Leitsatz (amtlich)
Bei einer Heilbehandlung mit Viagra obliegt die Risikoabwägung regelmäßig dem Patienten. Hieran ist auch der Versicherer gebunden.
Ein schutzwürdigen Interesses an der Feststellung der Erstattungsfähigkeit einer bestimmten anstehenden Heilmaßnahme im Rahmen der privaten Krankenversicherung kann nur in besonderen Ausnahmesituationen angenommen werden.
Verfahrensgang
LG Mannheim (Urteil vom 19.02.2003; Aktenzeichen 9 O 41/01) |
Tenor
1. Auf die Berufung des Klägers wird unter deren Zurückweisung i.Ü. das Urteil des LG Mannheim vom 19.2.2003 – 9 O 41/01 – im Kostenpunkt aufgehoben und wie folgt abgeändert:
Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 1.616,56 Euro nebst Jahreszinsen von 5 % über dem Basiszinssatz aus 538,86 Euro seit dem 6.2.2001 und aus weiteren 1.077,77 Euro ab 22.4.203.
Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
2. Von den Kosten der ersten Instanz tragen der Kläger 90 % und die Beklagte 10 %, von den Kosten der zweiten Instanz tragen der Kläger 80 % und die Beklagte 20 %.
3. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Die Zwangsvollstreckung kann durch Sicherheitsleistung i.H.v. 110 % des aus dem Urteil vollstreckbaren Betrages abwendet werden, wenn nicht die Gegenseite vor der Vollstreckung Sicherheit i.H.v. 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.
4. Die Revision wird zugelassen.
Gründe
Die Berufung des Klägers ist zulässig und hat auch in der Sache Erfolg.
I. (§ 540 Abs. 1 Nr. 1 ZPO)
Der Kläger nimmt die Beklagte, eine Krankenversicherungsgesellschaft, auf Erstattung verauslagter Kosten für das Medikament Viagra in Anspruch und begehrt darüber hinaus die Feststellung, dass die Beklagte auch künftig verpflichtet ist, die Kosten dieses Medikaments aufgrund des Krankenversicherungsvertrages zu erstatten.
Der Kläger macht geltend, die erektile Dysfunktion sei durch seine organischen Vorerkrankungen, die aller Wahrscheinlichkeit zu einer artiellen Gefäßveränderung im Bereich der Beckenorgane geführt habe, zurückzuführen. Darüber hinaus wirke sich die Einnahme des Betablockers negativ auf die Potenz aus. Es handle sich deshalb bei der erektilen Dysfunktion um eine behandlungsbedürftige Krankheit i.S.d. Versicherungsbedingungen, so dass die Heilbehandlung mit dem Medikament Viagra auch medizinisch indiziert sei.
Das LG hat die auf Zahlung und Feststellung gerichtete Klage mit der Begründung abgewiesen, dass die Gabe des Medikaments Viagra für den Kläger nicht mehr vertretbar Gesundheitsrisiken mit sich bringe und daher nach Maßgabe der von der Rspr. geforderten Grundsätze keine medizinisch notwendige Heilbehandlung mehr darstelle.
Auf die tatsächlichen Feststellungen des angefochtenen Urteils wird Bezug genommen.
Der Kläger verfolgt mit der Berufung sein erstinstanzliches Begehren weiter und beantragt unter Erweiterung des bezifferten Klageantrags (Klageantrag Ziff. 1) nunmehr:
Unter Abänderung des Urteils des LG Mannheim vom 19.2.2003
1. die Beklagte zu verurteilen, an den Kläger 1.616,56 Euro nebst Jahreszinsen von 5 %-Punkten über dem Basiszinssatz aus 538 Euro, seit dem 6.2.2001 und aus 1.077,77 Euro ab Zustellung dieses Schriftsatzes zu zahlen.
2. Es wird festgestellt, dass die Beklagte im Rahmen des bestehenden Krankenversicherungsvertragsverhältnisses verpflichtet ist, dem Kläger auch künftig die Kosten der medizinisch notwendigen Heilbehandlung mit dem Präparat Viagra zu erstatten.
Wegen der Einzelheiten des Parteivortrags wird auf die vorbereitenden Schriftsätze Bezug genommen.
II. (§ 540 Abs. 1 Nr. 2 ZPO)
A. Klageantrag Ziff. 1: 1.616,56:
Die Beklagte hat dem Kläger gem. § 1 Abs. 2 MB-KK 94 die Aufwendungen – hier Kosten des Medikaments Viagra – für die medizinische Heilbehandlung zu erstatten.
1. Beim Kläger liegt – unstreitig – eine erektile Dysfunktion vor. Hierbei handelt es sich nach Überzeugung des Senats (§ 286 ZPO) – zumindest auch – um eine Folgeerscheinung der beim Kläger unter anderem vorliegenden koronaren Herzkrankheit und damit ebenfalls um eine Krankheit i.S.v. § 1 Abs. 2 MB-KK 94.
Den Ausführungen des Sachverständigen Prof. Dr. St. zufolge führen die beim Kläger vorhandene arterielle Hypertonie, die durch eine frühe Manifestation der Arteriosklerose hämodynamische Relevanz erhält, zu einer Minderdurchblutung des Gliedes. Das Vorliegen der schweren koronaren Herzerkrankung mit Zustand nach Herzinfarkt sowie der ehemalige chronische Nikotinabusus und – so die Ausführungen des Sachverständigen Prof. Dr. K. – die Fettstoffwechselstörungen sind deutliche Zeichen für die beim Kläger vorliegende Arteriosklerose, die Risikofaktoren und Ursachen für das Entstehen einer erektilen Dysfunktion sind. Ebenso kann die regelmäßige Einnahme von Betablockern – so die Ausführungen beider Sachverständigen – beim Kläger eine erektile Dysfunktion nicht nur begünstigen, sondern mit hervorrufen. Betablocker bewirken – so der Sachverständige Prof. Dr. St.- eine Blutdrucksenkung in den meist ebenfalls arteriosklerotisch veränderten Gefäßregionen des kleinen Beckens und des Penis, wobei eine hämo...