Entscheidungsstichwort (Thema)

Vorabentscheidungsersuchen an den EuGH zur Auslegung der Führerschein-Richtlinie: Anerkennungspflicht einer späteren EU-Fahrerlaubnis bei ursprünglich gefälschtem Drittstaatenführerschein

 

Leitsatz (amtlich)

Zur Anerkennungspflicht einer späteren EU-Fahrerlaubnis bei ursprünglich gefälschtem Drittstaatenführerschein (Vorlagebeschluss an den EuGH)

 

Tenor

  1. Dem Gerichtshof der Europäischen Union (im Folgenden: EuGH) wird folgende Frage zur Vorabentscheidung vorgelegt:

    Besteht die Anerkennungspflicht nach Artikel 2 Absatz 1 der Richtlinie 2006/126/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 20. Dezember 2006 über den Führerschein (Amtsblatt Nummer L 403/18 vom 30. Dezember 2006) - Dritte Führerschein-Richtlinie (im Folgenden: FS-RL) - auch nach dem ohne Fahreignungsprüfung erfolgten Umtausch eines Führerscheins durch einen Mitgliedsstaat der Europäischen Union, wenn der vorherige Führerschein nicht der Anerkennungspflicht unterliegt (hier: der vorherige von einem anderen Mitgliedsstaat der Europäischen Union ausgestellte Führerschein beruhte seinerseits auf dem Umtausch eines Führerscheins eines Drittstaats, Artikel 11 Absatz 6 Satz 3 FS-RL)?

  2. Das Verfahren wird bis zur Vorabentscheidung des EuGH ausgesetzt.
 

Gründe

1. Das Vorabentscheidungsersuchen gemäß Artikel 267 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union betrifft die Auslegung von Artikel 11 Absatz 1 und Absatz 6 Satz 3 FS-RL und des Verhältnisses dieser Vorschriften zueinander und zu Artikel 2 Absatz 1 FS-RL.

2. Dieses Ersuchen ergeht im Rahmen eines schwebenden Strafverfahrens gegen den in der Bundesrepublik Deutschland wohnhaften deutschen Staatsangehörigen M (im Folgenden: der Angeklagte), mit dem das vorlegende Gericht letztinstanzlich befasst ist.

Sachverhalt und Verfahrensgang

3. Das Amtsgericht Bad Säckingen verurteilte den Angeklagten am 24. April 2017 wegen vorsätzlichen Fahrens ohne Fahrerlaubnis nach § 21 Absatz 1 Nummer 1 Straßenverkehrsgesetz (StVG) in der Fassung der Bekanntmachung vom 5. März 2003 (BGBl. I Seite 310, berichtigt Seite 919) zu der Geldstrafe von 50 Tagessätzen zu je 40 Euro.

4. § 21 Absatz 1 Nummer 1 StVG, soweit er für die Entscheidung Bedeutung hat, lautet:

Mit Freiheitsstrafe bis zu einem Jahr oder mit Geldstrafe wird bestraft, wer [...] ein Kraftfahrzeug führt, obwohl er die dazu erforderliche Fahrerlaubnis nicht hat [...].

5. Ohne dass dies für die Entscheidung von Bedeutung ist, aber zum besseren Verständnis wird darauf hingewiesen, dass im deutschen Recht zwischen der Fahrerlaubnis als der behördlichen Erlaubnis, Kraftfahrzeuge einer bestimmten Klasse im öffentlichen Straßenverkehr zu führen, und dem Führerschein als der Urkunde, die die Fahrerlaubnis dokumentiert, unterschieden wird.

6. Der amtsgerichtlichen Verurteilung liegt folgender - auch für das Verfahren vor dem vorlegenden Gericht maßgeblicher - Sachverhalt zugrunde:

7. Der Angeklagte befuhr am 1. September 2015 mit seinem Personenkraftwagen eine öffentliche Straße in L (Baden), wobei er in einen Unfall verwickelt wurde.

8. Dem Angeklagten wurde 2006 in Deutschland die Fahrerlaubnis entzogen. Eine deutsche Fahrerlaubnis ist ihm seither nicht mehr erteilt worden.

9. Er ist im Besitz eines polnischen Führerscheins, der am 1. August 2011 in Polen auf der Basis einer Umschreibung ausgestellt wurde. Dieser Führerschein wurde auf Grundlage eines ausländischen Dokuments der Republik Ungarn vom 3. November 2010 ausgestellt. Der ungarische Führerschein geht wiederum zurück auf einen russischen Führerschein aus dem Jahr 1986, der sich im Nachhinein als Fälschung herausstellte. Der Angeklagte wurde in diesem Zusammenhang in Deutschland 2012 wegen Urkundenfälschung verurteilt. Ob der Angeklagte bei der Ausstellung des ungarischen und des polnischen Führerscheins jeweils seinen Wohnsitz in dem betreffenden Land hatte, blieb ungeklärt. Nach den Erkenntnissen, die das Amtsgericht seiner Entscheidung zugrunde legte, war die Ausstellung des polnischen Führerscheins nicht mit einer Fahreignungsprüfung verbunden.

10. Der Angeklagte hat in zulässiger Weise gegen das Urteil des Amtsgerichts das Rechtsmittel der Revision eingelegt, mit der die Verletzung materiellen Rechts gerügt wird.

11. Über das Rechtsmittel hat ein Strafsenat des Oberlandesgerichts zu entscheiden, wobei die Prüfung darauf beschränkt ist, ob das Amtsgericht das materielle Recht zutreffend angewandt hat.

12. Gegen die Entscheidung des Oberlandesgerichts ist ein ordentliches Rechtsmittel nicht mehr gegeben.

13. Der Angeklagte wird im Verfahren durch Rechtsanwalt Dr. S als Verteidiger vertreten. Die staatsanwaltschaftlichen Aufgaben im Revisionsverfahren nimmt die Generalstaatsanwaltschaft Karlsruhe wahr.

14. Aus einer im Revisionsverfahren bekannt gewordenen Entscheidung des Verwaltungsgerichtshofs Baden-Württemberg (Beschluss vom 18. Juli 2017 - 10 S 1216/17 = NJW 2017, 3673) ergibt sich, dass die zuständige Straßenverkehrsbehörde, das Landratsamt W, mit Bescheid vom 24. Februar 2017 ...

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