Entscheidungsstichwort (Thema)

Gesteigerte Unterhaltspflicht: Pflicht zur Aufnahme einer vollschichtigen Erwerbstätigkeit und einer zumutbaren Nebentätigkeit

 

Leitsatz (amtlich)

Die Aufnahme einer Nebentätigkeit zur Sicherstellung des Mindestunterhaltsbedarfs eines minderjährigen Kindes ist zumutbar, wenn diese sich im Rahmen der zeitlichen Belastung hält, den das Arbeitszeitgesetz für Arbeitnehmer in §§ 3, 6 ArbZG zum Schutz der Gesundheit steckt. Danach kann eine monatliche Arbeitszeit von maximal 188 Stunden verlangt werden.

 

Normenkette

BGB § 1603 Abs. 2; ArbZG §§ 3, 6

 

Verfahrensgang

AG Sinsheim (Beschluss vom 07.12.2006; Aktenzeichen 20 F 267/06)

 

Tenor

I. Auf die sofortige Beschwerde des Beklagten wird der Beschluss des AG - FamG - Sinsheim vom 7.12.2006 (20 F 267/06) wie folgt abgeändert:

1. Dem Beklagten wird Prozesskostenhilfe bewilligt und RAin S. beigeordnet, soweit beantragt ist, ihn zu verurteilen zur Zahlung von rückständigem Unterhalt für den Zeitraum März bis August 2006 sowie zur Zahlung von laufendem Unterhalt ab September 2006, der einen Betrag von 83 EUR monatlich übersteigt.

Der Beklagte hat keine Raten und sonstigen Beträge auf die Prozesskosten an die Landeskasse zu zahlen.

2. Im Übrigen wird der Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe zurückgewiesen.

II. Die weitergehende Beschwerde wird zurückgewiesen.

 

Gründe

I. Der Beklagte hat die Bewilligung von Prozesskostenhilfe beantragt, um sich gegen die Klage zu verteidigen, mit der die Klägerin, seine getrennt lebende Ehefrau, Kindesunterhalt für den gemeinsamen, am 4.3.2005 geborenen Sohn B. geltend macht. Das Kind lebt im Haushalt der Klägerin. Die Klägerin bezieht Leistungen nach dem Unterhaltsvorschussgesetz i.H.v. 127 EUR monatlich für das Kind.

Der am 30.7.1978 geborene Beklagte hat keinen Beruf erlernt; er spricht schlecht Deutsch. Derzeit arbeitet er bei der Firma Mc. für ein monatliches Nettoeinkommen von ca. 506 EUR. Daneben erhält er ergänzende Leistungen nach dem SGB II.

Die Klägerin forderte den Beklagten im Februar 2006 zur Zahlung von Kindesunterhalt ab März 2006 auf.

Die Klägerin beantragt, den Beklagten zur Zahlung von laufendem Kindesunterhalt i.H.v. 100 % des Regelbetrages ab September 2006 zu verurteilen sowie zur Zahlung von rückständigem Unterhalt von März 2006 bis August 2006 i.H.v. insgesamt 390 EUR.

Der Beklagte beantragt die Klage abzuweisen, da er nicht leistungsfähig sei. Er hat hierfür die Bewilligung von Prozesskostenhilfe beantragt.

Das FamG hat den Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe zurückgewiesen, da die Rechtsverteidigung keine Aussicht auf Erfolg habe. Der Beklagte müsse einer zusätzlichen Erwerbstätigkeit nachgehen, um den Kindesunterhalt sicherzustellen.

Der hiergegen gerichteten sofortigen Beschwerde hat das FamG nicht abgeholfen.

II. Die sofortige Beschwerde ist gem. § 127 Abs. 2 ZPO zulässig. Sie ist in der Sache teilweise erfolgreich.

Zutreffend geht das AG davon aus, dass der Beklagte, der seinem Kind gem. § 1601 BGB die Zahlung von Kindesunterhalt schuldet, gem. § 1603 Abs. 2 BGB zu gesteigerten Erwerbsanstrengungen verpflichtet ist.

Allerdings kann nicht davon ausgegangen werden, dass der Beklagte mit zumutbaren Erwerbsanstrengungen mehr als 1.024 EUR monatlich verdienen kann. Damit ist er nur zur Zahlung von Kindesunterhalt i.H.v. 83 EUR monatlich leistungsfähig.

Der Beklagte kann sich nicht darauf berufen, lediglich 506 EUR monatlich zu verdienen. Wie sich aus der vorgelegten Verdienstabrechnung ergibt, erzielt er dieses Einkommen mit einer teilschichtigen Erwerbstätigkeit, nämlich lediglich 112h im Monat mit der ungünstigen Lohnsteuerklasse 5.

Der Beklagte ist aber zu einer vollschichtigen Erwerbstätigkeit verpflichtet. Er hat auch steuerliche Gestaltungsmöglichkeiten so auszunutzen, dass ihm ein möglichst hohes Nettoeinkommen verbleibt.

Bei einer vollschichtigen Erwerbstätigkeit und Versteuerung nach Lohnsteuerklasse 1 kann der Beklage am seinem Arbeitsplatz ein Nettoeinkommen von 882 EUR erreichen. Hinzu kommen die Zuschläge für Nachtarbeit, die sich bei einer der Erhöhung der Arbeitszeit entsprechenden Ausdehnung der nächtlichen Arbeit auf 30 EUR belaufen. Von dem bei der Firma Mc. erzielbaren Gesamteinkommen von 912 EUR verbleibt nach Abzug berufsbedingter Aufwendungen (5 %) ein Betrag von 866,40 EUR, mithin weniger als der Selbstbehalt, der mit 890 EUR anzusetzen ist.

Um den Mindestunterhaltsbedarf seines minderjährigen Kindes sicherzustellen ist der Beklagte aber gehalten, eine zumutbare Nebentätigkeit aufzunehmen (Palandt/Diederichsen, BGB, 66. Aufl., § 1603 Rz. 58). Als zumutbar ist dabei nur eine solche Tätigkeit anzusehen, die sich im Rahmen der zeitlichen Belastung hält, den das Arbeitszeitgesetz für Arbeitnehmer zum Schutz der Gesundheit steckt. Zudem ist bei der Frage der Zumutbarkeit einer Nebentätigkeit auf die individuelle Lebens- und Arbeitssituation des Unterhaltsschuldners abzustellen (vgl. BVerfG FamRZ 2003, 661).

Gesundheitliche oder andere, individuelle Gesichtspunkte, die es ve...

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