Entscheidungsstichwort (Thema)
Treuwidrigkeit der Berufung des Versorgungsträgers auf die Abschaffung des § 56 Abs. 1 S. 4 VBLS a.F.
Leitsatz (amtlich)
Gegenüber einem Versicherten, der nach Eintritt des Versorgungsfalles am 1.9.1997 wieder heiratet, kann sich die Versorgungsanstalt des Bundes und der Länder (VBL) auf die Abschaffung des § 56 Abs. 1 S. 4 VBLS a.F. nach Treu und Glauben nicht berufen, wenn sich beim Vergleich der geleisteten Betriebsrente mit der Leistung, die bei Fortgeltung der Vorschrift und Zugrundelegung der Lohnsteuerklasse III/0 zu erwarten wäre, ein unverhältnismäßiger Nachteil ergibt.
Normenkette
BGB § 242; VBLS a.F. § 41 Abs. 2c, § 56 Abs. 1 S. 4
Verfahrensgang
LG Karlsruhe (Urteil vom 07.04.2006; Aktenzeichen 6 O 312/05) |
Tenor
Auf die Berufung des Klägers wird das Urteil des LG Karlsruhe vom 7.4.2006 - 6 O 312/05 - im Kostenpunkt aufgehoben und im Übrigen wie folgt abgeändert:
Es wird festgestellt, dass die Beklagte verpflichtet ist, dem Kläger ab 1.5.2004 eine Rente zu gewähren, bei der das fiktive Nettoarbeitsentgelt gem. § 41 Abs. 2c Satz 1a VBLS a.F. unter Zugrundelegung der Steuerklasse III/0 ermittelt wird.
Die Kosten des Rechtsstreits trägt die Beklagte.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Gründe
I. Der Kläger verlangt von der beklagten Zusatzversorgungsanstalt eine höhere Betriebsrente unter Berücksichtigung des Umstandes seiner Wiederverheiratung nach Eintritt des Versorgungsfalles.
Die erste Ehe des 1937 geborenen Klägers wurde am 16.12.1986 unter Durchführung des Versorgungsausgleichs geschieden. Seit 1.9.1997 erhält der Kläger von der Beklagten eine Versorgungsrente. Dabei wurde für die Berechnung des fiktiven Nettoarbeitsentgelts die Steuerklasse I/0 zugrunde gelegt. Seit 23.4.2004 ist der Kläger erneut verheiratet. Mit Mitteilung vom 10.2.2005 teilte die Beklagte unter Hinweis auf die §§ 75, 40 ihrer mit Wirkung ab 1.1.2001 in Kraft getretenen neuen Satzung (VBLS n.F.) mit, dass - anders als nach der bisherigen Satzung (§ 56 Abs. 1 S. 4 VBLS a.F.) bis zur 40. Änderung - eine Neuberechnung wegen eines Steuerklassenwechsels nicht vorzunehmen sei.
Nach der von der Beklagten im ersten Rechtszug vorgelegten Fiktivberechnung hätte die Versorgungsrente des Klägers zum 1.5.2004 gem. §§ 40 Abs. 1, 41 ff. VBLS a.F. bei Berücksichtigung der Steuerklasse III/0 1.051,67 EUR (brutto) betragen und damit die tatsächlich geleistete Rente von 583,22 EUR deutlich überstiegen.
§ 41 VBLS a.F. lautet auszugsweise:
"§ 41
Gesamtversorgung
I. Gesamtversorgung ist der sich nach Abs. 2 ergebende Vomhundertsatz des gesamtversorgungsfähigen Entgelts. ...
(2a) Die Gesamtversorgung ist auf den sich aus Abs. 2b ergebenden Vomhundertsatz des nach Abs. 2c zu errechnenden fiktiven Nettoarbeitsentgelts begrenzt. ...
(2c) Das fiktive Nettoarbeitsentgelt ist dadurch zu errechnen, dass von dem gesamtversorgungsfähigen Entgelt
- bei einem am Tag des Beginns der Versorgungsrente... nicht dauernd getrennt lebenden, verheirateten Versorgungsrentenberechtigten sowie bei einem Versorgungsrentenberechtigten, der an diesem Tag Anspruch auf Kindergeld oder eine entsprechende Leistung für mindestens ein Kind hat, der Betrag, der an diesem Tag als Lohnsteuer nach Steuerklasse III/0 zu zahlen wäre,
- bei allen übrigen Versorgungsrentenberechtigten der Betrag, der am Tag des Beginns der Versorgungsrente als Lohnsteuer nach Steuerklasse I/0 zu zahlen wäre, sowie [weitere näher bestimmte Beträge]... abgezogen werden."
§ 56 VBLS a.F. lautet auszugsweise wie folgt:
"§ 56
Anpassung
I. ... [Satz 4:] War bisher die Steuerklasse I/0 maßgebend, ist auf vorherigen Antrag vom Anpassungszeitpunkt an die Steuerklasse III/0 zugrunde zu legen, wenn eine der Voraussetzungen des § 41 Abs. 2c Satz 1 Buchst. a eingetreten ist."
§ 56 Abs. 1 S. 4 VBLS a.F. wurde aufgrund der 39. Satzungsänderung vom 20.12.2001 mit Wirkung vom 1.12.2001 aufgehoben.
Mit Ablauf des 31.12.2001 hat die beklagte Versorgungsanstalt des Bundes und der Länder (VBL) ihr Zusatzversorgungssystem umgestellt von einer an der Beamtenversorgung orientierten Gesamtversorgung auf ein auf die Verzinsung von Beiträgen ausgerichtetes Punktemodell. Zu dem genannten Stichtag wurden die Werte der bereits erlangten Rentenanwartschaften festgestellt und als sog. Startgutschriften auf die neuen Versorgungskonten übertragen. Für die bereits Rentenberechtigten wurden in den §§ 75 bis 77 VBLS n.F. Übergangsregelungen geschaffen.
Im Altersvorsorgeplan 2001 hatten sich die Tarifvertragsparteien des öffentlichen Dienstes am 13.11.2001 auf den Systemwechsel geeinigt. Die Einzelheiten wurden im Tarifvertrag über die betriebliche Altersversorgung der Beschäftigten des öffentlichen Dienstes (Tarifvertrag Altersversorgung - ATV) vom 1.3.2002 vereinbart. Der ATV liegt der neuen Satzung der Beklagten zugrunde, die von ihrem Verwaltungsrat am 9.9.2002 mit Wirkung ab dem 1.1.2001 beschlossen worden und durch Veröffentlichung im Bundesanzeiger vom 3.1.2003 nach vorheriger Genehmigun...