Leitsatz (amtlich)
1. Der Anbieter eines sozialen Netzwerks ist grundsätzlich berechtigt, den Nutzern seines Netzwerks in Allgemeinen Geschäftsbedingungen die Einhaltung objektiver, überprüfbarer Kommunikationsstandards vorzugeben, die über die gesetzlichen Vorgaben hinausgehen. Er darf sich das Recht vorbehalten, bei Verstoß gegen die Kommunikationsstandards Maßnahmen zu ergreifen, die eine Entfernung einzelner Beiträge und die Sperrung des Netzwerkzugangs einschließen (Anschluss an BGH, Urteile vom 29.07.2021 - III ZR 179/20 und III ZR 192/20).
2. Der Anbieter des sozialen Netzwerks hat sich jedoch in seinen Geschäftsbedingungen zu verpflichten, den Nutzer über die Entfernung seines Beitrags zumindest unverzüglich nachträglich und über eine beabsichtigte Sperrung seines Nutzerkontos vorab zu informieren, ihm den Grund dafür mitzuteilen und eine Möglichkeit zur Gegendarstellung einzuräumen, an die sich eine Neubescheidung anschließt, mit der die Möglichkeit der Wiederzugänglichmachung des entfernten Beitrags einhergeht. Fehlt eine entsprechende Bestimmung in den Geschäftsbedingungen, sind diese gemäß § 307 Abs. 1 Satz 1 BGB unwirksam (Anschluss an BGH, Urteile vom 29.07.2021 - III ZR 179/20 und III ZR 192/20).
3. Diesen Anforderungen werden die Allgemeinen Geschäftsbedingungen der Beklagten in der Fassung vom 19.04.2018 nicht in jeder Hinsicht gerecht, weil darin nicht ein verbindliches Verfahren vorgesehen ist, innerhalb dessen die von der Entfernung von Beiträgen und der Sperrung ihres Kontos betroffenen Nutzer Stellung nehmen können. Die Entfernungs- und Sperrungsvorbehalte in den Allgemeinen Geschäftsbedingungen der Beklagten in der Fassung vom 19.04.2018 sind daher gemäß § 307 Abs. 1 Satz 1 BGB unwirksam (Anschluss an BGH, Urteile vom 29.07.2021 - III ZR 179/20 und III ZR 192/20).
4. Bei Unwirksamkeit der in den Allgemeinen Geschäftsbedingungen der Beklagten geregelten Entfernungs- und Sperrungsvorbehalte ergibt sich ein Recht zur Löschung von Beiträgen und zur Sperrung von Nutzerkonten auch nicht aufgrund einer ergänzenden Vertragsauslegung. Zum einen fehlt es an einer planwidrigen Regelungslücke. Zum anderen sind Gerichte - ebenso wenig wie zu einer geltungserhaltenden Reduktion unangemessener Klauseln - nicht dazu berechtigt, durch ergänzende Vertragsauslegung an die Stelle einer unzulässigen Klausel die zulässige Klausel zu setzen, die der Verwender der Allgemeinen Geschäftsbedingungen voraussichtlich gewählt hätte, wenn ihm die Unzulässigkeit der beanstandeten Klausel bekannt gewesen wäre.
5. Eine Löschung von Beiträgen und eine (vorübergehende) Sperrung von Nutzerkonten durch die Beklagte ist daher unter Geltung der Allgemeinen Geschäftsbedingungen der Beklagten in der Fassung vom 19.04.2018 nur bei strafbaren Inhalten zulässig.
6. Bei Verstößen eines Nutzers gegen die Kommunikationsstandards kommt eine Kündigung des Nutzungsvertrags aus wichtigem Grund in Betracht. Eine vorherige Abmahnung ist aber nur in eng begrenzten Ausnahmefällen entbehrlich, etwa bei besonders gravierenden Vertragsverletzungen oder bei offensichtlicher Zwecklosigkeit der Abmahnung.
7. Die Klausel in Nr. 4.2 der Nutzungsbedingungen der Beklagten, die das Recht der Beklagten zur Kündigung des Nutzungsvertrags aus wichtigem Grund regelt, unterliegt gemäß § 307 Abs. 3 BGB nicht der Inhaltskontrolle nach den §§ 307 ff BGB. Bei der Auslegung unbestimmter Rechtsbegriffe, hier also bei der Frage, ob ein "wichtiger Grund" im Sinne vom Nr. 4.2 der Nutzungsbedingungen vorliegt, sind aber die Grundrechte der Parteien zu berücksichtigen. Für einen interessengerechten Ausgleich der kollidierenden Grundrechtspositionen ist erforderlich, dass die Beklagte den betreffenden Nutzer über die beabsichtigte Kündigung des Nutzervertrags umgehend informiert, ihm den Grund hierfür mitteilt und ihm eine Möglichkeit zur Gegenäußerung einräumt. Die danach erforderliche Anhörung des Nutzers ist grundsätzlich vor Durchführung dieser Maßnahme geboten. Denn die Kündigung des Nutzungsvertrags ist im Verhältnis zur vorübergehenden Sperrung des Nutzerkontos die deutlich schwerwiegendere Maßnahme, so dass hier die Anhörung erst recht vor der Kündigung zu erfolgen hat.
Tenor
I. Auf die Berufung des Klägers wird das Urteil des Landgerichts Mannheim vom 24.06.2020, Az. 14 O 140/19, unter Aufhebung der Kostenentscheidung teilweise abgeändert und wie folgt neu gefasst:
1. Die Beklagte wird verurteilt, das Profil des Klägers wieder zu aktivieren, so dass uneingeschränkter Zugriff auf das gesamte Profil, einschließlich der von dem Profil administrativ verwalteten Seiten, gewährleistet ist.
2. Die Beklagte wird verurteilt, es zu unterlassen, den Kommentar des Klägers auf seinem privaten Facebook-Profil mit folgendem Inhalt
((Abbildung))
zu löschen und/oder den Kläger wegen dieses Kommentars auf www.facebook.com zu sperren. Für den Fall der Zuwiderhandlung wird ihr ein Ordnungsgeld von bis zu 250.000 EUR, ersatzweise Ordnungshaft, oder Ordnungshaft von bis zu sechs Monaten, be...