Leitsatz (amtlich)
1. Liegen sämtliche Voraussetzungen nach §§ 19 Abs. 2-6 der StromGVV bzw. der GasGVV für eine Unterbrechung der Versorgung mit Strom oder Gas vor, so kann eine Versorgungssperre in der Regel im Wege der einstweiligen Verfügung durchgesetzt werden. Die Unterbrechung der Versorgung dient der Verwirklichung des Zurückbehaltungsrechts des Energieversorgungsunternehmens nach §§ 320, 273 BGB. In der Vereitelung oder zumindest wesentlichen Erschwerung der Ausübung dieses Zurückbehaltungsrechts liegt der eigentliche Verfügungsgrund i.S.v. § 935 ZPO.
2. Der Erlass einer einstweiligen Verfügung zur Anordnung einer Versorgungssperre erfordert nicht, dass der Kunde zuvor den Zugang zum Strom- oder Gaszähler verhindert hat oder das Energieversorgungsunternehmen die Durchsetzung der Versorgungssperre tag- oder stundengenau angekündigt hat.
3. Der Strom- oder Gaskunde ist vor einer ungerechtfertigten Inanspruchnahme durch das Energieversorgungsunternehmen und vor unnötigen Kosten durch Vorschriften des Zwangsvollstreckungs- und Prozessrechts ausreichend geschützt.
Tenor
1. Auf die sofortige Beschwerde der Antragstellerin wird der Beschluss des Landgerichts Freiburg vom 23.11.2022, Az. 8 O 237/22, aufgehoben.
2. Dem Beschwerdegegner wird im Wege der einstweiligen Verfügung aufgegeben, den ungehinderten Zutritt eines mit einem Ausweis versehenen Beauftragten der ... befindlichen Räumlichkeiten, in denen sich die Messeinrichtungen befinden, zu dulden, damit der Beauftragte die Gasversorgung (...) sowie die Stromversorgung (Zähler Nr. ...) unterbrechen kann.
3. Der Beschwerdegegner trägt die Kosten des Verfahrens beider Instanzen.
4. Der Streitwert des Beschwerdeverfahrens wird auf 6.132 EUR festgesetzt.
Gründe
I. Die Beschwerdeführerin begehrt den Erlass einer einstweiligen Verfügung zur Durchsetzung einer Versorgungssperre.
Die Beschwerdeführerin ist ein Energieversorgungsunternehmen. Der Beschwerdegegner betreibt in Freiburg eine Gaststätte und bezieht von der Beschwerdeführerin im Rahmen der Grundversorgung Gas und Strom. Für den Verbrauch von Gas ergab sich mit der Jahresabrechnung vom 20.06.2022 eine offene Forderung in Höhe von 693,97 EUR (vgl. Anlage K2, Anlagenband erster Instanz) und für den Verbrauch von Strom mit Jahresabrechnung vom 24.06.2022 eine offene Forderung in Höhe 6.327,22 EUR (vgl. Anlage K 8). Der neue monatliche Abschlagsbetrag für Gas betrug 141 EUR, derjenige für Strom 881 EUR. Der Beschwerdegegner leistete weder Zahlungen auf die offenen Jahresrechnungen noch auf die neuen Abschlagsbeträge.
Mit zwei Schreiben vom 21.07.2022 mahnte die Beschwerdeführerin die Zahlung der offenen Beträge an. Außerdem drohte sie dem Beschwerdegegner die Unterbrechung der Versorgung mit Gas und Strom an und informierte ihn über die Möglichkeiten zur Vermeidung der Unterbrechung und über die Möglichkeit, Gründe für die Unverhältnismäßigkeit der Unterbrechung geltend zu machen (vgl. Anlagen K4 u. K10). Die Schreiben enthielten zudem einen Hinweis auf die voraussichtlich durch die Sperrung anfallenden Kosten.
Mit Schreiben vom 26.08.2022 drohte die Beschwerdeführerin die Sperrung der Messeinrichtung für Strom "ab dem 06.09.2022" nochmals an und bot den Abschluss einer Abwendungsvereinbarung an (vgl. Anlage K11). Ein entsprechendes Schreiben erfolgte für Gas mit Androhung der Sperre "ab dem 08.11.2022" am 27.10.2022 (vgl. Anlage K5).
Der Beschwerdegegner reagierte auch auf diese Schreiben nicht. Es erfolgten auch keine weiteren Zahlungen.
Die Beschwerdeführerin beauftragte daraufhin den Netzbetreiber mit der Sperrung des Anschlusses. Ein Sperrversuch am 09.11.2022 blieb erfolglos, weil der Beschwerdegegner nicht angetroffen wurde.
Die Beschwerdeführerin beantragte daraufhin mit Schriftsatz ihres Prozessbevollmächtigten vom 22.11.2022, dem Beschwerdegegner im Wege der einstweiligen Verfügung aufzugeben, die Unterbrechung der Versorgung mit Strom und Gas zu dulden (vgl. I 1 ff.)
Das Landgericht wies diesen Antrag mit Beschluss vom 23.11.2022 zurück (I 13 ff.).
Es fehle an der Glaubhaftmachung des Anordnungsgrundes. Die Durchsetzung des Anspruchs des Strom- und Gaslieferanten auf Unterbrechung der Versorgung könne nur dann im Wege der einstweiligen Verfügung durchgesetzt werden, wenn dem Anschlussnutzer ein Verstoß gegen seine Duldungspflicht vorzuwerfen sei. Es handele sich um die Durchsetzung einer vertraglichen Nebenpflicht zur Ausübung des Zurückbehaltungsrechts der Beschwerdeführerin. Die Durchsetzung dieses Rechts werde nur dann objektiv vereitelt oder wesentlich erschwert, wenn der Beschwerdegegner die Unterbrechung dadurch verhinderte, dass er keinen Zutritt zu der Messeinrichtung gewähre. Es müssten konkrete Anhaltspunkte für eine bevorstehende Zuwiderhandlung gegen das beantragte Duldungsgebot bestehen. Dem Schuldner müsse Gelegenheit zur freiwilligen Zutrittsgewährung gegeben werden. Der Erlass einer einstweiligen Verfügung komme daher nur in Betracht, wenn die beabsichtigte Zählersperre dem Schuldner mit Tag un...