Leitsatz (amtlich)
In Verfahren wegen Meinungsverschiedenheiten der gemeinsam sorgeberechtigten Eltern über die Impfung ihres Kindes ist grundsätzlich der Regelverfahrenswert nach § 45 Abs. 1 Nr. 1 FamGKG festzusetzen, es sei denn dieser Wert ist nach den besonderen Umständen des Einzelfalls unbillig, § 45 Abs. 3 FamGKG. Bei der Prüfung der Unbilligkeit sind als Vergleichsmaßstab andere Verfahren nach § 1628 BGB, nicht solche nach § 1666 BGB und § 1671 BGB heranzuziehen.
Verfahrensgang
AG Konstanz (Aktenzeichen G 2 F 92/22) |
Tenor
1. Auf die Beschwerde der Verfahrensbevollmächtigten der Antragstellerin wird der Beschluss des Amtsgerichts - Familiengericht - Konstanz vom 17.10.2022 (G 2 F 92/22) dahingehend abgeändert, dass der Verfahrenswert auf 4.000 EUR festgesetzt wird.
2. Das Verfahren ist gebührenfrei. Kosten werden nicht erstattet.
Gründe
I. Die Verfahrensbevollmächtigte der Antragstellerin wendet sich gegen den erstinstanzlich festgesetzten Verfahrenswert in einem Verfahren nach § 1628 BGB wegen Meinungsverschiedenheiten der Eltern bezüglich der Impfung ihrer Kinder gegen COVID-19.
Die getrennt lebenden Eltern der Kinder ..., geb. am ..., und ..., geb. am ..., sind sich uneinig, ob ihre Kinder entsprechend der Empfehlung der Ständigen Impfkommission beim Robert-Koch-Institut (STIKO) gegen COVID-19 geimpft werden sollen. Während die Antragstellerin eine Impfung durchführen lassen will, ist der Antragsgegner der Auffassung, dass die vorgesehene Impfung nicht zu verantworten sei, weil es sich bei dem von der STIKO empfohlenen Impfstoff um einen Wirkstoff handele, der zu wenig untersucht sei.
Durch Beschluss des Amtsgerichts Konstanz vom 17.10.2022 wurde der Antragstellerin das Alleinentscheidungsrecht für die COVID-19-Impfung gemäß der Empfehlung der STIKO für die Kinder ..., geb. am ..., und ..., geb. am ..., übertragen und die Kosten des Verfahrens gegeneinander aufgehoben.
Durch weiteren Beschluss vom 17.10.2022 setzte das Amtsgericht Konstanz den Verfahrenswert gemäß § 45 Abs. 1 Nr. 1, Abs. 3 FamGKG auf 2.000 EUR fest. Zur Begründung wird ausgeführt, dass das Verfahren einen geringeren tatsächlichen und rechtlichen Aufwand erfordert habe als ein umfassendes Sorgerechtsverfahren.
Gegen den formlos übersandten Beschluss legte die Verfahrensbevollmächtigte der Antragstellerin am 17.10.2022 Beschwerde ein und beantragt, für das Verfahren den Regelverfahrenswert in Höhe von 4.000 EUR festzusetzen. Zur Begründung führt sie aus, dass das Verfahren keinen geringeren tatsächlichen und rechtlichen Aufwand als ein umfassendes Sorgerechtsverfahren verursacht habe. Die Eltern seien sich schon im Vorfeld des Gerichtsverfahrens erheblich uneinig über eine Impfung der Kinder gegen COVID gewesen. Es sei dann die umfangreiche Rechtsprechung hierzu geprüft und der Antragstellerin, die eine Impfung befürwortete, anschließend empfohlen worden, den Antrag auf Übertragung der Alleinentscheidungsbefugnis zu stellen. Der Antragsgegner sei auch in der mündlichen Verhandlung nicht einsichtig gewesen, habe gegen eine COVID-Impfung der Kinder argumentiert und an die Antragstellerin appelliert, die Kinder nicht impfen zu lassen. Auch die Kinder seien gerichtlich angehört worden. Es sei daher gemessen am Arbeitsaufwand und auch hinsichtlich der Rechtslage nicht unbillig, den Verfahrenswert auf den Regelwert von 4.000 EUR festzusetzen.
Durch weiteren Beschluss des Amtsgerichts Konstanz vom 18.10.2022 wurde der Beschwerde nicht abgeholfen und sie dem Beschwerdegericht zur Entscheidung vorgelegt.
Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den Akteninhalt Bezug genommen.
II. Die zulässige Beschwerde der Verfahrensbevollmächtigten der Antragstellerin ist begründet.
1. Die Beschwerde wurde von der Verfahrensbevollmächtigten der Antragstellerin im eigenen Namen frist- und formgerecht erhoben. Der Beschwerdewert von 200 EUR gemäß §§ 32 Abs. 2 Satz 1 RVG, 59 Abs. 1 Satz 1 FamGKG ist überschritten. Bei dem festgesetzten Verfahrenswert von 2.000 EUR betrügen die Anwaltsgebühren unter Berücksichtigung der angefallenen Verfahrens- und Terminsgebühr zuzüglich Auslagenpauschale und Umsatzsteuer 517,65 EUR, während sich die Anwaltsgebühren bei dem angestrebten Verfahrenswert von 4.000 EUR auf 850,85 EUR beliefen.
2. Der Verfahrenswert ist auf den Regelwert von 4.000 EUR festzusetzen.
a) Gemäß § 45 Abs. 1 Nr. 1 FamGKG beträgt der Verfahrenswert in einer Kindschaftssache, die die Übertragung der elterlichen Sorge oder eines Teils der elterlichen Sorge betrifft, 4.000 EUR. Ein Teil der elterlichen Sorge ist auch bei einem Verfahren nach § 1628 BGB betroffen (OLG Brandenburg vom 06.10.2014 - 10 WF 55/14, juris Rn. 11; Musielak/Borth/Frank, FamFG, 7. Auflage 2022, § 45 FamGKG Rn. 1; BeckOK Kostenrecht/Neumann, Stand 01.10.2022, § 45 FamGKG Rn. 13).
b) Ist der nach § 45 Abs. 1 FamGKG bestimmte Wert nach den besonderen Umständen des Einzelfalls unbillig, kann das Gericht auf der Grundlage von § 45 Abs. 3 FamGKG einen höheren oder niedrigeren Wert festsetzten. § 45 Abs. 3...