragstellerin zu Leistungen von Kindesunterhalt für die gemeinsame Tochter M. K. verpflichtet. Dagegen wenden sich die Antragstellerin mit der Beschwerde sowie der Antragsgegner mit der Anschlussbeschwerde. Frau Puhl ist am 07.06.2019 zur Vorsitzenden Richterin am Oberlandesgericht Karlsruhe ernannt und dem für das Beschwerdeverfahren zuständigen 2. Zivilsenat/Familiensenat als Vorsitzende zugewiesen worden.
Mit Beschluss vom 23.10.2019 (As. 349 f.) hat der 2. Zivilsenat in der Besetzung mit Richterin am Oberlandesgericht Baßler-Frühauf als Vorsitzende sowie Richterin am Oberlandesgericht Bastian und Richterin am Amtsgericht Dr. Farhadi als Beisitzerinnen die Beschwerde dem vorbereitenden Einzelrichter zur Vorbereitung der Entscheidung zugewiesen. Vorbereitende Einzelrichterin war bis zu ihrem Ausscheiden aus dem Senat mit Ablauf des Jahres 2019 die an den Senat vorübergehend abgeordnete Richterin am Amtsgericht Dr. Farhadi. Ihr ist seit 01.01.2020 Frau Richterin am Amtsgericht Frie als ebenfalls abgeordnete Richterin im Dezernat nachgefolgt.
In der nichtöffentlichen Sitzung vor der vorbereitenden Einzelrichterin Dr. Farhadi hat die Verfahrensbevollmächtigte der Beschwerdeführerin erklärt, dass sie die Rüge der Befangenheit des Senats erhebe. Die Befangenheitsrüge beziehe sich auf den gesamten 2. Zivilsenat. Hintergrund des Antrags sei, dass die verfahrensgegenständliche erstinstanzliche Entscheidung von Frau Vorsitzenden Richterin am Oberlandesgericht Puhl getroffen worden sei, damals in ihrer Funktion als Direktorin des Amtsgericht Sinsheim. Es liege damit ein Fall der atypischen Vorbefasstheit des Senats vor, so dass sämtliche Mitglieder des 2. Zivilsenats aus Sicht der Beschwerdeführerin von einer Entscheidung ausgeschlossen seien. Die Verfahrensbevollmächtigte der Beschwerdeführerin beziehe sich insoweit auf eine Entscheidung des OLG Karlsruhe, FamRZ 1992, 1194.
Sämtliche Mitglieder des 2. Zivilsenats, und zwar neben den im Beschwerdeverfahren zunächst befassten Richterinnen auch die Vorsitzende Richterin am Oberlandesgericht Puhl, Richterin am Oberlandesgericht Conrad-Graf sowie Richterin am Amtsgericht Frie als Dezernatsnachfolgerin von Richterin am Amtsgericht Dr. Farhadi haben zu dem Ablehnungsgesuch eine dienstliche Stellungnahme abgegeben. Die Stellungnahmen wurden den Beteiligten mit der Gelegenheit zur Äußerung zugeleitet.
Der Beschwerdegegner tritt dem Ablehnungsgesuch entgegen. Er ist der Ansicht, allein der Umstand, dass die Vorsitzende Richterin am Oberlandesgericht Puhl als erstinstanzliche Richterin nunmehr Mitglied bzw. Vorsitzende des Beschwerdesenats sei, rechtfertige nicht die Ablehnung des gesamten Senates.
Die Beschwerdeführerin hält an dem Gesuch fest. Der in den dienstlichen Stellungnahmen geäußerten Auffassung, dass die Vorsitzende Richterin Puhl gemäß § 41 ZPO von der Ausübung des Richteramtes ausgeschlossen sei, sei zuzustimmen. Aufgrund ihrer besonderen Stellung nach dem Gerichtsverfassungsgesetz (§ 122 GVG) habe sie als Vorsitzende Richterin richtunggebenden Einfluss. Dieser Einfluss bestehe ungeachtet der Tatsache, dass sie an der direkten Entscheidungsfindung nicht mitwirke. Entscheidend sei, dass die ihr nach dem GVG zugewiesenen Aufgaben als Vorsitzende Richterin eine Einflussnahme auf die Rechtsprechung des Senat bedeuteten und damit vom Standpunkt einer Partei aus objektiv und vernünftig betrachtet ein Misstrauen rechtfertigten. Dabei solle einem Ablehnungsgesuch im Zweifelsfall stattgegeben werden, um im Einzelfall das Vertrauen in die Rechtspflege zu erhalten oder um den abgelehnten Richter einer persönlichen Kritik durch die Partei zu entziehen.
II. Das gegen sämtliche Richter des 2. Zivilsenats gerichtete Ablehnungsgesuch der Beschwerdeführerin hat keinen Erfolg.
1. Das Ablehnungsgesuch ist zulässig.
Über die Ablehnung mehrerer - hier sämtlicher - Richter eines Spruchkörpers wegen gleichartiger Ablehnungsgründe ist einheitlich, also nicht einzeln und nacheinander zu entscheiden (BVerfG NJW 2004, 2514 Rn. 9; G. Vollkommer in: Zöller, Zivilprozessordnung, 33. Aufl. 2020, § 46 ZPO, Rn. 2 m.w.N.).
Gemäß § 45 Abs. 1 ZPO i.V.m. § 113 Abs. 1 FamFG entscheidet über das Ablehnungsgesuch das Gericht, dem der Abgelehnt...