Entscheidungsstichwort (Thema)

Einsicht in nicht bei den Akten befindliche Messunterlagen. Zur Reichweite des Anspruchs auf Einsicht in nicht bei den Akten befindliche Messunterlagen

 

Leitsatz (amtlich)

1. Der Anspruch auf Einsicht in nicht bei den Akten befindliche Messunterlagen ist zwar Teil des Rechts auf ein faires Verfahren. Wird ein darauf gerichteter (zulässiger) Antrag aber übergangen oder mit nicht auf das Gesetz rückführbarer Begründung abgelehnt, liegt darin auch ein Verstoß gegen den Anspruch auf rechtliches Gehör.

2. Den Eichvorgang betreffende Unterlagen sind ohne Relevanz für die Überprüfung des Messergebnisses, weil mit der Erteilung des Eichsiegels das ordnungsgemäße Funktionieren des Messgeräts amtlich bescheinigt wird.

3. Jedenfalls bei einer dauerhaften Beschilderung ist regelmäßig auszuschließen, dass sie nicht auf eine behördliche Anordnung zurückgeht.

 

Normenkette

EMRK Art. 6 Abs. 1 S. 1; GG Art. 103 Abs. 1; OWiG § 80 Abs. 1 Nr. 2; StVO § 3

 

Verfahrensgang

AG Freiburg i. Br. (Entscheidung vom 06.12.2022; Aktenzeichen 37 OWi 550 Js 8453/22)

 

Tenor

1. Der Antrag des Betroffenen, gegen das Urteil des Amtsgerichts Freiburg im Breisgau vom 06.12.2022 die Rechtsbeschwerde zuzulassen, wird als unbegründet verworfen.

2. Der Betroffene hat die Kosten seines Rechtsmittels zu tragen.

 

Gründe

Im angefochtenen Urteil ist lediglich eine Geldbuße von nicht mehr als 100 € festgesetzt worden. Nach § 80 Abs. 1 und 2 Nr. 1 OWiG darf daher die Rechtsbeschwerde nur zugelassen werden, wenn es geboten ist, die Nachprüfung des angefochtenen Urteils zur Fortbildung des materiellen Rechts zu ermöglichen oder das Urteil wegen Versagung des rechtlichen Gehörs aufzuheben. Ein solcher Fall liegt hier nicht vor.

1. Die Beanstandung, dass bei der in Frage stehenden Geschwindigkeitsmessung keine Rohmessdaten gespeichert wurden, greift nicht durch.

a) Ob eine Verpflichtung zu Messdaten besteht, die in die Messwertbildung eingeflossen sind, ist nach inzwischen gefestigter allgemeiner Meinung allein eine Frage des Rechts auf ein faires Verfahren (Art. 6 MRK). Nach der gesetzlichen Anordnung in § 80 Abs. 2 OWiG gebieten Verstöße gegen das Verfahrensrecht gemäß § 80 Abs. 1 Nr. 2 OWiG aber nur dann die Zulassung der Rechtsbeschwerde, wenn mit ihnen zugleich der Anspruch auf rechtliches Gehör verletzt wird. Eine (analoge) Anwendung dieser Vorschrift auf Verstöße gegen andere grundrechtliche Verfahrensgarantien kommt nicht in Betracht (OLG Karlsruhe - Senat -, Beschluss vom 20.4.2023 - 2 ORbs 35 Ss 147/23; KG, Beschlüsse vom 3.6.2021 - 3 Ws (B) 148/21 und vom 2.1.2023 - 3 Ws (B) 333/22, juris; OLG Brandenburg, Beschluss vom 29.6.2022 - 1 OLG 53 Ss-OWi 219/22, alle juris).

b) Im Übrigen hält der Senat in Übereinstimmung mit nahezu der gesamten obergerichtlichen Rechtsprechung (OLG Schleswig SchlHA 2020, 42; OLG Bremen NStZ 2021, 114 und Beschluss vom 6.4.2020 - 1 SsRs 10/20, juris; OLG Brandenburg, Beschlüsse vom 14.11.2019 - (2 Z) 53 Ss-OWi 538/19, und vom 2.1.2020 - (1Z) 53 Ss-OWi 676/19, jew. juris; KG VRS 137, 79; OLG Oldenburg NdsRpfl 2019, 399; OLG Hamm VRS 138, 213; OLG Düsseldorf DAR 2020, 209; NStZ 2021, 112; OLG Köln DAR 2019, 695; OLG Naumburg NJ 2021, 465; OLG Jena NJ 2020, 512; 2022, 35; OLG Dresden NJW 2021, 176; OLG Zweibrücken VerkMitt 2020 Nr 21; ZfS 2022, 110; OLG Stuttgart DAR 2019, 697; OLG Karlsruhe, Beschluss vom 8.1.2020 - 3 Rb 33 Js 763/19, juris; BayObLG DAR 2020, 145) an seiner schon mehrfach geäußerten (Beschlüsse vom 25.5.2021 - 2 Rb 35 Ss 303/21 = ZfS 2021, 472 und vom 6.11.2019 - 2 Rb 35 Ss 808/19, juris) Rechtsauffassung fest, dass das Fehlen von Rohmessdaten entgegen der Auffassung des Saarländischen Verfassungsgerichtshofs (NJW 2019, 2456; dagegen auch Verfassungsgerichtshof Rheinland-Pfalz NZV 2022, 427; vgl. auch BVerfG NJW 2023, 2932 und Kammerbeschlüsse vom 21.6.2023 - 2 BvR 1082/21 und 2 BvR 1090/21, juris) weder zu einem Beweisverwertungsverbot führt noch einen Verstoß gegen den Anspruch auf ein faires Verfahren begründet.

2. Soweit dem Betroffenen von ihm begehrte Informationen und Unterlagen, die sich nicht bei den gerichtlichen Akten befinden, trotz fortlaufender Bemühungen darum nicht zur Verfügung gestellt wurden, ist eine Verletzung des Anspruch des Betroffenen auf rechtliches Gehör (§ 80 Abs. 1 Nr. 2 OWiG, Art. 103 Abs. 1 GG) nicht dargetan.

a) Der Betroffene hatte sich - wie in der Antragsschrift eingehend dargelegt wird - fortlaufend um die Überlassung von Unterlagen im Zusammenhang mit der am 25.10.2021 mit einem stationären Messgerät vom Typ Traffistar S330 der Jenoptik Robot GmbH vorgenommenen Geschwindigkeitsmessung bemüht. Sukzessive waren ihm alle 75 von der Messanlage in der Zeit zwischen dem 18. und dem 25.10.2021 aufgezeichneten Falldatensätze der Messanlage, die Bedienungsanleitung, eine Dokumentation der an der Anlage vorgenommenen Wartungs- und Instandsetzungsmaßnahmen, die Eintragungen bis zum 23.7.2020 enthielt, und ein Beschilderungsplan überlassen worden. In der Hauptverhandlung...

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